Desinformation beeinflusst auch den Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Jüngst wurde das Kölner „Fairness-Abkommen“, in dem sich mit Ausnahme der rechtsextremen AfD alle Parteien dazu verpflichten, über Migration „inhaltlich fair“ zu streiten und keine Vorurteile gegen Geflüchtete zu schüren, angegriffen. Medien bezeichnen das Abkommen unter anderem irreführend als „Asyl-Schweigepakt“ (Focus). Auf die Inhalte des Abkommens gingen die Artikel nicht ein und ließen etliche Aspekte weg. Der Shistorm von Rechtsaußen ließ nicht lange auf sich warten.
Wem nützt es?
Die Landesanstalt für Medien NRW (LFM) will derartigen Entwicklungen entgegentreten und bietet auf ihrer Homepage Informationen und weiterführendes Material für Eltern, Lehrkräfte und Interessierte an. Die Kampagne war bereits vor der Bundestagswahl im Februar 2025 mit dem Ziel gestartet, vor allem junge Menschen für demokratiefeindliche Narrative zu sensibilisieren. Ein neues Video über Manipulation greift etwa die Kernfrage „Wem nützt Desinformation?“ auf und empfiehlt dringend, Informationen kritisch zu hinterfragen, statt ihnen blind zu vertrauen. Für zusätzliche Sichtbarkeit sorgt ein Werbespot der LFM-Beratungsplattform ZEBRA auf reichweitenstarken Plattformen wie Instagram und Tiktok.
„Manipulationen sind selten zufällig und schon gar kein Ausrutscher. Doch wer von falschen Erzählungen, verzerrten Fakten oder Verschwörungsmythen profitiert, bleibt oft im Schatten“, sagt Tobias Schmid, Direktor der LFM. Die zentrale Frage „Wem nützt das?“ werde in der öffentlichen Debatte aus seiner Sicht viel zu selten gestellt. „Dabei ist sie der Schlüssel zum Verständnis: Wenn wir die Interessen und Absichten hinter der gezielten Irreführung erkennen, können wir ihre Wirkung durchschauen und ihr etwas entgegensetzen“, so Schmid.
Kölner Fairness-Abkommen unter Beschuss
Das Beispiel Köln zeigt, wie wichtig das Thema ist. Das „Fairness-Abkommen“ gibt es bereits seit 1998. Ombudsleute von der evangelischen und katholischen Kirche bewerten darin den Wahlkampf und können eine Partei „dazu auffordern, etwa einen Flyer nicht mehr zu verteilen oder ein Plakat abzuhängen“, heißt es in einem Statement des Vereins „Runder Tisch für Integration“, der das Abkommen initiiert hat. Doch nicht nur von der AfD und extrem rechten Blogs wie „Tichy‘s Einblick“ oder „Nius“ wird das Abkommen kritisiert, auch sogenannte Mainstream-Medien wie Focus, RTL, Welt oder Bild sprechen von „Maulkörben“ oder vom „Tabu-Thema“ Migration. Focus-Chefkorrespondent Ulrich Reitz bezeichnet das Abkommen gar als Vorbote einer „kontrollierten Demokratie“ und verstärkt damit leichtfertig (extrem) rechte Narrative. Schließlich kommen die Autoren einstimmig zu dem Schluss, dass das Abkommen vor allem die AfD stärke.
Dabei ist es vor allem die Berichterstattung dieser Medien, welche die Rechtsextremisten stärkt. So schrieb der rechte US-Tech-Milliardär Elon Musk auf seiner Plattform X: „Either Germany votes @AfD or it is the end of Germany”. Musk bezieht sich dabei explizit auf die oben genannten Medien. Dass die AfD auf ihren Plakaten in Köln mit Slogans wie „Abschieben statt Einfliegen“ wirbt, dürfte ihm jedenfalls gefallen. Das Abkommen, das derartige Parolen verhindern soll, spielt für die AfD übrigens keine Rolle. Bei ihr greift es nicht, da sie sich nicht daran beteiligt.
Kontroverse Meinungen aushalten
Auch die „etablierten“ Parteien halten sich nur bedingt daran. Die Kölner CDU spricht sich zum Beispiel in einem Flyer gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft aus. „Nein zur Großunterkunft. Für ein sicheres, lebenswertes Agnesviertel“, heißt es dort. Die Ombudsleute sahen darin übrigens keinen Grund, einzugreifen, da sich die Äußerung noch im Rahmen des Abkommens bewege. Darüber wird freilich nicht berichtet, weil es nicht ins Narrativ passt. So viel zum „Schweigepakt“.
Die LFM zielt mit ihrer Kampagne jedenfalls auch auf derartige Vorgänge ab und will Bürger:innen dafür sensibilisieren, genauer hinzuschauen, bevor sie sich eine Meinung bilden. „Unsere Demokratie lebt von Meinungsvielfalt. Das bedeutet, auch kontroverse Meinungen auszuhalten“, sagt Tobias Schmid. Im Idealfall halten sich alle Seiten daran.
Link zur Kampagne: quellevertraumir
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