engels: Yvonne, Mitte 2019 hast du die Wuppertaler Sektion von Extinction Rebellion gegründet. Was überzeugte dich an dieser Klimaschutzgruppe?
Yvonne Grabowski: Ich wollte mich immer schon für den Klimaschutz einsetzen. Bei Extinction Rebellion fühlte ich mich gleich in der Gruppe gut aufgehoben. Es gab einen achtsamen Umgang miteinander, keine Hierarchien, und jeder konnte sich einbringen. Die Ziele waren eine Änderung des gesamten politischen Systems, nicht ein neuer Fahrradweg oder die Rettung einer einzelnen Grünfläche. Erzielt werden sollte dies über mediale Aufmerksamkeit auf friedliche und gewaltfreie Weise. Das bunte fröhliche Bild der Straßenblockaden in London, die wie ein buntes Straßenfest wirkten, hat mich sehr angesprochen. Zum Teil konnten diese Bilder auch in Deutschland erzeugt werden, vor allem bei den „Rebellionstagen“ in Berlin. Hier behandelte die Polizei uns Aktivisten auch noch sehr entspannt. Einmal trafen sie nachts auf uns und fragten, wer wir seien. Als wir uns als XR zu erkennen gaben, waren sie erleichtert. Wir waren ja bekannt als gewaltfreie friedliche Aktivisten, die auch mit der Polizei in gewissem Maße kooperieren.
Welche Stationen der Gruppe seither waren besonders wichtig?
Stationen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. XR hatte anfangs viel Zulauf. Wir waren beflügelt, hatten Hoffnung, etwas ändern zu können, ohne andere anzuklagen. Die Euphorie ließ nach als plötzlich die aktive Teilnahme am Straßenblockaden schon zur Straftat wurde. Zuvor hatte man immer die Wahl, ob man sich von der Polizei wegtragen lassen oder sich im Hintergrund halten wollte. Hatte man sich entschieden, „zum Äußersten“ zu gehen und die Ordnungswidrigkeit in Kauf zu nehmen, war das ein gut kalkulierbares Risiko. Allerdings wunderten wir uns, als es auf einmal rückwirkend als Straftat galt und wir uns vor Gericht für Nötigung im Straßenverkehr rechtfertigen mussten – natürlich mit hohen Kosten verbunden. Dieser Schachzug der Justiz hat uns ein Gefühl der Kriminalisierung gegeben.
Und welche Aktion hatte jetzt für dich ein Nachspiel? Du wurdest zu einer erkennungsdienstlichen Erfassung geladen.
Im Sommer 2021 wollten wir zum ersten Mal eine Straßenblockade in Wuppertal machen, zum Thema Artensterben. Wir trafen uns an einem anderen Ort, um uns zu besprechen. Dort belauschte uns die Polizei, umzingelte uns als wir aufbrechen wollten und erteilte Platzverweise für die gesamte Stadt. Ich wurde danach zunächst angeklagt, eine Versammlung geleitet zu haben. Diesen Anklagepunkt konnte mein Anwalt eindeutig widerlegen – eine Versammlung fand ja gar nicht statt! Daraufhin erhielt ich eine Ladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung. Mit meinem Anwalt zusammen klagten wir dagegen. Die Klage wurde aber letztlich abgelehnt, nach über drei Jahren. Seit mindestens 2021 hatte ich nicht mehr aktiv an einer Aktion teilgenommen. Trotzdem musste ich die Maßnahme Anfang Mai über mich ergehen lassen – heißt: Es wurden zig Fingerabdrücke genommen, mehrere Fotos gemacht, Gewicht und Körpergröße gemessen, Tattoos fotografiert. Die emotionale Belastung hatte für mich eine langfristige Wirkung und wäre nicht nötig gewesen.
Es ist nicht deine einzige Erfahrung mit Polizei und Justiz infolge des Klima-Engagements. Giltst Du nun als Wiederholungstäterin?
Ich hatte durch die Straßenblockaden mehrere Verfahren vor Gericht. Auch wenn ich seit Jahren nicht mehr aktiv war, musste ich mich bis vor kurzem immer wieder vor Gericht dem Vorwurf der Nötigung stellen. Ja, natürlich galt ich durch meine aktive häufige Teilnahme an Aktionen sowie durch die Gründung der Ortsgruppe als ‚zu aktiv‘ und war damit im Fokus der Justiz. Dabei habe ich mich nie festgeklebt, habe nichts kaputt gemacht oder gestohlen, habe meine Identität nie verweigert. In den Blockaden wurde immer berücksichtigt, dass jeder Autofahrer der Blockade ausweichen kann und niemand feststecken muss im Stau.
Nimmst du das Vorgehen als Schikane wahr, um Kritik gezielt zu schwächen?
Absolut.
Hat sich etwas an deiner Einschätzung zum Klima-Engagement geändert?
Ja. Ich bin heute stark entmutigt, über solche Aktionen genügend Menschen aktivieren zu können, um wirklich etwas zu erreichen und fühle mich zu stark kriminalisiert für den geringen Effekt. Ich möchte heute die Menschen auf anderem Wege erreichen. Die persönliche innere Heilung, mehr Miteinander, Dankbarkeit und Verbundenheit sind für mich die Wege, unseren Planeten zu heilen.
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