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Claudia Janssen
Foto: Sandra Schildwächter

„Feministische Strömungen haben innerhalb der Kirche eine lange Tradition“

26. Oktober 2017

Theologin Claudia Janssen über Frauen in Bibel und Reformation – Thema 11/17 Frau Luther

engels: Frau Janssen, Sie gelten als eine der führenden, feministischen Theologinnen. Bezeichnen Sie sich selbst als Feministin?
Claudia Janssen: Ja, das tue ich. In den letzten Jahren mit noch mehr Überzeugung. Für mich hat Feminismus einen politischen Charakter, es geht um Gerechtigkeit in einem ganz umfassenden, politischen Sinn mit dem Ziel einer Veränderung der Gesellschaft. Geschlechtergerechtigkeit ist dabei für mich ein zentrales Motiv.

Seit wann gibt es diese feministischen Strömungen schon in der evangelischen Kirche?
Feministische Strömungen haben innerhalb der Kirche eine lange Tradition, was viele Menschen erst einmal erstaunt. Sie kommen meistens aus der Bibel. In ihr sind viele progressive Aussagen enthalten, die auch für unsere heutige Gesellschaft von Bedeutung sind. Kämpfe um Gleichberechtigung gibt es da bereits, eine frühchristliche Frauenbewegung ist schon erkennbar.

Gibt es eine prägnante Bibelstelle, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Bibel illustriert?
Im Brief an die Gemeinde in Galatien (Gal. 3,28) geht es Paulus um das Selbstverständnis der Gemeinde und er greift deren Slogan auf. Es heißt dort „Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich noch weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig im Messias Jesus“. Im Römischen Reich hat geherrscht, wer Mann, Römer und frei war, diese Kategorien haben die Gesellschaft strukturiert und hierarchisch geordnet. Der zitierte Slogan sagt aber, dass weder die ethnische Herkunft, noch der soziale Status oder das Geschlecht eine Rolle spielen.

Die Bibel an sich war also nicht frauenfeindlich?
Der Prozess, in dem die Bibel zusammengetragen wurde, umfasst fast tausend Jahre. Die Bibel ist so vielfältig wie die damalige Gesellschaft, mit ihr kann alles begründet werden. Das Neue Testament zeigt eine Widerstandsbewegung im Römischen Reich und hat viele alttestamentliche Traditionen genutzt, darunter auch die der starken Frauenfiguren, der Prophetinnen und Erzmütter. Im frühen Christentum haben Frauen eine wichtige Rolle gespielt. Vieles davon ist aber durch Übersetzungen verloren gegangen.

Weil die Übersetzung männlich dominiert war?
Nicht nur die Übersetzer waren Männer, schon die Sprache war androzentrisch geprägt, also der Mann war der Maßstab. Wenn ich über eine Gruppe von hundert Frauen spreche, in der sich ein Mann befindet, sage ich im Griechischen automatisch „Brüder“. Es gibt kein Wort für Geschwister. Wenn es im Griechischen „adelfoi“ heißt, wird das wörtlich mit „Brüder“ übersetzt. Aber sind dann auch die Schwestern angesprochen?

Sie haben die Bibel in gendergerechte Sprache übersetzt. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Um diese in androzentrischer Sprache verfassten Texte in die Gegenwart zu übersetzen, haben wir die Frauen sprachlich sichtbar gemacht und die Beweislast umgekehrt. Wer  meint, dass an einer Stelle auch wirklich nur Männer gemeint sind, muss das erstmal beweisen. Frauen waren in der Antike fast überall. Sie waren Fischerinnen, Lehrerinnen, Prophetinnen, Jüngerinnen. Die antike Stadtgesellschaft bestand zu 90% aus Unterschichten. Wir haben da keinen bürgerlichen Mittelstand. Frauen waren wie Männer versklavt und konnten es sich überhaupt nicht leisten, sich Zuhause um die Kinder zu kümmern und auf den Alleinverdiener zu warten, klischeehaft gesprochen. Es passiert oft, dass wir unser Verständnis einer westlichen Mittelstandsgesellschaft auf biblische Texte projizieren und dann so übersetzen. Wenn ich aber aus anderen Quellen weiß, dass es in der antiken Gesellschaft gar nicht anders ging, als dass Frauen und Kinder ab dem sechsten Lebensjahr arbeiten mussten, kann ich sie auch sprachlich sichtbar machen. Was wir heute unter Familie verstehen, ist ein Ergebnis der Neuzeit.

Waren Sie mit dieser Übersetzung eine Pionierin?
Nein, die Frauenrechtlerin Elisabeth Cady Stanton hat schon vor mehr als hundert Jahren in englischer Übersetzung die „Women's Bible“ herausgegeben und die Texte genauso analysiert wie wir heute. Seit den 1970er Jahren entwickelten sich feministische Theologien zum zweiten Mal und jetzt 40 Jahre später dringen die Ergebnisse ganz langsam ins allgemeine Bewusstsein. Wir müssen die Dinge immer wieder neu erfinden!

Warum geht dieses Wissen immer wieder verloren?
Egal auf welcher Ebene wir es mit Geschlechterfragen zu tun haben, es geht immer um Macht, in diesem Fall um Definitionsmacht. Die Frage ist, ab wann wird ein solches Wissen Allgemeinwissen? Konkret hier: Wann fängt die Kirche an zu sagen, dass sie stolz auf diese Vielfalt und auf Frauen in der Frühzeit des Christentums ist? Die evangelische Kirche fängt ganz langsam damit an. Und erst dann geht solch ein Wissen auch nicht mehr ständig verloren.

Wenn wir von der Reformation sprechen, geht es aber immer nur um Luther.
Das wird der Vielfalt der evangelischen Kirche in Deutschland überhaupt nicht gerecht. Es wird ja immer auf die großen Namen geschaut. Da gab es analog zu den Männern auch einige Frauen wie Argula von Grumbach. Sie hatte zeitweilig eine riesige Resonanz über Flugschriften. Sie legte sich für einen jungen Studenten, der sich der Reformation angeschlossen hatte und gegen den ein Verfahren eingeleitet wurde, mit der Kirchen- und Universitätsleitung an. Dabei war ihr Mann beruflich in katholische Zusammenhänge eingebunden und hat für das Engagement seiner Frau Ärger bekommen. Sie stand auch in engem Kontakt mit Luther. Er hat aber auch nicht gesagt, wunderbar, wir nehmen Argula und ordinieren sie! Irgendwann verschwand sie dann wieder aus dem Bewusstsein.

Warum wissen wir wenig über die Frauen in der Reformationszeit?
Es ist auch ein Problem der feministischen Forschung, dass Quellen wie Flugschriften oder Briefe nicht aufbewahrt wurden oder noch immer in Archiven schlummern. Wenn ich die Reformation aber nur auf das Wirken einsamer Helden und Heldinnen reduziere, mache ich die Vielfalt der Laienbewegung, die Reformation im Alltag durchgesetzt hat, unsichtbar. Dabei ist das für mich das, was Kirche ausmacht. Wir haben zusammen mit dem Verband Evangelische Frauen in Deutschland e.V., dem Konvent Evangelischer Theologinnen und dem Studienzentrum der EKD für Genderfragen die Website „500 Jahre Reformation: von Frauen gestaltet“ entwickelt um zu zeigen, dass Reformation nicht nur die Geschichte einzelner Menschen ist und sich nicht auf 1517 beschränkt. Sie ist ein Prozess, der noch immer andauert. Dort zeigen wir, in welchen Medien sich Frauen theologisch in einer Weise äußerten, die auch im 21. Jahrhundert relevant ist für die protestantische Theologie. Das ist im Zuge dieses Luther-Jubiläums leider untergegangen.

Wirkte sich der reformatorische Prozess seinerzeit positiv auf die Stellung der Frau aus?
Das ist ambivalent. Einerseits wurde die Elementarbildung für Frauen ausgeweitet. Dahinter steckte das reformatorische Verständnis, dass alle Menschen die Bibel lesen können sollten. Das kann man auch für die Entstehung moderner Gesellschaften als gar nicht hoch genug wertschätzen. Andererseits wurden viele Klöster aufgelöst, die im 16. Jahrhundert der einzige Ort für höhere Bildung für Frauen unabhängig von Ehe und Familie waren.

Waren Frauen denn im protestantischen Verständnis als Funktionsträger gleichberechtigt?
Es hat fast 500 Jahre gedauert, bis die Frauenordination eingeführt wurde. Im 16. Jahrhundert dachten die Männern nicht radikal genug, im Gegensatz zu einigen Frauen. Die reformatorische Männerbewegung hat die Grundsatzformulierung des Priestertums aller Glauben, d.h. alle Menschen in der Kirche seien fähig Ämter auszuüben, nur auf Männer bezogen. Die erste Frauenordination der Neuzeit war 1943 in der Bekennenden Kirche die von Ilse Härter, die später auch von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal die Ehrendoktorwürde erhielt. Erst in den 1970er Jahren wurde die Frauenordination flächendeckend in der evangelischen Kirche eingeführt. Da ist noch einiges aufzuarbeiten.

Die feministische Theologie hat eine lange Tradition, die Queer-Theologie ist relativ jung. Worin besteht der Unterschied?
Da besteht eine Kontinuität. Wir müssen von einer neuen Vielfalt der Geschlechter ausgehen. Ich finde Queer ist ein wunderbarer Begriff, um auf provokative Art und Weise immer wieder darauf aufmerksam zu machen, wie sehr wir noch in Schubladen denken. Ich verbinde damit auch das spielerische Auflösen geschlechtlicher Zuordnung. Ich bin ein absoluter Fan von Laurie Penny und Margarete Stokowski und der jüngeren Generation von Feministinnen, die sagen, wir tun nur so, als hätten sich die alten Vorstellungen aufgelöst. Dabei stecken wir noch tief in alten Mustern fest und die geschlechtsspezifischen Zuschreibungen werden sogar wieder stärker. Ich verstehe Queer als eine Bewegung, Theorie, Denkform und Praxis, um mit Geschlechtszuschreibungen zu spielen.

Welche Bedeutung hat die  (queer)feministische Theologie für die evangelische Glaubenspraxis?
Die evangelische Kirche ist jetzt schon progressiv: Die Rheinische Landeskirche hat ein Jahr vor dem Lebenspartnerschaftsgesetz die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in ihren Gottesdiensten ermöglicht qua Synoden-Beschluss. 2016 hat sie schon die gleichgeschlechtliche mit der heterosexuellen Ehe gleichgestellt, also vor der Ehe für alle haben einige evangelische Landeskirchen sie bereits in ihrer Kirchenordnung verankert. Transsexualität ist in innerkirchlichen Diskussionen ebenfalls ein wichtiges Thema. Ich wünsche mir für diese kontroversen Diskussionen noch mehr öffentlichen Raum. Gesamtgesellschaftlich befinden wir uns in einem großen Transformationsprozess und ich wünsche mir eine Kirche, die mutiger zeigt, dass es da nicht die eine Haltung und auch keinen Konsens gibt.

Konservativ-christliche Kritiker*innen behaupten, Geschlechtergerechtigkeit und Gendertheorien gefährdeten die göttliche Ordnung.
Ich habe großes Verständnis dafür, dass Menschen in einer sich so massiv verändernden Gesellschaft auf der einen, ihrer Meinung nach letzten Sicherheit beharren, nämlich dass es Mann und Frau gibt. Wenn an dieser Stelle diskutiert wird, brechen Ängste hervor, die mit dieser Frage gar nicht unbedingt zu tun haben. Gabriele Kuby oder Birgit Kelle aus der konservativ-christlichen Szene instrumentalisieren und schüren diese Ängste bewusst. Wir müssen miteinander ins Gespräch kommen, am liebsten über biblische Texte, die uns helfen können zu verstehen, was Familie oder Geschlecht ist oder ob die eigene Identität als Christ*in überhaupt an dieser Zuordnung als Mann und Frau hängt. Es geht nicht darum, ob Gender gut oder böse ist. Es geht darum, was uns im Leben trägt. Und wenn wir darüber miteinander ins Gespräch kommen, ergeben sich vielleicht für alle neue Perspektiven.


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