Im Netz tobt der Pöbel, denn Wut und Obszönitäten bestimmen die Debatten. So lautet ein moderner Mythos. Tatsächlich werden Online-Communitys immer größer, und es gibt immer mehr Blogs. Viele davon sind die Erwähnung nicht wert. Der von Sarah Redlich schon. Seit April vergangenen Jahres bereichert sie die Blogosphäre mit Frauredlich.blogspot.de
„Ein Leben ohne Bücher ist für mich unvorstellbar“, sagt die 32jährige Wahl-Wuppertalerin. Damit der Rest der Welt an ihrer großen Liebe teilhaben kann, hat sie die virtuelle Plattform für Gleichgesinnte eingerichtet. „Ich hatte immer über so etwas nachgedacht, konnte mich aber lange nicht dazu durchringen.“ Sie ist, so lautet die Selbstbeschreibung, Buchhändlerin aus Leidenschaft. Und als sie ihren Job wechselte, jammerten viele Kunden, wer ihnen denn nun zukünftig all die guten Tipps geben sollte, was lesenwert sei.
Das wird man doch mal sagen dürfen!
Folgerichtig kam nur ein modernes Kommunikationsmittel in Frage, denn Frauredlich ist eine Expertin für Kinder- und Jugendliteratur. „Es gibt kein Genre, in dem mehr Tabu-Themen angesprochen werden“, bricht sie eine von vielen Lanzen für die ihrer Meinung nach absolut unterschätze Gattung.
Mag sein, dass manches simpler formuliert sei als nun ausgerechnet bei Albert Camus. „Aber es gibt viele Bücher, aus denen man jeden Satz laut vorlesen möchte, um die einzelnen Wörter zu schmecken.“ Das aber tut sie nur für ihren Freund oder die beiden Katzen. Am Wochenende setzt sie sich dann hin, um ihren Blog mit Buchtipps zu bestücken. Berufsbedingt bekommt sie ja quasi alles zu lesen, was es an deutschsprachigen Neuerscheinungen gibt. „Im Moment arbeite ich gerade den Stapel ab, den ich vor vier Monaten las.“ Wegen der sogenannten Sperrfrist ist das nicht anders möglich.
Kinder sind unbestechlich, sie sagen unverblümt, was ihnen gefällt und was ihrer Meinung nach für die Tonne ist. „Also versuche ich, denen auf Augenhöhe zu begegnen.“ Natürlich möchte sie mit ihren Kritiken auch die Affinität zum Buch und Liebe zum Lesen weitergeben. Aber letztlich bringt ein Buch ja nur dann etwas, wenn es gelesen wird. Nicht wenn es im Regal zustaubt. „Also stelle ich Sachen vor und gebe Anregungen.“
Mitreden, mitmachen, sich einbringen
Sie selbst bezeichnet das Buch als „ihre große Liebe“. „Ich muss nicht mehr zur Schule gehen. Ich kann lesen. Das war alles, was ich wollte“, erklärte die kleine Sarah ihrer Mutter sechsjährig. „Wenn andere frech waren, bekamen sie Hausarrest. Ich bekam Leseverbot. Aber gebracht hat es gar nichts. Außer einer Brille, weil ich heimlich unter der Bettdecke gelesen habe.“ Ihr literarisches Wissen ist profund, sie kann einordnen, begründen und beurteilen und versteckt sich nicht hinterm Rechner, sondern debattiert gerne und leidenschaftlich. Hörbücher übrigens interessieren Sarah Redlich wenig, „meistens schlafe ich da ein“. Krimis sind ihre Sache nicht, aber neben der Jugendliteratur Belletristik. Und dann kennt sie sich besonders gut in der Epoche der Romantik aus. Dass 2012 als „Märchenjahr“ deklariert ist, weil das sogenannte Hausmärchen seinen 200. Geburtstag feiert, muss man ihr nicht extra sagen. Ursprünglich stammt sie nämlich aus der 14.000-Seelen-Stadt Langen-Selbold, was bloß einen Steinwurf von den hessischen Gefilden entfernt liegt, die Jakob und Wilhelm Grimm als Fundgrube ihrer „Grimmschen Märchen“ nutzten. Beim Stichwort fallen ihr gleich Geschichten ein, und zwar die, die gemeinhin weniger bekannt sind. Wie „Das Mädchen ohne Hände“, eine „grausame Geschichte über ein Mädchen, das seinen Sohn ‚Schmerzensreich’ nennt.“ Dass sie sich in den angesagten Fantasy-Welten der Olchis, die Ausschlag bekommen, wenn sie Vitamine essen, ebenso gut auskennt, aber auch keine Diskussion über Klassiker wie Friedrich Dürrenmatt scheut, all das ist im Blog nachvollziehbar. „Es wäre schön, wenn noch mehr Leute mitmachten.“
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