Frankreichs Präsident Emmanuel Macron musste bekanntlich feststellen, wie sehr das Thema Mobilität die Gemüter erhitzt. Als seine Regierung vergangenen Herbst die Ökosteuer auf Diesel und Benzin erhöhen wollte, gingen Tausende auf die Barrikaden. Der Wunsch der Reformpläne war sicherlich, die umweltverschmutzenden PKWs langfristig aus dem Straßenbild zu verbannen. Die Folge war eine Bewegung, die noch immer an Macrons Legitimität nagt. Ist nun der „kleine Mann“ ein Querulant gegen den verkehrs- und damit umweltpolitischen Fortschritt? Oder sind die Mobilitätskonzepte der Zukunft Ideen einer abgehobenen Elite, die mit der Lebenswelt Lohnabhängiger kollidiert?
So viel ist zumindest klar: Diesel- wie Benzinmotoren schädigen das Klima. Mittel- bis langfristig sollten sie verbannt werden. Sowohl aus den Städten als auch vom Markt (das geht an die Autolobby im Bundestag). Alternativen kommen bereits seit Jahren von Start-Ups und Konzernen. Das reicht von technischen Visionen wie drohnenartigen Fluggeräten bis hin zu innovativen Distributionsmodellen. Online-Fahrvermittlungsdienste wie Uber oder Lyft riefen bereits eine Mobilitätsrevolution aus. Die Hoffnung: Ein eigenes Auto werde überflüssig, wodurch die Verkehrsdichte sinke. Doch in den Metropolen, in denen die Fahrdienste besonders aktiv sind, ist das Gegenteil eingetreten, wie eine jüngste Studie zeigt: Die Menschen legten sich mehr Autos zu, was wiederum zu verstopften Straßen führte. Nach ökologischem Fortschritt sieht das nicht aus.
Technische Lösungen wie die E-Mobilität scheinen vielversprechender. Norwegen hat es in den jüngsten Jahren vorgemacht: Jedes zweite Fahrzeug hat dort einen Elektro- oder Hybrid-Antrieb. Bis 2025 sollen in Norwegen alle zugelassenen PKWs eine Null-Emission garantieren. Doch solche Innovationen teilen einen Makel mit Online-Fahrdiensten und Ökosteuer-Erhöhungen: Sie wälzen einen dringend nötigen verkehrs- wie mobilitätspolitischen Wandel, den die Politik gestalten müsste, auf BürgerInnen und KonsumentInnen ab. Für Menschen, die am Monatsende auf keine üppige Lohnabrechnung schauen, klingt das wie anmaßende Imperative: Bezahle mehr Steuern! Spare für die E-Mobilität!
Individualistisch kann diese Wende jedenfalls nur schwer eingeleitet werden. Neben Investitionen in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr müssen neue Verkehrskonzepte her. Mit dem sogenannten Shared Space (gemeinsamer Raum) hat die EU bereits in verschiedenen Städten ein Modell erprobt, in denen auf Verkehrszeichen, Signalanlagen und Fahrbahnmarkierungen verzichtet wird. Fußgänger, Fahrrad- oder PKW-Fahrer müssen als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer aufeinander achten. Das Ziel: eine Abkehr von der Fixierung des öffentlichen Raums auf das Auto.
Das verlangt im Umkehrschluss, dass andere Beförderungsmittel als vollwertige Alternative massiv ausgebaut werden. Denn besonders BewohnerInnen an der Peripherie erfahren die Verdrängung (oder Verteuerung) des diesel- ober benzinbetrieben Vehikels als Angriff auf ihr Grundrecht auf Mobilität. Zurecht, wie die „Gelbwesten“ in Frankreich mahnen. Denn dieses Grundrecht höhlen technische sowie verkehrs- und fiskalpolitische Visionen aus, wenn sie Mobilität nur als Ware betrachten.
Die Furcht vor der Fantasie - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Aktiv im Thema
volocopter.com/de | Unternehmensseite der elektrischen Senkrechtstarter zur Personenbeförderung.
infas.de/themen/mobilitaetsforschung | Das Institut für angewandte Sozialforschung diskutiert die mobile Zukunft
zukunftsinstitut.de | Der in Frankfurt a. M. ansässige Think Tank analysiert Trends in Europa.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
„Urbanes Leben findet statt, wo Menschen zu Fuß gehen“
Der Physiker und Philosoph Karlheinz Steinmüller über vertikalen Verkehr
Auf dem Boden bleiben
Wuppertal Institut skeptisch gegenüber Flugtaxis
Verkehr ohne Tote
Entschleunigung auf den Straßen. Vorbild Schweden
Gentrifizierung auf Bergisch?
Bezahlbaren Wohnraum erhalten
Politik in Hinterzimmern
Wie tausende Lobbyisten Entscheidungen beeinflussen
Zurück zur Natur
Die Rückkehr vorindustrieller Flüsse?
Deutschland ist Frieden
… doch die Sorgen bleiben
Plastik adé
Unternehmen reduzieren Plastikmüll und finden Alternativen
Kurz nach zwölf
Mensch gegen Natur
Wie wäre es mal mit einer Päpstin?
Zeit für Reformen im Männerclub
Dehnbare Verteidigungswerte
Bundeswehr: Verfassung hinkt dem Konsens hinterher
Freude, schöner Faktenfunken
Europas Ideenwelt lebt weiter. Ein fairer Diskurs?
Stigma Abtreibung
Balanceakt zwischen Mutter- und Kindeswohl
Geburtshelfer namens Kostendruck
Ärzte entscheiden sich immer häufiger für den Kaiserschnitt
Die Kunst des Illegalen
Politische Aktion auf Bühne und Straße
Arme Bauern, armes Land
Warum Landwirte Genossen werden
Ressourcenjäger Energiewende?
Auf dem Weg zu grüner und fairer Energie
Mit linken Pfunden wuchern
Globalisierungskritik ohne Berührungsängste
Warum der Schokohase bitter schmeckt
Gütesiegel für Fairen Handel können nur der Anfang sein
Altersparadies Stadt
Demografischer Wandel und Stadtplanung – THEMA 07/18 EWIG JUNG
Artgerechte Jungenerziehung
Jungen zwischen liberaler und konservativer Bildungspolitik – THEMA 06/18 VATERLOS
Marx modern frisiert
Die Frage ist nicht ob, sondern wie der Kapitalismus endet
Bienenparadies mit Rentenanspruch
Das Insektensterben, der Staat und die BürgerInnen
Amazone und Couchkartoffel
Computerspiele können das Leben bereichern. Aber sie sind nicht das Leben
Bühne frei für Blamage
Bin ich beliebt, und wenn ja, wie lange? – THEMA 02/18 AUSGELIEFERT