Während in Talkshows, Wirtschaftsseiten sowie Feuilletons der Zeitungen noch darüber debattiert wird, ob sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) Verheißung oder Bedrohung für die Arbeitswelt ist, schaffen die Konzern-CEOs längst Fakten – und das mit fast schon dystopischer Zielgenauigkeit. Denn Arbeitsverdichtung und verschärfte Leistungskontrolle durch KI ist längst nicht mehr nur ein Thema bei Lieferdiensten wie Uber, Delivery Hero oder Lieferando. Die Einsatzmöglichkeiten entsprechender KI-Systeme sind bereits heute wesentlich vielfältiger – und sie werden genutzt.
Ahnungslos überwacht
„Ich vermute, dass aktuell ein Drittel der Beschäftigten zum Teil von algorithmischem Management gesteuert und überwacht wird“, sagte Steven Rolf Ende Juni 2024 gegenüber tagesschau.de. Rolf forscht und lehrt an der Universität Sussex in England zur digitalen Transformation und hat für die Friedrich-Ebert-Stiftung die Studie „KI und algorithmisches Management im Europäischen Dienstleistungssektor“ verfasst. Neben der Erkenntnis, dass KI und algorhitmisches Management (AAMS) mittlerweile auch an gewöhnlichen Arbeitsplätzen wie in Büros, Restaurants und Callcentern Eingang gefunden hat, fand die Studie auch heraus, dass die wenigsten Betroffenen wissen, dass sie von AAMS überwacht, bewertet und letztlich angetrieben werden.
Machtverschiebung
Während Anbieter von AAMS die Vorteile und Erleichterungen ihrer Produkte groß anpreisen, stellen diese aus Sicht Rolfs jedoch eine große Bedrohung für Beschäftigte dar. „Sie bergen das Risiko einer unrechtmäßigen Überwachung der Arbeitnehmenden, einer Intensivierung des Arbeitstempos, der Schaffung von Wissensungleichgewichten zwischen Arbeitnehmenden und Führungskräften sowie (oft schlechten) Entscheidungen, die ohne ausreichende Aufsicht getroffen werden“, heißt es in der Studie. KI ist eben nicht die nette neue digitale Kollegin, sondern eher sowas wie die digitale Peitsche moderner Führungskräfte.
KI kürzt Gehälter
So kommen etwa in Restaurants mittlerweile Scoringsysteme zum Einsatz, die anhand der Verweildauer der Gäste, der Regelmäßigkeit des Kundenkontakts an einem Tisch oder der Höhe des Trinkgeldes die Kellner bewerten. Wer schlecht abschneidet, bekommt das Gehalt gekürzt oder wird vor die Tür gesetzt. Im Vertrieb wiederum misst sogenannte Customer-Relationship-Management-Software (CRM) die „produktiven Arbeitsstunden“ der Büroangestellten und vergleicht sie mit jenen der Kollegen. Andere Systeme wiederum analysieren anhand von Sprachverarbeitung die Stimmung im Team, durchforsten Lebensläufe von Bewerbern und sortieren ungeeignete Kandidaten aus oder erfassen Tastatureingaben, um eine etwaige Geschwindigkeitsreduktion frühzeitig zu erkennen.
Wehret den Anfängen
Manche Systeme prognostizieren sogar anhand völlig unklarer Faktoren, welche Angestellten künftig unterdurchschnittliche Leistungen erbringen könnten oder wie hoch die Streikrisiken entlang einer bestimmten Lieferkette sind. Wehren können sich die Beschäftigten kaum, wenn die Kapitalseite mit der Einführung solcher Technologien die Profitrate auf Kosten der Mitarbeiter erhöht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert daher erzwingbare Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte, wenn neue KI-Systeme implementiert werden sollen.
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Teil 1: Leitartikel – Wir brauchen Erinnerungen, um gut zu leben und gut zusammenzuleben