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Jens Grossmann und seine Kamera
Foto: Andrea Kümphbeck

Zwischen Dokumentation und Manipulation

08. November 2019

Fotograf Jens Grossmann über Fotografie in Katastrophengebieten – Spezial 11/19

Die Macht der Bilder im Medienzeitalter, sie ist viel zitiert und viel beklagt. Voyeurismus färbt als Vorwurf auch auf Fotografen ab, die ihn bedienen. Doch gute Bilder lenken den Fokus auch produktiv, wenn sie nach Katastrophen die Spendenbereitschaft erhöhen. Der Fotograf Jens Grossmann, dessen Bilder aus Unglücksgebieten im „Stern“ wie auch bei Hilfsdiensten erscheinen, sprach in der Reihe „Unterdings im Kukuna“ von seiner Arbeit. Ausweichort war das Fotostudio kollektiv drei. Das Format ist ein noch junges Angebot der Caritas Wuppertal/Solingen. Künstler kommen zum Austausch untereinander wie auch mit interessierten Besuchern – sonst ins Atelier in der Hünefeldstraße, das heute aber für die WOGA genutzt wurde.

Einer der Organisatoren ist ein bunter Vogel mit Profil: Charles Petersohn, der Musiker, DJ und „Jazzclub“-Mitgründer. Wer mochte, hätte ihn im Anschluss auch heute von seiner musikalischen Seite erleben können: Grossmann würde unter dem Titel „FSK 18“ einen Film mit schwer verdaulichen Bildern zeigen, zu dem Petersohn die Musik produziert hatte. Schon hier aber übernahm er eine weitere Aufgabe und gab (in Vertretung für Nicole Bolz) den Interviewer – ohne zu verhehlen: Sein Gegenüber war ein so ergiebiger Gesprächspartner, dass sich eine allzu aktive Moderation eigentlich erübrigte.

Grossmann war nach dem verheerenden Erdbeben von 2010 in Haiti. Er zeigte der Welt die Philippinen nach dem Taifun 2013 und dokumentierte Kriegsgebiete wie im Kongo. Luftaufnahmen überschwemmter Gebiete vermittelten den Kukuna-Gästen das Ausmaß der Zerstörungen. Aber Bilder von Opfern aus der Nähe sprachen unmittelbar an: Etwa wenn ein Kind hilflos in Trümmern steht, aber auch wenn eines mitten im Elend neugierig in die Kamera lächelt – oder im Schutt sogar spielt.

Foto: Jens Grossmann
Foto: Jens Grossmann

Grossmanns angenehme Auskunftsfreude ließ zweierlei erkennen: die Routine eines Mannes, der viel mehr als einmal Leid und Zerstörung gesehen hat. Und zudem den strategischen Zugriff in seinem Metier, den nicht etwa nur Sensationsjäger zu schätzen wissen, sondern auch Hilfsorganisationen.

Fotos erzählen Geschichten, das ist so weit klar. Foto-Folgen erzählten heute aber auch schon einmal etwas über strategisches Bebildern: Ein Foto zeigte eine lächelnde Mutter mit ihren kleinen Kindern, gleich darauf dieselbe Szene mit besorgter Miene; wie Grossmann erklärte, stand im Raum, sie zur Adoption frei zu geben. Welches Bild der Auftraggeber gewählt habe, wollte jemand wissen – es war das lächelnde. Mochte eine Einseitigkeit dieser Art sich mit guten Absichten noch rechtfertigen, so sorgte ein geschilderter Fall im Raum für Empörung: Ein Reporter hatte demnach einmal ein Kind mit Prothese zu weiten Reisen genötigt, im Dienst der starken Szene. „Abartig“, meinte eine Besucherin. Daran ließ Grossmann auch keinen Zweifel, derlei Übergriffigkeit abzulehnen. Doch gehöre ein inhaltlicher Bogen im Grunde zweifellos zum Job: „Dramaturgie muss da sein.“

Routine gegenüber Leid mag sich zwangsläufig einstellen. Sie mag auch dem Anliegen geschuldet sein, Erlebtes nicht zu nahe an sich heran kommen zu lassen. Petersohn sprach denn auch das Thema „Selbstschutz“ in diesem Sinne an. Wieweit Grossmanns Erfahrungen gingen, ließ etwa das Bild einer Aids-Kranken mit offenem Hals schon erahnen. Und dass professionelle Relativierung sich einstellt, sei es nun geplant oder automatisch, klang bei einem Bild aus dem sudanesischen Kriegsgebiet Darfur an, wo der Blick auf grüne Planen am Boden die Befürchtung bestätigte, dass es sich um Todesopfer handelte: „Das ist ein normales Bild bei Katastrophen: Leichen liegen am Straßenrand.“

Insgesamt hätte es fast nach entspanntem Bericht eines Globetrotters anmuten mögen, hätten nicht solche Momente immer wieder an die brutalen Fakten erinnert. Zum Gespräch mit einem Warlord in Liberia klang es fast nach Plaudern, wenn dieser nach Grossmanns Bericht ruhig erwog, bei Bedarf einen Krieg vom Zaun zu brechen. Dazwischen immer wieder Bemerkungen, die gut und gern zu Grundsatzaussagen oder -fragen rund um Journalismus, um Wahr und Falsch taugten. „Ich kann nicht mehr einschätzen, was ich in den Nachrichten über Politik höre“, war ein pragmatisches Fazit des Fotografen. Und, vielleicht gleichfalls weniger anklagend als beschreibend: „Jedes Foto ist eine Lüge.“

Martin Hagemeyer

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