„Einen echten Plan B jenseits der Bühne gab es für mich nie“, erinnert sich Lars Emrich an seine Zeit nach Abitur und Zivildienst Ende der 80er Jahre. Schauspieler wollte er ursprünglich werden, „Das sah auch alles gar nicht schlecht aus und fühlte sich richtig an“. Wie andere auch machte er seine Vorstellungstour über die renommiertesten Ausbildungsbühnen Deutschlands, „den ausschlaggebenden Moment erlebte ich in Frankfurt“. Nachdem er vorgesprochen hatte, beriet sich das dortige Komitee. „Der Prüfungsvorsitzende hat mich gefragt, ob ich wirklich Schauspieler werden wolle, und ich sagte, für mich ginge die Welt nicht unter, wenn das nicht klappt. ‚Ja, das haben wir gesehen’, antwortete besagter Komitee-Chef. ‚Sie haben besondere analytische Fähigkeiten, und das Spielen ist für Sie wohl eher sekundär.’.“
Andere hätten an dieser Stelle vielleicht Schnappatmung bekommen. „Wenn ich ehrlich bin, deckte sich diese Einschätzung absolut mit meinem eigenen Gefühl. Denn das Erkunden einer Rolle und das anschließende Zusammenbauen, das war es immer, was mich am stärksten fasziniert hat.“ Das „Nein“ empfand der waschechte Wuppertaler nicht als Absage. „Es war mehr eine Tür, die sich dadurch in mir öffnete.“
Was ist Zufall, was ist Schicksal?
Bis er zu seiner alten Liebe, dem Theater, zurückfand, vergingen fünf Jahre. „Manches im Leben hängt damit zusammen, welche Menschen man zu welchem Zeitpunkt trifft“, resümiert er. Über den Umweg Filmverleih lernte er Adolf Winkelmann (machte unter anderem den preisgekrönten WDR-Zweiteiler „Contergan“) kennen. „Der Beginn einer mehrjährigen Liaison mit dem Film“ und einer intensiven, engen Zusammenarbeit mit Adolf Winkelmann, über den er sagt, er sei im besten Sinne Autorenfilmer mit sehr eigener Handschrift. Unter anderem drehte er als Winkelmanns Assistent den TV-Zweiteiler „Gefährliche Spiele“ und fürs Kino „Der letzte Kurier“. „Bei den Dreharbeiten in Moskau verliebte ich mich.“ Nicht in Hauptdarstellerin Sissi Perlinger. Sondern in Ulrike Schmidt. Heute sind die beiden verheiratet und haben zwei Töchter.
Geschichten aus anderen Perspektiven erzählen
Auch wenn er Winkelmann „sehr in die Karten gucken durfte und ich unheimlich viel gelernt habe“, war „Filmregie nur das Zweitbeste“, wie der 44Jährige heute sagt. Seine Wurzel hat Lars Emrich im Theater. Dorthin kam er als Sechstklässler. Erst nahm ihn ein Kumpel mit ins Haus der Jugend, dann besuchte er einen Kurs. „Der wurde von Paul Winterling geleitet – und ich war Feuer und Flamme.“ Seine erste kleine Rolle war Rotzlöffel Gottfried Klepperbein, Petze aus „Pünktchen und Anton“. „Natürlich bekam ich die im Buch vorgesehenen Ohrfeigen ins Gesicht geklatscht.“ Jahre später, als er parallel zum Drehbuchschreiben und Filmregie-Führen „Ali Baba und die 40 Räuber“ fürs Halberstädter Theater machte, traf er Kinder- und Jugendtheatermann Laurentiu Tuturuga, noch heute verantwortlicher Chef-Ausstatter. „Wieso führst du nicht mal bei uns Regie?“
„Das Herz eines Boxers“, „Crazy“ und „Emil und die Detektive“ waren seine ersten Inszenierungen. Es ist weniger eine artifizielle als empathische Regiekunst, mit der er seine Zuschauer „da abholen will, wo sie sind“. Kinder sind als Publikum nicht höflich, sie reagieren intensiv, und wer daran keine Freude hat, soll die Finger davon lassen. Geschichten erzählen, das ist es, was er möchte. „Ich habe wohl eine sehr filmische Art, Geschichten zu erzählen“, es sind die kleinen Menschensachen, die Nuancen, Übersprungshandlungen und Vertuschungen hinter den großen Taten. Manchmal sind das auch die Mühen des Lebens als Kontrapunkt zu den Sonntagstönen, die er erzählt. „Natürlich ticken die Jugendlichen von Jetzt ganz anders als wir. Aber Liebe, Leidenschaft und Tod, diese archetypischen Dinge treiben Menschen immer an.“
Dürfte Lars Emrich sich etwas wünschen, hätte er gerne sechs Monate Zeit, um sein Jugendbuch zu schreiben. „Es braucht noch etwas Recherche, ist sonst aber im Kopf quasi fertig.“ Und als Künstlerischer Leiter würde er sich einen „Ort, der für das Kinder- und Jugendtheater gemacht ist“, wünschen. „Von den Werkstätten über Lesungen, Aufführungen und Theaterschule sollte dort alles erfahrbar und erlebbar sein.“
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