Das Tal der Wupper galt schon immer als das Land der Tüftler und Denker. Hier stand einst eine der Wiegen der Frühindustrialisierung. Nach dem Niedergang der hiesigen Textil- und Metallindustrie allerdings sah die wirtschaftliche Entwicklung viele Jahre im Bergischen Land nicht ganz so rosig aus. Viele verlassene Fabrikgebäude vermittelten eher das Bild einer Geisterstadt als das einer blühenden Metropole. Während auf der grünen Wiese Gewerbeparks entstanden, fensterlose Quader aus Betonplatten umrahmt von abgezäunten Rasenflächen, verrotteten die alten Fertigungshallen in zentraler Lage. Inzwischen hat sich die Situation allerdings geändert. Immer mehr leerstehende Gebäude werden inzwischen von Kulturschaffenden bevölkert. Im kleinen, beschaulichen Bahnhof Mirke in der Elberfelder Nordstadt haben sich etliche Kreative angesiedelt. Unvergessen ist auch die Zwischennutzung der ELBA-Fabriken durch das Kunstcluster. Die Documenta aus Kassel hätte sich gut eine Scheibe Lebendigkeit aus dem Gewusel der Jahre 2008 bis 2010 abschneiden können, als in der altehrwürdigen Aktendeckelfabrik alle Kulturformen und besonders die Bildenden Künste ein temporäres Zuhause fanden. Aber auch jetzt ist die Szene putzmunter. Viele Initiativen haben Wuppertal inzwischen zu einem Mekka der nichtsubventionierten Kultur gemacht.
Aber wie geht es den vielen Kulturschaffenden? Seit der Jahrtausendwende spukt in der Diskussion um neue Gesellschaftskonzepte der Begriff Kreativwirtschaft umher. Das Wort, einst geschaffen im Wahlkampf des noch jungen Tony Blair in Großbritannien, um das Königreich aus der lähmenden Umklammerung des wirtschaftsliberalen Kurses der Eisernen Lady herauszuführen, galt lange als Zaubermittel gegen Arbeitslosigkeit. Wer „irgendwas mit Medien“ machte, als „Kreativer“ galt, dem gehörte scheinbar die Zukunft. Nachdem die Menschen hier zuerst die Produktion von Lebensmitteln, dann von Industriegütern und zu guter Letzt auch noch den Dienstleistungssektor Maschinen, Automaten, Robotern oder Billiglohnländern überlassen hatten, blieb aber auch kaum andere Arbeit. Der eingeschlagene Weg erschien verheißungsvoll. 100 statt drei Fernsehsender gierten nach sendbaren Formaten. Das sich flächendeckend verbreitende Internet musste mit Inhalt gefüllt werden. Spielkonsolen benötigten virtuelle Welten, die mühsam programmiert werden mussten. Entsprechend explodierten in NRW die Beschäftigungszahlen in der Kreativwirtschaft. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in dieser Branche nahm zwischen 1980 und 1998 um 11 Prozent zu, während in der Gesamtwirtschaft die Zuwachsrate nur 2 Prozent betrug, meldete 1998 das Wirtschaftsministerium. Wirtschaftsminister war damals ein gewisser Wolfgang Clement. Der streitbare Politiker verantwortete zum Beispiel auch das Versenken von 100 Millionen Euro Steuergelder in dem Subventionsgrab namens Technologiezentrum Oberhausen, in dem 25 Mitarbeiter den deutschen Trickfilm revolutionieren sollten.
Ein besonders hoher Anteil an geringfügig Beschäftigten
Der Goldgräberstimmung folgte aber nicht nur in Oberhausen ein arger Katzenjammer. Die technische Revolution fraß ihre Kinder. Kultur, so die Botschaft des weltweiten Netzes, soll frei verfügbar, kostenlos weil unbezahlbar sein. Unbezahlbar allerdings wird mittlerweile das Leben vieler Kreativwirtschaftler. Wenn Kultur umsonst zu haben ist, kann auch niemand mehr damit Geld verdienen. In der Kreativwirtschaft gibt es einen besonders hohen Anteil an geringfügig Beschäftigten. Da aber 450 Euro zum Leben selten reichen, gleicht die wöchentliche Agenda eines Kreativen oft einer Patchworkdecke. Minijob, Honorarverträge, Schwarzarbeit, Möglichkeiten jenseits einer Festanstellung gibt es viele. Notfalls wird der karge Lohn mit Hartz IV aufgepolstert.
Inzwischen aber scheint sich ein erneuter Wandel anzudeuten. Nachdem der Hype um die Piraten und ihre Forderung nach Abschaffung des Urheberrechts abgeflaut ist, diskutieren Politiker jeglicher Couleur auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene über neue Möglichkeiten, geistiges Eigentum zu schützen. Die Musikindustrie, so zeigen die jüngsten Bilanzen, hat das Tal der Tränen bereits durchschritten und verzeichnet nach vielen Jahren wieder steigende Absatzzahlen. Die strengere strafrechtliche Verfolgung von illegalen Tauschbörsen mag hierfür ein Grund sein. Wichtiger aber wird eine Bewusstseinsänderung der Konsumenten sein. Der Käufer bzw. Nutzer kultureller Güter, so belegen aktuelle Untersuchungen, ist inzwischen wieder bereit, für diese etwas zu bezahlen. Das klingt verheißungsvoll. Was geschähe, wenn die Wuppertaler ihre Kulturgüter statt aus der Fabrik aus der Manufaktur bezögen? Kleidung kann nicht nur beim Textildiscounter, sondern auch bei der Schneiderin und dem Schneider gekauft werden. Musik klingt auch gut, wenn sie nicht die internationalen Charts erklommen hat, sondern aus regionalem Anbau stammt. Und statt eine Soap auf einem Privatsender zu verfolgen, tut es doch auch ein zeitgenössisch bearbeiteter Shakespeare im örtlichen Theater. Der Konsument muss nur seine Konsumgewohnheiten ändern, und schon verändert sich die Welt ein Stück weit – oder in diesem Fall eben Wuppertal.
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