Beinahe hätte er es gar nicht mitbekommen, wie sehr seine Arbeit beim Publikum und der Kritik eingeschlagen war. „Nach der Premiere reist man ja wieder ab und widmet sich dem nächsten Projekt“, schildert Regielegende Dietrich Hilsdorf nüchtern die Situation, wie er Ende 2017 die sächsische Landeshauptstadt Dresden verließ. An der Semperoper hatte er gerade Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ inszeniert – eine der bekanntesten Opern des Belcanto. Belcanto, der „Schöngesang“, der als Stil und Ästhetik die europäische Oper bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts prägte, war eigentlich immer ein Reizwort für Dietrich Hilsdorf, dem Anhänger eines ausgeprägten Realismus. „Ich habe immer gesagt, das sollen Bühnenbildner inszenieren. Die machen dann schöne Bilder und dazu wird schön gesungen“, sagt Hilsdorf selber über seine frühere Aversion. Den Auftrag der Semperoper, die Lucia zu inszenieren, nahm er dann doch an – und begann zu experimentieren: Wie lässt es sich verhindern, dass die Sänger überwiegend tatenlos an der Rampe stehen?
Hilsdorf fand die Lösung darin, die vereinfachte Handlung des Opernlibrettos mit Elementen aus Walter Scotts komplexerer Romanvorlage sowie mit psychoanalytischen Deutungsansätzen anzureichern. Heraus kam, so das Urteil vieler Kritiker, ein hochdramatisches Konzentrat. Restlos begeistert zeigte sich auch Hein Mulders, der Intendant des Essener Aalto-Theaters. Als Hilsdorf Anfang 2020, unmittelbar vor dem ersten Corona-Lockdown, das barocke Oratorium „Kain und Abel“ in Essen auf die Bühne bringt, überzeugt er ihn nach einigem Zögern, die Dresdener Lucia noch einmal in Essen einzustudieren.
Für Hilsdorf bedeutet das ein Wiedersehen mit gleich mehreren Solisten: So wird Bettina Ranch nun die Alisa singen, Dmitry Ivanchey den Arturo und Baurzhan Anderzhanov den Raimondo. Hinzu kommen Hila Fahima als Lucia, Ivan Krutikov als Enrico, Carlos Cardoso als Edgardo und Rainer Maria Röhr als Normanno. Wie in Dresden wird auch in Essen mit Giuseppe Finzi ein Italiener den Taktstock schwingen. Für die Bühne zeichnet mit Johannes Leiacker ein alter Weggefährte Hilsdorfs verantwortlich. „Die Zutaten stimmen“, findet Hilsdorf, „das kann nur gut werden.
Lucia di Lammermoor | 27.11., 2., 11., 19.12., 8., 28.1. | Aalto Theater Essen | 0201 812 22 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Der Klang der Straße
„Nordstadtoper“ in Dortmund – Oper in NRW 06/22
Doppelgala im Konzerthaus
Festival Klangvokal in Dortmund – Klassik an der Ruhr 05/22
Shakespeare trifft auf Berlioz
„Béatrice et Bénédict“ an der Oper Köln – Oper in NRW 05/22
Sympathy for the Devil
„Der Meister und Margarita“ an der Oper Köln – Oper in NRW 04/22
Eine Oper für Napoleon
„Fernand Cortez oder Die Eroberung von Mexiko“ in Dortmund – Oper in NRW 04/22
Der Venusberg im Hinterhof
Nuran Davis Caliș inszeniert Wagners „Tannhäuser“ in Wuppertal – Oper in NRW 03/22
„Ich habe keine Fehde mit Wagner“
Regisseur Nuran David Caliș über die große Nähe der Oper zum Kino – Premiere 03/22
Im Stil der Commedia dell‘arte
„Il Barbiere di Siviglia“ an der Oper Köln – Oper in NRW 06/22
Ein schauriges Opernerlebnis
Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ in Essen – Oper in NRW 02/22
„Es wird ganz schön viel zu sehen geben“
„Hänsel und Gretel“ in der Oper Köln – Oper in NRW 01/22
Jazzig aufgepeppt
Das Theater Dortmund zeigt „Die lustige Witwe“ – Oper in NRW 01/22
Späte Ehre für Walter Braunfels
Oper Köln zeigt „Die Vögel“ – Oper in NRW 12/21
„Fünf Uhr, Zeit für den Tee“
„Alice im Wunderland“ als Weihnachtsmusical am Theater Hagen – Oper in NRW 12/21
Singspiel aus dem Bilderbuch
„Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“ – Oper in NRW 11/21
Opernregisseur mit Swing im Blut
Mozarts „La finta giardiniera“ in Essen – Oper in NRW 10/21
Zeitgenössische Oper in Köln
„L‘Amour de Loin“ von Kaija Saariaho – Oper in NRW 10/21
Stolze Malocher und fehlende Maloche
Gelsenkirchen – „Stadt der Arbeit“ – Oper in NRW 09/21
Ziemlich lunar
Oper Köln zeigt „Schnittstellen (II)“ – Oper in NRW 09/21
Opern-Rarität in der Kirche
Benjamin Brittens „Curlew River“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 08/21
Eine fantastisch surreale Orgie
„Bählamms Fest“ bei der Ruhrtriennale – Oper in NRW 08/21