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Yorgos Ziavras
Foto: Jay Raissis

„Die Bühne hat tausend Möglichkeiten“

19. Dezember 2025

Dirigent Yorgos Ziavras über Antonio Vivaldis Barockoper „Griselda“ am Opernhaus – Premiere 01/26

In der selten gespielten Oper wird Griselda wegen ihrer einfachen Herkunft als Königin abgesetzt und muss sich vor König Gualtiero und dem Volk beweisen. Für die Inszenierung von Mathilda du Tillieul McNicol dirigiert der Wuppertaler Kapellmeister Yorgos Ziavras.

engels: Herr Ziavras, aus heutiger Sicht ist es eine eher hanebüchene Geschichte, die Carlo Goldoni da im Libretto zusammengekocht hat. Ist die Musik Vivaldis wenigstens schlüssig?

Yorgos Ziavras: Tolle Frage. Nein, eigentlich nicht. Es ist das Phänomen von Recyceln. Wir wissen ja, dass Vivaldi viele Sachen von sich, aber auch von anderen Komponisten neu interpretiert und geschrieben hat. Er hat ganze Motive oder auch nur Teile davon benutzt. Er selbst war extrem produktiv, deshalb machte diese Arbeitsweise natürlich auch Sinn. Die Oper ist 1735 uraufgeführt worden, und wir finden bis heute keine Entsprechung der damaligen Art von Vivaldi, eigene oder fremdeMelodien oder ganze Themen neu zu interpretieren. Das Stück Griselda selbst ist „High Barock“, ein sehr charakteristischer Sound, dennoch bleibt da ein ganz besonderer Vivaldi-Stil. Man hört die ganze Oper in italienischer Sprache, versteht kein Wort und hat doch am Ende das Gefühl, eine ganze Geschichte erlebt zu haben. Aber natürlich braucht man auch den Text.

Reichen die Übertitel der italienischen Sprechgesänge aus, um der Handlung zu folgen?

Ich glaube schon. Aber wir sind jetzt noch in einer frühen Phase der Entwicklung, bei der Musik, und ich habe noch nicht so viele Details. Aber wir arbeiten in der Paraphrasierung mit einer sehr modernen Geschichte, die Regie mit einer frischen Interpretation, auch über ein sehr wichtiges heutiges Phänomen, aber zusammen mit den Übertiteln wird man das sehr gut verstehen.

Was macht dieses Spätwerk Vivaldis musikalisch so besonders und wieso wird es so selten aufgeführt?

Ich glaube nicht – wahrscheinlich gilt das nur für den Opernbereich, nicht für andere Werke. Vivaldi wird generell nicht so selten aufgeführt. Seine Stücke sind sehr beliebt, es gibt regelrechte Superhits im klassischen Bereich. Aber bei seinen Opern liegt es sicherlich am Barock. Wir sind einer der wenigen Häuser in Europa, die sagen: Wir haben Zeit und wir haben einen Platz, aber auch nur für ein Stück pro Spielzeit. Aber es hat auch damit zu tun, dass es schwierig zu besetzen ist. Allein um die Oper hier am Haus zu spielen, haben wir viele Gäste eingeladen. Selbst im 18. Jahrhundert nach der Uraufführung haben sich die Häuser schon überlegt, dass sie sehr genau wissen müssen, wie es geht, und ob ihre Kapazitäten ausreichen. Es braucht auch eine gewisse Spezialisierung, und deshalb denken viele Häuser erst zwei oder dreimal nach, ob sie das realisieren können. Aber am Ende ist „Griselda“ wie alle anderen Barockopern auch, eine sehr, sehr interessante Oper. Und solange man Regisseur:innen hat, die das Stück lieben und ein tolles Konzept auf den Tisch legen, solange sollte das auch funktionieren.

Aber „Griselda“ lebt doch in erster Linie von den Fähigkeiten der Sänger:innen?

Klar.

Ist es bei einer dreistündigen Barockoper nicht schwierig, die musikalische und visuelle Spannung fürs Publikum zu halten?

Jein. Es ist natürlich richtig. Die Sequenzen sind da natürlich länger, als beispielweise 50 Jahre später bei Mozart. Wenn sie in eine Mozartoper gehen, dann ist die Abwechslung viel größer für unsere modernen Ohren. Das ist aber auch dieses Barock-Klischee: Barockoper heißt Handlung, Arie auf Arie, vielleicht und wenn überhaupt mal ein Duett oder eine kleine Szene mit Allen. Das bedeutet Effekt, ich fühle mich so oder so. Dieser Standard, diese Art und Weise, wie man das normalerweise angeht, könnte für bestimmte Teile im Publikum ein bisschen anstrengend sein. Aber wir sind hier im Theater, die Bühne hat tausend Möglichkeiten, man kann Teile aus dem Werk kürzen oder sogar neue Stücke hineinbringen. Das wäre sogar im Sinne von Vivaldi und Goldoni. Man sollte also keine Angst haben, es für das Publikum leichter zu machen. Solange das Konzept stimmt und die Musik energetisch, feierlich atmosphärisch bleibt, sollte das kein Problem sein.

Es bleiben aber doch recht viele Arien?

Ja doch. Die Balance im Stück ist, ich denke, 50 Prozent Rezitative (instrumental begleitete Sprechgesänge von Solisten, d. Red.) und 50 Prozent Arien. Und das sollte eigentlich ganz gut sein für eine Barockoper.

Oper ist immer auch Inszenierung. Wie arbeitet man da zusammen, passt sich da die Musik der Inszenierung an oder umgekehrt?

Beides. Allerdings passiert das nicht immer. Manchmal sieht man, dass jemand in einer bestimmten Welt in der Regie lebt und der andere ist in der Musik in einer ganz anderen. Wir hier in Wuppertal – und das ist uns superwichtig – investieren da sehr viel Zeit, dass das Werk am Ende in einer gemeinsamen Welt lebt. Und das hat natürlich viel mit der Zusammenarbeit zu tun. Wir hatten stundenlange Meetings mit der Regisseurin –Mathilda du Tillieul McNicol lebt in England, und ich war im August am Strand in Griechenland, und wir hatten dennoch ein dreistündiges Videomeeting gehabt. Zusammenarbeit ist also möglich und es ist auch das Schöne daran. Deshalb mag ich auch die Oper so sehr. Ein Regisseur ist eben auch ein Mitgestalter der Musik und der Dirigent beteiligt sich an der Regie.

Laut Ankündigung ist die Aufführung für Menschen ab 12 Jahren geeignet. Denken Sie das auch – bei einer Barockoper?

Da muss ich noch einmal mit dem Theater sprechen. (lacht) Aber Menschen von 12 Jahren und älter haben heute eigentlich schon viel im Internet gesehen. Man kann also nicht generell sagen, das geht oder es geht nicht. Es gibt natürlich Werke, die sehr, sehr dunkel sind. „Griselda“ hat sicher einige dunkle Ecken, aber die Regie ist dabei, das Stück zu modernisieren und in unserer Zeit zu bringen, und deshalb sind die dunklen Ecken nicht mehr so dominant. Es gibt natürlich auch Regisseur:innen, die das Publikum unbedingt provozieren wollen, und wenn dann provokante Sachen auf der Bühne passieren, dann kann das nicht nur für Menschen ab 12 Jahren, sondern vielleicht auch für Publikum ab 18 zu anstrengend werden. Aber so sind wir hier nicht, und auch, weil „Griselda“ solche Möglichkeiten nicht bietet.

Griselda | 16.1. (P), 7., 14.2., 8.3. | Opernhaus | 0202 563 76 66

Interview: Peter Ortmann

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