engels: Frau Müller, wie geht es Ihnen in der Corona-Isolation? Kommen Sie gut mit der Entschleunigung zurecht?
Petra Müller: Privat bin ich gut zurechtgekommen. Die Kontaktbeschränkungen erscheinen angesichts einer Pandemie verkraftbar, und es ist gut zu sehen, dass Menschen gemeinsam verantwortlich handeln. Beruflich kann von Entschleunigung gerade keine Rede sein. Jeden Tag wird klarer, dass die Corona-Pandemie die Film- und Medienbranche existenziell bedroht. Nach einer Phase der Hochkonjunktur steht fast die gesamte Filmproduktion still, die Kinos sind geschlossen, Filmstarts verschoben. Das ist für Unternehmen und Dienstleister, die in der Regel nicht über ausreichendes Eigenkapital verfügen, eine außerordentlich schwierige Situation.
Vor diesem Hintergrund haben Bundes- und Länderförderer ein Soforthilfeprogramm auf den Weg gebracht für geförderte Produktionen und Verleihprojekte, die abgebrochen oder verschoben werden müssen. Davon abgesehen halten wir unseren Förderbetrieb wie geplant aufrecht, auch damit die Branche Perspektiven für die Zeit nach dem Shutdown entwickeln kann. Anfang April haben wir in unserer ersten telefonischen Fördersitzung über 5 Mio. Euro Förderung vergeben, und die Einreichungen für die nächsten Vergabesitzungen in Film, Serienentwicklung und Games sind auf dem Weg. Wir arbeiten wie die meisten weitgehend im Home-Office, sind aber für Antragsteller*innen und Fördernehmer*innen immer erreichbar. Also für uns eher 24/7 als Entschleunigung.
Die Kultur- und Kinoszene wurde von der Corona-Krise besonders früh und sehr hart getroffen. Was unternimmt die Filmstiftung, um die Kinolandschaft zu retten?
Die Corona-bedingten Schließungen treffen vor allem die Programmkinos dramatisch. Auch hier war schnelles Handeln erforderlich. Bereits Mitte März die Filmstiftung gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen jeweils 5.000 Euro Soforthilfe für ausgezeichnete NRW-Programmkinos entwickelt und ausgezahlt. Darüber hinaus haben wir die Einreichfrist für den kommenden Kinoprogrammpreis verlängert. Wir prüfen gerade, wie und wann die nächste Verleihung der Preisgelder stattfinden kann und sprechen mit der Branche über weitere projektbezogene Fördermaßnahmen. Darüber hinaus haben Land und Bund für Unternehmen und Solo-Selbständige große Hilfsprogramme aufgesetzt, die selbstverständlich auch von Kinobetrieben genutzt werden.
Derzeit wird viel darüber nachgedacht, was wirklich wichtig ist im Leben. Ist Kino mehr als nur ein Luxusgut?
In der aktuellen Situation kommen in der Tat unsere Prioritäten auf den Prüfstand. Dabei zeigt sich die große Bedeutung von Kunst und Kultur, von Musik, von Film, von Festivals und Kulturveranstaltungen, von seriöser Information in Fernsehen und Journalismus. Will sagen: Kultur, Kunst und Kino sind keine Luxusgüter, sondern zivilisatorische Grundnahrungsmittel, womit vielleicht auch die Renaissance der Autokinos zu erklären wäre. Das Kino wird vermisst.
Neben den Kinos sind derzeit etliche Kleinunternehmen in ihrer Existenz bedroht. Was könnte nach der Corona-Krise verloren gegangen sein?
Kleine Unternehmen und ihre Inhaber*innen, Gründer und Startups stehen für Vielfalt und Individualität, für Originalität und Innovation. Einzelhandel, Handwerk und Gastronomie geben unseren Städten Lebendigkeit und Lebensqualität, sie sind Teil unserer Alltagskultur. Bei Lichte betrachtet ist die aber schon seit einer ganzen Weile bedroht, durch Online-Giganten, Lieferservices und Shopping-Malls, nicht zuletzt durch unvertretbar gestiegene Gewerbemieten. Trotz den anlaufenden schrittweisen Lockerungen treibt mich die Furcht um, dass viele kleine Unternehmen die Krise, je länger sie dauert, nicht durchstehen und am Ende im übertragenen Sinne die Armada der Lieferwagen siegt.
Bis zu welchem Grad kann man den aktuellen politischen Vorgaben bedenkenlos folgen, ab wann wird es wirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich gefährlich?
Wir lernen gerade aus Umfragen, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen dem Staat und der Politik verantwortliches und angemessenes Handeln attestiert, im Vertrauen darauf, dass sämtliche Maßnahmen auf Zeit getroffen werden und dazu dienen, Menschenleben zu retten, das höchste Gut. Klar ist aber auch, dass Zwangsmaßnahmen als solche im Widerspruch zu unserer freiheitlichen Grundordnung stehen. Aufmerksamkeit und kritischer Diskurs ist wie immer gefordert, mich beunruhigt zum Beispiel die Vorstellung von Tracking-Apps. Aber dennoch bin ich zuversichtlich, dass die Restriktionen sobald wie möglich zurückgenommen werden, schon allein mit Blick auf unsere Ökonomie und unsere Existenzgrundlagen. Hier ist ja im Interesse aller sehr schnell die Frage zu beantworten, wann und wie Wirtschaft und Industrie wieder anlaufen können.
Die Krisensituation birgt auch Chancen auf Veränderung. Wie erleben Sie den neuen Zusammenhalt in der Gesellschaft?
Was der Spruch von der „Krise als Chance“ bedeuten kann, sehen wir gerade an vielen Stellen. Der neue Zusammenhalt ist erfreulich, auch die Wertschätzung für tatsächlich „systemrelevante“ und viel zu schlecht bezahlte Berufe wie Erzieher*innen, Pfleger*innen, Kassierer*innen oder Lkw-Fahrer – bis auf letztere übrigens zumeist Frauen. Fast scheint es so, als wolle das Virus uns zur Vernunft bringen. Man kann nur hoffen, dass von all diesen Erfahrungen und Einsichten etwas bleibt.
Tatsächlich ist aber noch vollkommen offen, wie lange die Pandemie andauern wird und wie unsere Welt aussieht, wenn sie denn bewältigt ist. Viele erwarten einen Digitalisierungsschub, andere hoffen auf eine Stärkung des Gemeinsinns, gesellschaftlicher Solidarität oder Nachhaltigkeit. Zukunftsforscher sprechen von einer grundsätzlichen Veränderung unserer Denk- und Verhaltensweisen, von einer „Abbiegung“ in der Geschichte, von einer Zeitenwende. Das sind große Worte, aber vielleicht braucht es die gerade.
Stand: 28. April
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