„Wer hier keinen Spaß hat, bekommt sein Geld zurück“. Mit diesem Versprechen begrüßt Anthony McCarten sein Publikum. Aber von den 700 Besuchern auf der MS RheinEnergie will niemand am Ende der Veranstaltung sein Geld zurück haben, sondern das Publikum springt mit dem Schlussapplaus von den Stühlen auf, um den Buchhändlern die Exemplare von McCartens neuem Bestseller „funny girl“ schier aus den Händen zu reißen. Noch vor dem Auftritt bei der lit.Cologne hatte McCarten selbst die Besucherschlangen vor dem Eingang mit seiner Kamera fotografiert. Im Finale entwickelte sich die Lesung dann zu einem Wettstreit zwischen dem Neuseeländer und seinem deutschen Vorleser Rufus Beck. Beide hatten sich da schon von ihren Sitzen erhoben und spielten einen Witz nach dem anderen an der Bühnenrampe als Soloszenen vor.
Den Ausgangspunkt für die Arbeit an diesem Roman bildete hingegen eine Tragödie, die sich in Kanada ereignet hat. Eine Muslimin war von ihren Eltern getötet worden, weil sie einen nichtmuslimischen Freund hatte. Ein sogenannter „Ehrenmord“, der keine weiteren Ermittlungen nach sich zog. McCarten weiß, wie man ein solches Sujet mit optimaler Wirkung literarisch verarbeitet und dabei die Erwartungen der Leserschaft durchkreuzt. Mit „Superhero“ und „Englischer Harem“ hat er dieses Talent schon eindrucksvoll bestätigt. Hier ist es die 20-jährige Acime, die in einer traditionell ausgerichteten kurdischen Familie in London aufwächst. Als eine ihrer besten Freundinnen im Zuge einer Affäre auf rätselhafte Weise ums Leben kommt, beginnt Acime zu recherchieren. Nebenbei besucht sie einen Comedy-Kurs und steht dann irgendwann in einer Burka auf der Kabarett-Bühne. Ein Skandal bleibt unausweichlich.
Schon mit seinem Theaterdebüt „Ladies Night“ bescherte McCarten in den achtziger Jahren den Bühnen dieser Welt ein Erfolgsstück. Der neue Roman lebt von der Fähigkeit des Neuseeländers, dezent aber psychologisch auch umso effektiver Szenen mit einer Situationskomik zu unterlegen, die seine Helden aus der Realität zu katapultieren scheint. So versteht Acime die Heiratskandidaten, die ihr die Mutter auf den Hals hetzt, einen nach dem anderen wirkungsvoll zu desillusionieren. Während die Story im Hintergrund den vorgegebenen Pfaden folgt, entwickeln sich im Vordergrund irrwitzige Dialoge.
Immer auf dem Grat zwischen tragischem Ernst und befreiender Komik manövriert McCarten sein Sujet. Daran erinnerte auch Angela Spizig, die Moderatorin der Veranstaltung, denn McCarten ist kein Autor, der nur ein Erfolgsrezept reproduziert. Obwohl das Tempo zwischen ihm und Rufus Beck – einem der Stars der deutschen Hörbuchszene – von Minute zu Minute Fahrt aufnahm, übersetzte Angela Spizig einwandfrei ins Deutsche. Sie ließ sich nicht von den einsetzenden Lachstürmen überwältigen und bot sympathischer Weise auch jenen Besuchern die Pointen des Dialogs, die nicht des Englischen mächtig sind. Ein Festival braucht solche Veranstaltungen, die rundheraus dem Spaß-Faktor frönen, um den Sog zu erzeugen, der das Publikum in Massen zur Literatur zieht.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Opa, was hast du da angestellt?
Zwei Romane schildern, wie Enkel die Schattenseiten der Familiengeschichte lüften – Textwelten 03/16
Erotik im Dom
Die lit.Cologne weiß mit ihrer 16. Auflage zu überraschen – Textwelten 01/16
Süße Liebe und ekelerregende Gemeinheit
Peggy Parnass kommt zur lit.kid.Cologne – Literatur in NRW 03/15
Amerikaner am Rhein
Die lit.Cologne verspricht ein starkes Programm – Textwelten 03/15
Neunmal volles Haus
Die lit.Cologne Spezial bietet schlagkräftiges Programm – Textwelten 09/14
Ein ruppiges Meisterwerk
Szczepan Twardoch verteidigt „Morphin“ auf der lit.Cologne – Literatur in NRW 03/14
Girls mit Speed im Blut
Jenni Fagan und Stefanie de Velasco am 19.3. auf der lit.Cologne – Literatur in NRW 03/14
Tod auf dem Rhein
Emmanuèle Bernheim am 18.3. auf der lit.Cologne – Literatur in NRW 03/14
Ausgehungert
Auf der lit.Cologne stellt David Peace seinen großartigen Roman „GB84“ vor – Literatur in NRW 03/14
Ein deutsches Panorama, schmutzig und lustvoll
Clemens Meyer präsentiert seinen Roman „Im Stein“ auf der lit.Cologne – Literatur in NRW 03/14
Grenzen überwinden
„Frieda, Nikki und die Grenzkuh“ von Uticha Marmon – Vorlesung 04/24
Verblassende Wirklichkeit
Die Wuppertaler Literatur Biennale – Festival 04/24
Female (Comic-)Future
Comics mit widerspenstigen Frauenfiguren – ComicKultur 04/24
Erwachsen werden
„Paare: Eine Liebesgeschichte“ von Maggie Millner – Textwelten 04/24
Wortspielspaß und Sprachsensibilität
Rebecca Guggers und Simon Röthlisbergers „Der Wortschatz“ – Vorlesung 03/24
Lebensfreunde wiederfinden
„Ich mach dich froh!“ von Corrinne Averiss und Isabelle Follath – Vorlesung 03/24
Das alles ist uns ganz nah
„Spur und Abweg“ von Kurt Tallert – Textwelten 03/24
Spurensuche
Comics zwischen Wirklichkeit, Fantasie und Spektakel – ComicKultur 03/24
Wut ist gut
„Warum ich Feministin bin“ von Chimamanda Ngozi Adichie – Vorlesung 03/24
Unschuldig bis zum Beweis der Schuld
„Der war’s“ von Juli Zeh und Elisa Hoven – Vorlesung 02/24
Das Drama der Frau um die 50
„So wie du mich willst“ von Camille Laurens – Textwelten 02/24
Gertrude, Celeste und all die anderen
Progressive Frauen in Comics – ComicKultur 02/24
Sprachen der Liebe
„So sagt man: Ich liebe dich“ von Marilyn Singer und Alette Straathof – Vorlesung 02/24
Umgang mit Krebserkrankungen
„Wie ist das mit dem Krebs?“ von Sarah Herlofsen und Dagmar Geisler – Vorlesung 01/24
Schlummern unterm Schnee
Alex Morss’ und Sean Taylors „Winterschlaf – Vom Überwintern der Tiere“ – Vorlesung 01/24