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talwaerts-Herausgeber Jan Filipzik und Autorin Kerstin Eiwen
Foto: Nele Niemann

„Wir machen weiter“

27. August 2015

Jan Filipzik und Kerstin Eiwen über die Zukunft der Zeitung „talwaerts“

Vor 14 Monaten startete talwaerts: Eine Zeitung, die sich Zeit nimmt für Wuppertal, nur gedruckt und nicht im Netz erscheint und sich unabhängig von Anzeigen, nur durch Verkauf und Abos finanziert. Am 28.8. erscheint nun die vorerst letzte Ausgabe, denn das talwaerts-Team will sich verbessern, um künftig auch wirtschaftlich funktionieren zu können. In der Zwischenzeit lebt talwaerts im engels-Exil. Was die LeserInnen erwartet und wie es danach weitergehen wird, verraten Herausgeber Jan Filipzik und Autorin Kerstin Eiwen.

Während immer weniger Menschen Zeitung lesen, gründet talwaerts eine neue. Seit wann gibt es euch und was ist das Besondere an eurem Format?

Jan: Die erste Ausgabe ist am 26. Juni 2014 erschienen. Das Besondere ist, dass wir das selbst gemacht haben. Ohne große Sponsoren, ohne Initiatoren und ohne Unterstützung haben wir selbstständig eine Zeitung auf den Markt gebracht, die im Gegensatz zu allen anderen Zeitungen auch auf Anzeigen verzichtet.
Kerstin: Das Besondere ist bei uns, dass wir im Team komplett offen sind. Wenn jemand mit einem Thema kommt, wird es diskutiert und wir können sehr frei damit umgehen, auch in der Form der Umsetzung. Wir sind sehr experimentierfreudig, was man in anderen Formaten, die bestimmte Ressorts haben, nicht sein kann.

Wie viele Mitarbeiter habt ihr?

Jan: Der harte Kern umfasst 20 Leute, im weiteren Kreis sind es ca. 30. Die sind nicht ständig dabei, aber man kann sie anrufen wenn etwas ansteht.

Arbeiten bei euch alle ehrenamtlich?

Jan: Jain. Die Arbeit wird minimal vergütet, aber das ist eher eine Aufwandsentschädigung. Wirklich Geld verdient da niemand.

Wer wählt bei euch die Themen aus?

Kerstin: Bei der Redaktionssitzung werden Themen in die Runde geworfen. Entweder von uns, wenn wir selbst einen Themenvorschlag haben oder von Jan und dann wird diskutiert. Wenn wir uns geeinigt haben, finden wir schnell Leute, die das umsetzen. Wir entscheiden aber viel im Team.
Jan: Wir verfahren da sehr demokratisch. Auch wenn ich ein Thema vorschlage heißt das nicht, dass das gemacht wird. Es kann auch passieren, dass meinen Vorschlag alle blöd finden und dann gibt es das Thema eben nicht. Wir entscheiden immer im Konsens. Es kam bisher aber nie vor, dass wir uns gar nicht einigen konnten ob und wie wir ein Thema bearbeiten, am Ende hat es immer gepasst.

Arbeiten bei euch nur ausgebildete Journalisten oder ist talwaerts ein Projekt für Quereinsteiger?

Jan: Sowohl als auch. Wir haben Menschen mit viel Erfahrung, aber auch welche, die vorher noch nie für eine Zeitung gearbeitet haben.

Wie ist die Resonanz auf eure Zeitung?

Jan: Bei der Konkurrenz hatte ich am Anfang das Gefühl, dass die ein bisschen nachgezogen und sich auch Ideen für die Umsetzung bei uns geholt haben, z.B.  wie man Sachen anders machen kann. Von LeserInnen habe ich oft gehört, dass sie das, was sie bei uns lesen, nirgendwo sonst lesen können. Das betrifft Dinge, die in Wuppertal passieren, das betrifft die Quartiersentwicklung oder Menschen, die etwas Spannendes machen. ‚Ihr seid die, die darüber berichten, was andere nicht machen‘ – das war die Resonanz, die ich immer wieder bekommen habe.

Mit der Aufmerksamkeit und Empathie für Themen und Menschen in Wuppertal gebt ihr positive Signale in die Stadt. Eure Vorgaben sind auch negativ – eure Texte erscheinen fast ausschließlich nur in Print, ihr verzichtet auf Anzeigen. Warum dieser Anachronismus?

Jan: Das wir nicht digital verfügbar sind, hat nichts damit zu tun, dass wir gegen digitale Angebote sind. Wir sind ja auch bei Facebook oder Twitter vertreten und haben auch eine Website. Es hatte eher praktische Gründe, denn der erste Schritt war, eine gedruckte Zeitung herauszubringen. Eine digitale Ausgabe wäre der zweite Schritt gewesen, aber jetzt machen wir erst mal einen Break.

Und der Verzicht auf Anzeigen?

Jan: Das hatte verschiedene Gründe. Zum einen wirtschaftliche. Die Frage für uns war: Braucht man wirklich Anzeigen, um eine Zeitung zu machen? Ich glaube, dass man auf klassische Anzeigen verzichten kann. Es braucht andere Modelle, um eine gewisse Wirtschaftlichkeit zu erreichen, die vielleicht auch bei dem neuen Konzept eine Rolle spielen werden. Und der Markt ist auch bereits relativ gesättigt und wird nicht größer. Da muss man eben kreativ werden. Ein anderer Grund ist: Je weniger man hat, desto unabhängiger ist man auch. Uns kann es nicht passieren dass jemand droht, eine Anzeige zurückzuziehen, wenn wir etwas schreiben. Es ist ein Luxus, wenn man sich über solche Themen keine Gedanken zu machen braucht. Wir müssen vielleicht noch lernen, Firmen oder Unternehmen auf andere Art einzubinden. Die Frage ist, wie man das macht.
Kerstin: Dem Journalismus kommt dadurch auch ein anderer Stellenwert zu, wenn eine Zeitung nicht zu drei Vierteln aus Anzeigen besteht. Wir legen Wert auf große Fotos und natürlich auf die Texte.

Warum gebt ihr euch eher unpolitisch?

Jan: Das ist keine bewusste Entscheidung, sondern den Arbeitsumständen geschuldet. Besonders zuletzt hatten wir viel zu tun und es kostet Zeit, die ganzen Ausschüsse zu besetzen und zu jeder Bezirksvertretersitzung hinzugehen. Es hatte eher strukturelle Gründe, als dass wir uns für eine bewusst unpolitische Ausrichtung entschieden hätten. Wir wären gerne noch politischer gewesen und werden das sicherlich auch künftig werden.

Gibt es ein Thema das ihr angepackt habt, auf das ihr besonders stolz seid?

Jan: Weil es noch aktuell und mir daher besonders im Gedächtnis ist: Die Skinhead-Geschichte ist etwas, was man in keinem anderen Magazin in Wuppertal, außer vielleicht im engels, finden würde. Man muss sich trauen, so ein Thema anzugehen. Der Artikel ist stimmig und in sich geschlossen, der Text ist spannend geschrieben, die Fotos passen dazu – diese Geschichte war ein Highlight für mich.
Kerstin: Der Artikel „Stück Stoff“, in dem es ums Kopftuch ging. Da bin ich zusammen mit einer weiteren Autorin einen Tag mit Kopftuch durch die Wuppertaler Innenstadt gelaufen und habe Saida H. interviewt, die mir erzählt hat, dass das Kopftuch – sofern freiwillig getragen – überhaupt nichts mit dem oft durch Vorurteile geprägten Bild der unterdrückten Muslima zu tun hat. Das war für mich extrem spannend: der Selbstversuch Kopftuch, die Reaktionen von Fremden und Bekannten und die Möglichkeit, sich endlich mal mit etwas auseinander zu setzen, wozu man sonst vielleicht nicht die Motivation oder den Drang hat.

Am 28.8. erscheint die vorerst letzte Ausgabe talwaerts. Kommt nach 14 Monaten „Test“ nun eine ebenso lange Neuorientierung oder habt ihr konkrete Pläne?

Jan: Es gibt schon verschiedene Ideen. Eine konkrete startet im Oktober mit „talwaerts im engels-exil“, was auch ein klares Signal sein soll, dass wir weitermachen werden und an alle geht, die gesagt haben: „Ihr sagt zwar ihr macht eine Pause, aber eigentlich sagt ihr nur schöner, dass ihr aufhört!“ Außerdem gibt es Ideen, Gespräche und auch Zahlen, die relativ genau sind. Aber bis man dazu mehr sagen kann, wird es bis Anfang nächsten Jahres dauern. Wir sind nicht gescheitert. Wir haben 14 Monate eine gute Zeitung gemacht und haben irgendwann freiwillig gesagt, wir machen einen break. Wir hätten noch zwei, drei Monate weitermachen können, aber wir wollten eine Pause und nicht warten, bis alle halbtot in der Ecke liegen. An diesem Punkt jetzt, wo alle noch Lust haben, wollen wir auch überlegen, wie wir uns verbessern können und wie talwaerts auch wirtschaftlich funktionieren kann. Denn dass die Struktur funktioniert, haben wir bereits gezeigt.

Will denn die Mehrheit weitermachen?

Kerstin: Ja! Es ist mega spannend wie sich alles gerade entwickelt. Wir hatten vor der offiziellen Pressemeldung eine Redaktionssitzung, auf der wir entschieden haben, ob und wie wir weitermachen. Es ist bei uns eben nicht so, dass man zuschaut, sondern man kann aktiv mitbestimmen über die Zukunft.

Was können engels- oder talwaerts-Fans machen, um euch aktiv zu unterstützen?

Kerstin: Erzählt es weiter und nutzt aktiv unsere Kanäle auf Facebook und Twitter und zeigt auch dort, dass ihr uns gut findet. Wir sind auch offen für Vorschläge und Feedback.
Jan:
Lest, bleibt aufmerksam und wenn wir irgendwann das neue Konzept talwaerts starten werden, brauchen wir eure Unterstützung, damit es funktioniert….
Kerstin:
…dazu gehört auch finanzielle Unterstützung!
Jan:
Genau. Mich stört diese Diskrepanz zwischen der Wertschätzung von etwas und der Bereitschaft, dafür auch Geld auszugeben.

Wird talwaerts denn wieder ein Kauftitel oder denkt ihr auch über Crowdfunding nach?

Jan: Wir denken auch in Richtung Crowdfunding, ohne es aber so zu nennen, da der Begriff Menschen, die damit etwas Bestimmtes verbinden, ausschließt. Außerdem handelt es sich bei Crowdfunding auch um eine Anschubfinanzierung, die wir nicht benötigen. Ende dieses Jahres werden wir das konkreter sagen können.

Warum eigentlich unbedingt Wuppertal?

Kerstin: Ich bin keine Wuppertalerin, ich bin vor drei Jahren aus Köln zugezogen und fand Wuppertal anfangs ziemlich blöd, bis ich talwaerts entdeckt und dadurch gemerkt habe, dass die Stadt coole Ecken hat und hier viel los ist. Ich bin nun wieder nach Köln gezogen, komme aber trotzdem gerne zu Besuch. Auch wenn Wuppertal noch ein schlechtes Image hat, denn es ist gerade spannend dabei zu sein, wie sich eine Stadt selbst entdeckt und neu erfindet.
Jan:
Ich bin in hier geboren und hab immer hier gelebt. In Wuppertal passiert mehr als in vielen anderen Städten. Lange Zeit ging es gefühlt immer nur bergab und seit vier, fünf Jahren hat sich das radikal gewandelt. Ich finde man merkt auch, dass es bergauf geht. Es gibt Leute, die packen an und wollen etwas verändern. Das ist vergleichbar mit talwaerts: man kann hier dabei sein und aktiv mitmachen, das macht den Reiz aus. Niemand hindert einen daran, außer man selbst.

Jan Filipzik (32) ist Herausgeber von talwaerts, absolvierte Praktika und ein Volontariat im journalistischen Bereich und verdient seinen Lebensunterhalt mit Projektmanagement und Unternehmenskommunikation.
Kerstin Eiwan (22) studiert in Köln Germanistik und Anglistik. Bei talwaerts ist sie Autorin, Lektorin und kümmert sich um den Bereich Social Media.

Interview: Maxi Braun

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