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Izabella Matula als geschundene Luisa Miller
Foto: Jens Großmann

Vom Ende der Unschuld

19. Dezember 2018

Verdis „Luisa Miller“ in Wuppertal – Oper in NRW 01/19

Wenn bei Komponisten von „Frühwerken“ die Rede ist, deutet das meist auf eine gewisse Unausgereiftheit – wenn nicht gar Jugendsünden – hin. Bei Giuseppe Verdi verhält es sich etwas anders. Er war derart produktiv, dass er sich gewissermaßen selber Konkurrenz machte. Mit seiner „Trilogia popolare“ aus Rigoletto, Il trovatore und La Traviata deklassierte er quasi alles vorher Entstandene zu „Frühwerken“ – etwa seine Oper „Luisa Miller“ von 1849 nach Schillers Bürgerlichem Trauerspiel „Kabale und Liebe“. Sie steht nüchtern chronologisch betrachtet in der Mitte seines Opernschaffens – und klingt auch so. Zurzeit erlebt sie wieder eine gewisse Renaissance: Die kommenden Salzburger Festspiele haben sie prominent ins Programm genommen, aber auch kleinere Häuser wie das Landestheater Detmold werden sie bringen. Die Oper Wuppertal macht nun den Auftakt in der Region.

Barbora Horáková Joly, bei den „International Opera Awards“ zur „Newcomerin des Jahres“ gekürt,  hat die Koproduktion mit der „English National Opera“ inszeniert. Ihre Ausdeutung lässt wenig Platz für Fantasie, und so richtig überraschend ist die Grundidee hinter ihrer Umsetzung auch nicht. Doch handwerklich lässt ihre Umsetzung nichts zu wünschen übrig: Da passiert ständig jede Menge auf der Bühne. Langweilen muss sich der Zuschauer an keiner Stelle.

Im Gegenteil setzt die junge Regisseurin zuweilen sogar auf recht drastische Effekte. Da wird aus dem Hintergrund ein zuckendes Bündel in einer Plastikplane auf die Bühne geschleift. Es liegt neben einem Ölfass, das sich Walter, der Oberbösewicht der Geschichte, gerade hat hereinrollen lassen. Mit penibel gestutztem Vollbart und kunstvoll rasiertem Schädel sieht Sebastian Campione in seinem Zweireiher aus wie ein Mafia-Clanchef – und, wie spätestens jetzt klar wird: ein Mörder. Der halbnackte Tänzer unter der Plane landet dann doch nicht im Fass (wie kurz darauf vier andere Mitglieder des Balletts), sondern wird vom Clanchef nur mit einer ordentlichen Portion schwarzer Farbe eingeseift.

Die schwarze Schmiere, die nach und nach die anfangs blütenweiße Bühne (Andrew Liebermann) einsaut, bildet sozusagen den roten Faden der offensichtlich wie im übertragenen Sinne immer düster werdenden Inszenierung. Am Anfang steht die Unschuld von Luisa und Rodolfo: direkt nach der Ouvertüre als Kinder, dann als spießige Jugendliche – er in Bundfaltenhose, Hemd und Strickjacke, sie im Sommerkleidchen, anfangs sogar mit umgeschnallten Engelsflügeln (Kostüme: Eva Maria van Acker). In seiner kleinbürgerlichen Erscheinung ähnelt der junge Liebhaber ganz dem Vater der Braut: Miller. Anton Keremidtchiev sieht in dieser Kostümierung tatsächlich aus wie ein Buchhalter in den 80ern. Glücklicherweise singt er ganz und gar nicht so, sondern entwickelt als liebender, dabei aber überbehütender und eifersüchtiger Vater eine Inbrunst und Intensität, die im wirkungsvollen Kontrast dazu steht.

Auch der polnischen Sopranistin Izabella Matula gelingt in der Titelpartie ein schöner Spagat zwischen jugendlich „reinem“ Timbre und schon zu Beginn sehr selbstbewusstem Auftritt mit deutlich dramatisch fundierter Stimme, deren Potential im Verlauf der drei Akte dann voll zur Geltung kommt. Dirigentin Julia Jones kann bei durchweg großen Stimmen auf der Bühne ganz ungezwungen agieren und entfesselt starke dramatische und dynamische Kräfte im Orchester. Die zarten Momente gelingen ihr ebenso spannungsvoll und klanglich betörend.

Der mexikanische Tenor Rodrigo Porras Garulo gibt einen starken Rodolfo, der in seiner Entwicklung und Ausdruckskraft einen gleichwertigen Gegenpart zur Titelpartie bildet. Zwei Duette zu Beginn und zum Ende des Stücks markieren die ganze Fallhöhe der Tragödie von der unschuldigen Liebe des jungen Paares bis zum verzweifelten Selbstmord. Beide Solisten durchlaufen eine glaubwürdige, stringente Entwicklung. Sie sind beide Opfer einer gewalttätigen, intriganten Gesellschaft. Neben dem schillernden Miller ist der dämonhafte Wurm die treibende Kraft des Bösen. Michael Tews, der mit Gummimaske aussieht wie Lord Voldemort aus den Harry-Potter-Filmen, hat das Düstere auch in der Stimme. Das beeindruckt.

Etwas überraschender schlägt sich auch die junge Witwe Frederica schließlich auf die dunkle Seite. Nana Dzindziguris Mezzosopran hat dafür eindeutig das Potenzial in der Tiefe und auch ihr dominahafter Auftritt im Duett mit Rodolfo überzeugt. Am Ende haben die Tänzer die gesamte Bühne mit vollem Körpereinsatz eingeschmuddelt. Überraschend ist das da schon lange nicht mehr. Und doch verfehlt es seine Wirkung keineswegs.

„Luisa Miller“ | R: Barbora Horáková Joly | 22.12. 19.30 Uhr, 27.1. 16 Uhr, 17., 28.2. je 19 Uhr | Opernhaus Wuppertal | www.oper-wuppertal.de

Karsten Mark

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