It´s the end of the world
as we know it
Früher war alles besser. Ach nee, werden Sie jetzt sagen. Das kennen wir doch. Sagt doch jeder, der ein gewisses Alter überschritten hat. Früher war gar nicht alles besser. Fortschritt muss eben sein. Natürlich gab es keine Abwrackprämie und keine geklonten Kamele. Beides brauchte auch niemand. Denn der Wirtschaft ging es gut, und in Dubai standen nur Beduinenzelte.
Was will Ihnen das sagen? Dass die goldenen Zeiten vorbei sind, werden alle gemerkt haben, dass das Ruhrgebiet heute einen blauen Himmel hat, auch. Nur die städtebaulichen Hinterlassenschaften aus der herrlichen Kohle- und Stahlzeit haben mit Fortschritt irgendwie nichts zu tun, dazu kleben sie fein und teuer restauriert an den Beinen der Stadtkämmerer, deren Einnahmen schwinden, die Kreisverkehre nehmen zu. Also fällt das kommunale Laufen mit behängten Extremitäten immer schwerer. Auf der einen Seite drücken die Pflichtaufgaben, auf der anderen die freiwilligen Leistungen und im Hintergrund Bezirksregierungen, die städtische Ausgaben jedweder Art am liebsten für fünf Jahre lang einstellen würden – alles natürlich im Sinne des Steuerzahlers. Aber das geht natürlich nicht, wir sind ja leider keine geklonten Bürger.
Als ob das alles nicht Magenbitter allein erforderlich machen würde, nun gehen die zahlreichen Theater an Rhein und Ruhr auch noch in die Offensive um einen finanziellen Rettungsschirm. Jahrelang wurde dort – anders als in Soziokultur oder freier Künstlerschaft – aus dem Vollen geschöpft, jetzt ist die Krise angekommen. Kunst im öffentlichen Dienst sozusagen, mit gewerkschaftlichen Tariferhöhungen für kommunale Angestellte – und mit Intendantengehältern im Finanzdebakel-Manager-Bereich. Dazu ein immer krähender Bühnenverein. Und die Gegenleistung? Mittelmäßige Bühnen, wohin man sieht, überflüssige Inszenierungen an allen Orten.
Klar, dieses System bundesdeutscher Ensemble-Häuser wird von Kulturschaffenden in Europa bewundert. Und da geht auch mal ein Johan Simons gern als Intendant an die Münchener Kammerspiele, ist schließlich wie ein Rentenvertrag. In anderen Kultursparten ist das nicht anders. Renommierte bildende Künstler oder Musiker prügeln sich dort genauso um die raren, aber gut dotierten Professorenstellen.
Kunstmuseen scheinen nicht eine solch große Lobby zu haben. Ihre Ankaufetats haben sich bis zur Klümpchengrenze verringert. Ihre Häuser sind häufig auf dem technischen Stand der 1970er Jahre. Wo früher, als eben doch alles besser war, noch Kommunen ihre heimischen Künstler durch Ankäufe hier und da unterstützt haben, herrscht heute längst Kunstdruck-Schimmel in den einsamen Rathausfluren. Wo früher preiswerter Industrieraum für Ateliers und Musiker-Probenräume vorhanden war, hocken heute die Edelimmobilienfritzen, oder es gähnt teuer sanierter Theaterraum. Das also ist der kulturelle Fortschritt, und das ist alles besser?
Und jetzt sind die theatertragenden Städte aus eigener Kraft auch nicht mehr in der Lage, die finanziellen Defizite ihrer Bühnen zu beseitigen? Hätten Künstler, Musiker und Literaten in der Vergangenheit auch besser Schulden machen sollen, um sich jetzt mit einem Pakt-Angebot an das Land NRW zu wenden? Ich bin mir nicht mehr sicher, ob die Komplett-Subventionierung einer einzigen Kunstsparte tatsächlich der Weisheit letzter Schluss ist. Zu fordern ist eine Erhöhung der Kulturetats in Bund, Land und Kommunen, aber nicht in der Hauptsache für Schauspielhäuser, denn die kommt dann eher geklonten Kamelen zugute.
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