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Foto: Bettina Steinacker

„Wir müssen erreichen, dass Menschen mehr miteinander reden“

31. Januar 2019

Ali Can und Reinhard Wiesemann über das neugegründete „VielRespektZentrum“ – Spezial 02/19

Passanten treten ein, um den Gebetsraum zu nutzen; andere suchen vertraute Gespräche: Der junge Begegnungsort steckt bereits voller Leben. Ein trailer-Interview über Respekt, Rassismus und AfD-WählerInnen. 

engels: Ali, Reinhard Wiesemann hat dir gerade als Einweihungsgeschenk ein eingerahmtes Zitat übergeben. Was hat es damit auf sich?
Ali Can: Das ist mein Lieblingssatz: „Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort. Dort treffen wir uns.“ Der wird sehr oft in Kontexten benutzt, in denen Menschen sich begegnen. Wo man sich verständigen und verstehen möchte. Wo man sich kennenlernen und nicht verurteilen möchte. Wo man sein kann, wie man ist. Und das mag ich an diesem Spruch.

Wie sehr trifft dieses Zitat bereits auf das Zentrum zu?
AC: Es ist ein Ort, wo man Zeit verbringen kann. Unser Ziel ist, dass sich hier Menschen begegnen, die sich im Alltag weniger begegnen würden. Das stellen wir dadurch sicher, dass wir die Räume verschiedenen Themen gewidmet haben. Sodass unterschiedliche Gruppen kommen, die angesprochen werden. Ein Beispiel: Wir sind jetzt hier im Raum des Glaubens und hier können Menschen über Gott und die Welt sprechen. Bei der Eröffnung gab es hier Tee und ganz viele Besucher kamen. Sie haben mitgetrunken und sich gemütlich unterhalten. Und in diesem Stil versuchen wir, in den anderen Räumen durch andere Kleinigkeiten Menschen dazu zu bringen, dass sie dort Zeit verbringen. Es gibt z.B. einen Raum der Stille. Dann haben wir hier noch einen Raum der Wissenschaft. Heute haben wir z.B. das Institut für Türkei-Forschung und Integration hier. Was uns ganz wichtig ist: Die Räume und die Ressourcen gehören niemandem und werden auch nicht vermietet. Wir kooperieren nicht in dem Sinne, dass wir sagen: Dieser Raum gehört von Dienstag von dann und dann dem...
Reinhard Wiesemann: ...oder den Gemeinden oder dem Imam. Das gibt es nicht. Es ist nur dem Thema, nicht einer bestimmten Gruppe gewidmet.

Ali Can
Foto: Bettina Steinacker
Zur Person
Ali Can
(geb. 1993 in der Türkei) ist ein 25-jähriger Autor und Sozialaktivist. Als Initiator der „Hotline für besorgte Bürger“ 2016 und der „Großdemo gegen Hass und Rassismus im Bundestag“ 2017 und des Hashtags #MeTwo hat Can nationale und internationale Bekanntheit erlangt. Im Januar 2019 gründete er gemeinsam mit Reinhard Wiesemann das erste VielRespektZentrum in Essen.

Ali, du hast eine Hotline für „besorgte Bürger“ angeboten. Wie sehr dürfen auch hier Kontroversen und Streitgespräche auf den Tisch kommen?
AC: Es gibt auch einen Raum für Menschen, die diskutieren wollen. Vorgestern kam jemand, der unseren Ansatz gut findet. Aber er hat eine Erfahrung gemacht, in der er sich als Rassist abgestempelt fühlte.

Inwiefern?
AC: Er hatte mal ein Gespräch, als seine Tochter zum Auslandsaufenthalt in den USA war. Dafür hat er viel gespart. Seine Tochter sollte die amerikanische Kultur kennenlernen. Sie war als Au-pair bei einer Familie und hatte dort Probleme. Daher sollte sie zu einer anderen Familie. Diese waren aus Indien gekommene Amerikaner, die erst seit sechs Jahren dort sind. Am Telefon hat er dann die Agentur gefragt: Wenn sie erst sechs Jahre da sind, inwieweit sind sie denn mit der amerikanischen Kultur vertraut? Feiern sie die Feiertage mit? Können sie gut Englisch? Er wusste nicht, ob es eine gute Idee ist, seine Tochter dort hin zu schicken. Nicht weil sie Inder sind, sondern weil er wollte, dass seine Tochter das „Amerikanische“ kennenlernt. Er hat ja so viel Geld bezahlt als ganz normaler handwerklich Berufstätiger. Deswegen hat er das geäußert. Und die Mitarbeiterin der Agentur am Telefon war selbst indischstämmig und hat sich dann angegriffen gefühlt. Für sie war das diskriminierend.

Reinhard Wiesemann
Foto: Bettina Steinacker
Zur Person
Reinhard Wiesemann
(geb. 1959) gründete 2004 das Essener Unperfekthaus, ein Zentrum für Gründer und Künstler mit z.Zt. über 1500 Aktiven aus 26 Ländern und jährlich weit über 100.000 Besuchern. 2012 erweiterte er das auf „Tun“ ausgerichtete Unperfekthaus um ein Mehrgenerationenhaus, das den Aspekt "Wohnen" hinzufügt.


Wie hätte eine Kommunikation ausgesehen, die Vorurteile abbaut?
AC: In der Kommunikation hat sie nicht den Raum gelassen, ihm vielleicht zu erklären, dass die indischstämmige Familie genauso amerikanisch ist und dass es in Amerika mit dem „Melting Pot“ sowieso nochmal anders ist. Dieses kulturspezifische Wissen hat sie ihm nicht erklärt, um damit die Sorge zu nehmen. Sie wollte irgendwann nicht mehr mit ihm reden. Das hat er mir dann erzählt – auch dass er gar kein Interesse daran hat, jemanden auszugrenzen. Aber er hatte einfach konkrete Gedanken und Ziele mit dem Aufenthalt. Und das ist der spannende Punkt: Die Hälfte der offenen, toleranten Menschen setzen voraus, dass alle Menschen das auf Anhieb genauso sehen müssen und das genauso gelernt haben.

Und Toleranz können Menschen durch respektvolle Kommunikation lernen?
AC: Er ist jetzt daran interessiert, als jemand, der noch nicht so viel Erfahrung hat mit Ausländern – so sein O-Ton –, wie er besser kommunizieren kann.
RW:Man muss auch den Menschen entgegenkommen, die Vielfalt gar nicht so sehr leben wollen. Niemand muss gezwungen werden, sich mit dem Islam oder sonst was auseinanderzusetzen. Den Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – keine Lust dazu haben, muss man auch helfen, damit klar zu kommen. Wenn ich kein Fußballfan bin, dann kann ich in Deutschland wunderbar leben. Solange ich nicht anfange, Fans anzupöbeln. Wenn ich respektvoll bin, dann bin ich still und akzeptiere das. Ich gehe nicht hin, rede nicht mit ihnen, weil es nicht mein Ding ist. Aber ich respektiere das. Genauso ist es auch mit der Vielfalt. Das ist ein wunderbarer Ausweg für alle, die sich überfordert fühlen. Viele Menschen haben nichts dagegen, sie haben nur Angst vor der Überforderung.

Foto: Bettina Steinacker

Ali, in einem Interview nach der letzten Bundestagswahl hast du mal erwähnt, dass auch AfD-WählerInnen bzw. SympathisantInnen ihre Haltung reflektieren werden. Siehst du das immer noch so?
AC: Das denke ich. Wenn du von Menschen redest, die mit der AfD sympathisieren oder sie wählen, dann bin ich mir sehr sicher, dass mehr als die Hälfte keine Programmwähler sind. Oft ist es ein Zeichen gegen das, was sie als etabliert wahrnehmen. Das sind Protestwähler. Damit drücken sie ihre Unzufriedenheit aus. Aus meinen Erfahrungen und Gesprächen: Die Hälfte der AfD-Wähler sind Menschen, die etwas mit Vielfalt anfangen können. Wir müssen dahin kommen, dass sie das machen und nicht mehr eine Partei wählen, in der Holocaust-Leugner sind und die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Wir müssen erreichen, dass Menschen mehr miteinander reden. Ich bin sehr davon überzeugt, dass Gespräche wichtig sind und dass man sich auf Augenhöhe begegnet. Auch ich lerne hin und wieder was aus Gesprächen mit AfD-Wählern bzw. Sympathisanten. Da bin ich optimistisch, dass wir durch Gespräche friedlich miteinander leben können.

VielRespektZentrum | Rottstraße 24-26, 45127 Essen | www.vielrespektstiftung.de

Interview: Benjamin Trilling

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