Für einen Spaziergang nach Haus und vor den Computer: „Streamen“ als (nötiger) Ersatz für einen Stadtteilspaziergang darf erst einmal befremden. Schnell war aber versöhnt, wer sich dem nämlichen durchs Quartier Ostersbaum anschloss, nicht zuletzt weil dieser ganz Reales im Blick hat – und sich im Vorfeld eines ebenso realen Datums sieht: Am 20. Juni soll der Ortsteil nicht den Autos gehören, sondern gelebten Visionen – nach pandemiebedingter Verschiebung im Vorjahr.
Dieser dritte von fünf Terminen widmete sich dem Ostersbaumer Teilgebiet „Pelerinenviertel“. Die Teilnehmer kamen diesmal gutteils aus der Politik: Johannes van Bebber ist SPD-Stadtverordneter für den Ostersbaum, auch Parteigenosse Markus Stockschläder sitzt im Rat ebenso wie CDU-Frau Anja Vesper-Pottkamp. Hinzu kam etwa Egbert Fröse, Musiker und Aktiver vor Ort (Kulturreihe „Ostersbaumer Lagerfeuer“ und Bürgerverein „Zukunft Ostersbaum“). Sie alle waren dabei und nicht dabei, sprich nur digital; ganz wirklich durch die Straßen führte dagegen Gabi Kamp, die verdienstvolle Chefin des Nachbarschaftsheims. Vielleicht am echtesten, nämlich aktive Anwohnerin, war die nur als „Frau Schomann“ betitelte Anwohnerin, die hier im pandemiegebeutelten 2020 nicht zuletzt für gemeinsames Singen stand: „Das hat uns so zusammen gehalten.“
Zusammenhalt erwies sich denn auch als roter Faden durch den sonntäglichen Gang; ein noch praktischerer freilich war die Nahversorgung. Ein Supermarkt der besseren Art hat seine Pforten geschlossen, ein Discounter war in der Runde nur mäßig ersehnt, wird laut Politik wohl aber kommen. Besagte Gemeinschaft, darin bestand Einigkeit, wird dieser kaum fördern, statt dessen ergab sich einiges an Ideen am Wegesrand. Und wer seine Reserven gegenüber dem Online-Behelf zwischenzeitlich hintan stellte, mochte anerkennen: Zumindest bei diesem halb-realen Hybrid, Gabi Kamp hatte etwas von Außenreporterin, lässt sich an möglichen Kommunikations-Orten einiges entdecken – ein beliebter Bäcker etwa und ein Stoffladen. Komplette Zukunftsmusik das und nicht im Ansatz spruchreif, aber anderswo „brainstormt“ man ja auch produktiv ins Blaue.
Entdeckungen am Wegesrand
Zum „Tag des guten Lebens“ (TDGL): Anfang 2020, beim großen Auftakt im Nachbarschaftsheim, war das in Köln erprobte Konzept für Wuppertal eingeführt worden, dem es etwa um Abkehr vom Konsum und um Ökologie zu tun ist – und all das präsentiert in viel freiem Stadtraum, der dazu erst mal frei zu räumen ist: frei von Autos. Eine gute Spur Anarchie. Ist da ein Streifzug wie heute nicht traditioneller, als es die freche Aufbruchstimmung vermuten ließ?
Es ist wohl umgekehrt: Auch beim Thema Stadt(teil)entwicklung ist das große Zauberwort sinnvollerweise die Nachhaltigkeit. Jeden Montag kommt inzwischen ein Kreis aus Aktiven zusammen, geht Bedarfslagen praktisch an. Diese ganz zupackende Resonanz übertrifft in ihrer Dimension offenbar die Erwartungen: „Wir sehen uns fast schon überlaufen“, stellt Alexandra Rosenbohm vom TDGL erfreut fest und bestätigt: „Der Tag des guten Lebens fungiert als eine Art Vehikel für die nachhaltig gedachte Nachbarschaftsarbeit.“ Arbeitsgemeinschaften sind demnach längst gegründet, aktuelle Erträge reichen von der Bücherbox bis zur Kooperation mit dem Sinfonieorchester. Und Themen des heutigen Gangs wie Versorgung und Gemeinschaft? Klingt keinesfalls nach kurzem Hype. In diesem Sinn dauerhaft für ein Viertel zu wirken: Das mag gerade das stillere Durchforsten brauchen – demnächst auch wieder real. Auf einen Tag soll ja das gute Leben nicht beschränkt sein.
Mehr: Tag des guten Lebens Wuppertal
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