The Long Walk – Todesmarsch
USA 2025, Laufzeit: 108 Min., FSK 16
Regie: Francis Lawrence
Darsteller: Cooper Hoffman, David Jonsson, Garrett Wareing
>> www.thelongwalk-film.de/
Dystopischer Horrorthriller
The Walking Dead
„The Long Walk – Todesmarsch“ von Francis Lawrence
Das Grundgerüst zu seinem Roman „The Long Walk“ verfasste Stephen King bereits mit 19 Jahren im Jahr 1966. Erst nach seinem Durchbruch mit „Carrie“ 1974 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Richard Bachman dieses Frühwerk, das sich schließlich erfolgreich verkaufte, nachdem Bachmans wahre Identität ans Licht kam. Zugrunde liegt ein einfaches Erzählkonstrukt mit maximalem Spannungsbogen: In einem autoritären Staat treten wie in jedem Jahr 100 junge Männer zu einem Wettlauf gegeneinander an. Oberste Regel: Sie dürfen die Laufgeschwindigkeit von 4 Meilen (6,4 km) pro Stunde nicht unterschreiten. Bei Verstoß gibt es maximal drei Verwarnungen, die jeweils 30 Sekunden Bestand bis zur nächsten haben – beim vierten Verstoß wird man erschossen. Wer also zwei Minuten am Stück stehen bleibt, stirbt – und wer als letzter steht, gewinnt. Dem Sieger wird jeder Wunsch erfüllt. Die deutsche Romanfassung hat einen Umfang von 300 Seiten – es wird also im Schnitt auf jeder dritten Seite ein Tod abgehandelt. Mal mehr, mal weniger ausgiebig. Auch da muss man durch.
Die Weltlage rund um das Todesspiel hat Stephen King weitestgehend vernachlässigt: Man erfährt lediglich von einem deutschen Blitzkrieg während des Zweiten Weltkriegs an der amerikanischen Ostküste, von einer deutschen Nuklearbasis in Santiago, davon, dass es einen „Wechsel“ gab, die Nationalgarde seither regiert und dass es keine Millionäre mehr gibt. Außerdem gibt es den 31. April. Will sagen: Die Geschichte ist schon 1966 keine reine Dystopie – wir befinden uns in einem Paralleluniversum. In einem dystopischen Paralleluniversum.
Die Verfilmung ist, wie der Roman, in den USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesiedelt, die Automodelle lassen auf die 80er Jahre schließen. Man befindet sich im 20. Kriegsjahr, um die Wirtschaft steht es schlecht. Auch hier regiert ein autoritärer Staat mit blutiger Hand und Denkverboten, der jährliche Todesmarsch dient der Ertüchtigung von Wirtschaft und Bruttosozialprodukt. Drehbuchautor J.T. Mollner ("Strange Darling") stutzt die Riege der „Freiwilligen“ für den Film klugerweise auf 50 Teilnehmer, was den Überblick in den 108 Filmminuten effektiv erleichtert. Für die Filmhandlung gestattet man den Marschierern eine Laufgeschwindigkeit von 3 Meilen pro Stunde (4,8 km), dafür verschaffen einem die drei Verwarnungen nur noch je 10 Sekunden zum Verschnaufen, was so manchen Konflikt – man denke allein an den Stein im Schuh – rapide verschärft.
Insgesamt gestaltet sich auch die Adaption durchweg packend. Unter Regisseur Francis Lawrence wechselt sich Grausamkeit ab mit steter Interaktion der Marschierenden, unter ihnen Ray (Cooper Hoffman, „Licorice Pizza“) und Pete (David Jonsson, „Alien: Romulus“), die schon bald brüderlich zusammenwachsen. Andere bringen Unfrieden in die Truppe oder, Pech, beißen wegen eines dummen Krampfes direkt ins Gras.
Schon Stephen King hatte meisterlich und effektiv den Motor seiner gradlinigen Ausgangsidee am Laufen gehalten, beflügelt durch ein Miteinander, das zugleich ein Gegeneinander ist. Der Film erzählt das packend – nicht zuletzt aufgrund seiner Akteure, die ausnahmslos überzeugen auf einer Odyssee durch Schock und Erschöpfung, Panik und Ohnmacht, Trotz und Kapitulation. Die Figuren sind greifbar, der Film vermag so mitunter mehr noch als das Buch zu berühren – auch, wenn er dafür gelegentlich knapp ins Pathos abdriftet. Alles hier ist sehr lebendig. Und rabiat: Wir haben es hier mit einem Horrorthriller zu tun.
Insgesamt eine gelungene Adaption – mit Abstrichen: Zum einen veranschaulicht Lawrence nicht deutlich genug den körperlichen Verschleiß gewisser Protagonisten. Das epische, stetige Dahindarben bekommt Lawrence mit seinen 108 Filmminuten nicht so anschaulich vermittelt wie die 300 Romanseiten, die sich gefühlt in Echtzeit lesen. Zum anderen verwehrt sich der Streifen einer Gesellschaftskritik, die sich aufdrängt und hochaktuell wäre: Täter ist bei Lawrence der Staat. Punkt. Da war schon der junge Stephen King wacher, der den kranken Voyeurismus der Zuschauerschaft am Todesspiel wiederholt anteaserte. „The Long Walk“ hätte ein Film werden können, der sich einreiht in Dystopien wie Tom Toelles „Das Millionenspiel“ oder Francis Lawrences eigenen „Die Tribute von Panem“. Formate, in denen tödliche Spiele nicht bloß Ausgeburten autoritärer Herrscher sind, sondern zugleich abgestumpfte Massen bei Laune halten. Filme, die hinterfragen, wie schmal der Grat ist zwischen der wachsenden Wählerschaft einer Partei, deren Führer:innen „wohltemperierter Grausamkeit“ als Zielmarke setzen oder für einen Schusswaffen-Einsatz gegen Wehrlose plädieren – und dem Gladiatoren-Kampf im Kolosseum. Hier verschenkt der Film Potenzial, so wie einst schon „The Running Man“ (ebenfalls basierend auf einem Roman von Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachman – der noch in diesem Jahr als Neuverfilmung ins Kino kommt).
Am Ende bleibt „The Long Walk“ ein ordentlich inszeniertes und hervorragend gespieltes Anti-Roadmovie mit brachialen Spitzen und gutem Spannungsbogen. Ach ja: Und mit einem Mark Hamill als Major und Spielleiter, der in seiner markanten Kernigkeit an die Karikatur heranreicht. Aber das ist ja bei derlei Filmfiguren nicht unüblich, man denke bloß an R. Lee Ermey als Sergeant Hartman in „Full Metal Jacket“. Von außen betrachtet ist so ein selbsternanntes Alphamännchen eben am Ende meistens bloß ein Clown. Ein erbärmlicher Clown. Und viel zu oft ein erbärmlicher Clown mit Blut an den Händen.
(Hartmut Ernst)
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