Im Sommer 2012 titelte die Süddeutsche Zeitung „Wohnst du noch oder residierst du schon?“ und zeichnete darin den langsamen aber stetigen Weg der Gentrifizierung deutscher Städte nach. Mittlerweile ist dieser Wandel so weit fortgeschritten, dass es in Städten wie Hamburg, München oder Köln kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt. Auch der Wohnraum im einst sexy armen Berlin wird knapp.
Gentrifizierung kann durch unterschiedliche Veränderungen stattfinden, sei es durch Investor*innen, Sanierungen, Eröffnung neuer Läden oder durch soziale und kulturelle Aufwertung durch Projekte und Initiativen. Sie führt aber so gut wie immer dazu, dass zahlungsstärkere Eigentümer*innen und Mieter*innen in bestimmte Viertel einer Stadt ziehen, wodurch allmählich die zahlungsschwächeren Bewohner*innen verdrängt werden.
Ein Versuch der Bundesregierung, dies einzudämmen, trat zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft: die Mietpreisbremse. Durch sie müssen Vermieter*innen nun bei der Neuvermietung offen legen, wie hoch die vorherige Miete war und dürfen in Wohngegenden, in denen die Situation als angespannt gilt, die Miete um maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete ansetzen. Es gibt natürlich Ausnahmen und Schlupflöcher, etwa bei Neubauten oder notwendiger Modernisierungsmaßnahmen. Dadurch soll neuer Wohnraum geschaffen werden und alter weiter erhalten bleiben. Zum 1. Oktober wurde nun eine Erweiterung eingeführt, nach der zu viel bezahlte Mieten für einen gewissen Zeitraum zurück verlangt werden können.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellte nun fest, dass zwar eine „messbare Bremswirkung“ festzustellen war, aber gleichzeitig in Gebieten mit aktiver Mitpreisbremse die Mieten trotzdem stärker gestiegen seien, als in Gegenden, in denen das Gesetz nicht angewandt wird. Denn obwohl die Bundesregierung plant, die Regelung bis 2025 zu verlängern, machen einige Bundesländer von Anfang an nicht mit, oder sehen keinen Sinn in einer Verlängerung – so zum Beispiel Nordrhein-Westfalen.
Wenn man sich die Wohnsituation in Köln ansieht, scheint ein Eingreifen eigentlich nötig. In Wuppertal hingegen noch nicht wirklich. Die Mieten sind zwar auch hier gestiegen, jedoch erst seit 2016 und auch nur in einzelnen Vierteln. Zusätzlich gibt es weiterhin freie Wohnungen zu akzeptablen Preisen. Laut der Mietspiegeltabelle von 2018 zählt Wuppertal damit zu den Städten, wo die Mietpreise am wenigsten steigen. Allerdings wird der Wohnraum im Tal immer begehrter, wenn er in den umliegenden Städten knapper wird. Ein Anstieg der Mieten ist eigentlich nur eine Frage der Zeit.
Als 2014, also lange vor der Mietpreisbremse, der neue Besitzer zweier Häuser auf dem Ölberg die Mieten auf Grund fadenscheiniger Sanierungsmaßnahmen anheben wollte, machten die Mieter*innen das, was im Bergischen am besten funktioniert: Sie schlossen sich zusammen, aktivierten die Öffentlichkeit und zwangen ihren neuen Vermieter sein Vorhaben zurückzunehmen.
Solch ein solidarischer Zusammenschluss wird bei Aufhebung der Mietpreisbremse wohl weiter notwendig sein – zumal in vielen Gegenden alte Häuser – endlich – reihenweise saniert werden. Was auf der einen Seite sehr wünschenswert ist, um nicht weitere „Schrottimmobilien“ zurückzulassen, birgt gleichzeitig die Gefahr, dass die Wohnungen in eben diesen Häusern teurer werden. Hier müssen Vermieter*innen aufpassen, ihre Verantwortung nicht auf die Mieter*innen abzuwälzen, sondern einen gerechten Weg finden, den Wohnraum zu erhalten und vermietbar zu gestalten.
Recht auf Wohnen - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Aktiv im Thema
difu.de/publikationen/difu-berichte-342016/gentrifizierung-gentrifizierung-gentrifizierung.html | Das Deutsche Institut für Urbanistik diskutiert den schwierigen Begriff der Gentrifizierung.
realize-ruhrgebiet.de | Blog des offenen Netzes “Recht auf Stadt – Ruhr”.
kottiundco.net | Die Mietergemeinschaft am Kottbusser Tor streitet mit klaren Forderungen u.a. für eine Kommunalisierung des Sozialen Wohnungsbaus.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Verdrängung aus dem Lebensstil“
Soziologe Jörg Blasius über Gentrifizierungs-Mythen
Die Interessenvertretung der Mieter
Der Mieterbund Wuppertal hilft bei Problemen mit Vermietern
Erst die vier Wände, dann die Resozialisierung – Vorbild Finnland
Das Programm „Housing First“
Traumhaft
Innenansichten einer Wohnung
Fair handeln
Moralische Verantwortung in Handelsketten
Ein Hauch von Chile ’73
Kapital und Demokratie – zwei Seiten einer Medaille? Wohl eher nicht!
Der Kampf um das neue Öl
Lithium entwickelt sich zum wichtigsten Rohstoff der Zukunft – mit verheerenden Folgen
Weil sie Frauen sind!
Femizid als Straftatbestand – laut Bundesregierung eine unnötige Differenzierung
Was Frauen wirklich schützt
Politische Programme gegen männliche Gewalt sind zu wenig
Doppelt unsichtbar
Strukturelle Gewalt gegen Frauen muss endlich beim Namen genannt werden
Heillos
Schulmedizin oder Alternativmedizin? Warum nicht einfach „und“ statt „oder“?
Ibuprofen wie Smarties
Fatale Folgen bei unreflektiertem Umgang mit Schmerzmitteln
Auf Tilidin in die Charts
Ist der Hip-Hop schuld am wachsenden Medikamentenmissbrauch?
Wildnis im Kleinen
Mit Unordnung gegen das Artensterben
Kapitalismus-Greenwashing
Der Markt hat‘s kaputt gemacht, der Markt soll’s richten
Bienenretten war gestern
Bayerns Artenvielfalt-Gesetz: innovativ oder schlüpfrig?
Ökologisch ausersehen
Die alternativen Wahrheiten der Bio-Szene
Wider alle politischen An- und Abstandsregeln
Hygienedemos: Berechtigt oder dumm?
Angst essen Ratio auf
Wie mit Verschwörungsgläubigen umgehen?
Ohne Folgen?
Die Konsequenzen aus der Berateraffäre im Verteidigungsministerium
Arm in die Krise
Bedürftige und ihre Helfer trifft Corona besonders hart
Im Wettlauf gegen den Keim
Stehen wir vor der post-antibiotischen Ära?
Kranke sind keine Kunden
Covid-19 verdeutlicht einen 30-jährigen neoliberalen Irrweg
Was für Systemrelevante relevant ist
Von der Ökonomie zum Patientenwohl: Corona als Chance?
Freie Bewegungen auf unfreien Plattformen
Wie politische Bewegungen an ihren eigenen Widersprüchen leiden