Ich, der Mittelpunkt? Vollkommen falsch, „die Galerie ist kein Ort, an dem ich mich selbst ausstelle. Ich habe genug gemacht. Ich hatte meine Shows“, beantwortet Jürgen Grölle, genannt „Bolle“, die Frage, was es mit seiner Galerie auf sich hat. Platz für schulterklopfende Umarmungen oder spitzlippige Küsschen sind auch schwer vorstellbar, und die Seiten gewechselt hat der Mann, der 1958 in Wuppertal geboren wurde, ebenso wenig. Für Bolle ist pass:projects schlichtweg folgerichtig im Kontext dessen zu sehen, was er schon immer gerne gemacht hat: künstlerisch zu arbeiten und Leute zusammenzubringen. „1981 habe ich am Haspel angefangen, Kommunikationsdesign zu studieren. Zusammen mit einem Freund habe ich ein Jahr später eine alte Scheune ausgebaut und hatte damit ein großes Atelier. Schon damals fand ich die Idee, Crossover zu zeigen, gut. Es war eine phantastische Zeit“, erinnert er sich.
Mit Bedacht hat er den Namen für seine Galerie gewählt. „Pass“ steht für Grenzüberschreitung, Vernetzung und Interdisziplinarität, aber auch für eine Gangart bei Tieren, erklärt er. Und dann wird es assoziativ, geht zu Pass-Übergängen im Gebirge, Passagen und dem sportlichen Passspiel ebenso wie zum englischen „deerpass“ („Wildwechsel“) oder „Passport“ (Ausweis). Biomorph und fließend ist die Definition, unangepasst und vielleicht auch sperrig, vielleicht geht es um Grenzen und deren Überwindung.
Angstfreier Rabauke im Experimentierfeld
Nach dem Tod des Vaters kaufte er sich beispielsweise ein Saxophon. „Mein Vater sagte immer, ich sei eine unmusikalische Nuss.“ Außerdem hätte das Instrument so schön golden geglänzt, behauptet er heute. Und dann fing er an zu spielen, von Notenlesen hatte er keine Ahnung, aber Kontakt zu Peter Kowald und Peter Brötzmann nahm er gleich furchtlos auf. „Die haben mich echt an die Hand genommen“, gemeinsam musizierte man, und so kamen wieder Leute zusammen, eine „unglaublich dicht vernetzte Szene“. Auf einer Studienreise mit Bazon Brock, bei dem er damals studierte, nach Wien blieb er in der „Stadt mit diesem morbiden Charme“ hängen. „Vor allem waren dort junge, dynamische Künstler, Gerwald Rockenschaub und Erwin Wurm, ich bin gleich in die Ateliers gegangen, wo die waren.“ Als nächstes organisierte er ein Kunstfestival, bei dem es um die Visualisierung physikalischer und philosophischer Phänomene ebenso wie um optische und musikalische Täuschungen ging. Kurz bevor diese Rieseninszenierung, bei der verschiedene Module inhaltlich und dramaturgisch zusammengeführt wurden, in einer alten Reithalle gezeigt wurde, verließ er Wien. „Ich bin über Nacht abgehauen. Der Spaß war die Organisation.“
Vom Forschungsprojekt zum Malerbegriff
„Kreativität ist wie ein großer Baukasten, in den man reingreifen kann“, beschreibt er seine Sicht der Dinge und den Umgang mit Kunst. Nach diesem Prinzip ist der gelernte Anlagenelektriker schon als Junge mit allem umgegangen, was ihn interessierte. „Früher war Elektronik mein Ding.“ Omas Wecker baute er ebenso auseinander wie die Kuckucksuhr – manchmal mit überraschenden Ergebnissen. Mit 12 begann er, Diodenempfänger in Streichholzschachteln zu verbauen, „da liefen dann alle in der Schule mit Knopf im Ohr und Draht am Kopf rum“, denn die Miniradios verkaufte er. Weil er laut Selbstbeschreibung ein „lesefaules Kind“ war, nahm er die Bild-für-Bild-Anleitungen, um Motoren und Kupferdrähte zu funktionierenden Systemen zu verbinden. „Eigentlich wollte ich Umweltingenieur werden.“ Politisch aktiv und umweltbewusst ist er noch heute, während seiner Lehre aber entdeckte er seine „Fähigkeit“, wie er es bescheiden nennt, zu malen und zu zeichnen.
Vor allem aber hat er gerne mit anderen Leuten zu tun. Scola, ein dadaistisches Kabarett-Projekt, das er unter anderem mit Max Christian Graeff und Michael Heinrich mit offensichtlich legendären Inszenierungen realisierte, gehört dazu wie aktuelle Aktivitäten. „Die Galerie ist ein Kunstraum, mit erweiterter Ästhetik-Vermittlung“, beschreibt er erweiterte Aufgaben. In Zusammenarbeit mit der Bergischen Volkshochschule arbeitet er mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund. „Kreative Ausdrucksfähigkeiten stärken das Selbstbewusstsein“, lautet seine Einschätzung. Kreativität ist außerdem eine kulturverbindende Sprache. Und mit neuen Leuten in Kontakt zu kommen, das ist ohnehin sein Ding.
Lesungen sind geplant, einmal wöchentlich gibt es am langen Tisch einen Suppenabend – und sehenswerte Kunst, von Menschen, die mit ihrem Tun offensichtlich etwas zu sagen haben, gibt es auch zu entdecken.
Jürgen Grölle: pass:projects I Friedrich-Ebert-Str. 143e I Wuppertal I www.passprojects.com
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