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Ausstellungsansicht, © Bert Didillon, Carl Hager
Foto: Jürgen Grölle

Zwei, die genau hinschauen

23. Februar 2012

Bert Didillon und Carl Hager bei GRÖLLE pass:projects - Wupperkunst 03/12

Eine Eröffnung in der Galerie von Jürgen Grölle ist meist nicht einfach eine Eröffnung. Bei der Vernissage mit Bert Didillon und Carl Hager trat zu fortgesetzter Stunde der Künstler und Musiker Dimitrij Dihovichnij im Keller des Ausstellungsraums an der Friedrich-Ebert-Straße auf. Er sang und spielte auf der Gitarre kurze Stücke, die, auf Deutsch eingeleitet und auf Russisch gesungen, vielleicht als Chansons zu bezeichnen wären und von kleinen Beobachtungen und der Anschaulichkeit russischer Sprichworte handelten. Der Sound des Östlichen und die Eingängigkeit der Melodie trafen mit dem Fremden der Sprache zusammen, wobei man einen tiefsinnigen melancholischen Humor spürte. Der Titel seines Auftritts „Balkan Low Melo Baltic Baywatch“ brachte es verdammt gut auf den Punkt.

Im übertragenen Sinne hat das auch mit der Ausstellung selbst zu tun, mit den Kunstwerken von Didillon und von Hager, die eine Mischung aus Leichtigkeit und Nachdenklichkeit kennzeichnet, vorgetragen mit hintergründigem Witz. Beide Künstler vermitteln einen etwas schrägen, gebrochenen Blick auf die alltägliche Wirklichkeit. Immer ist da etwas, was einem irgendwie vertraut vorkommt, allerdings aus anderen Zusammenhängen. Da ist der abgerundete Baumwollteppich, der sonst im Badezimmer liegt. Bei Bert Didillon hängt er, vielleicht noch etwas überdimensioniert, an der Wand, wird hier zum Gemälde mit einer taktilen Oberfläche, das dem Innenraum eines Stadions ähnelt und beiläufig die jüngere Malereigeschichte zitiert. Oder die Buchstaben-Zeichenfolge „ joa!“, die an der Wand schräg von unten nach oben verläuft und wie ein motivierender Ruf im Comic wirkt, besteht aus einzelnen Formen in Holz. Indem die Punkte am Anfang und Ende der Formulierung einmal oben und einmal unten stehen, deutet sich eine Art Kippbewegung an: Erfolg und Scheitern liegen eben dicht beieinander.

Das ist schon ziemlich skulptural gedacht, aber der „eigentliche“ Bildhauer der beiden ist Carl Hager. Auch bei seinen Werken finden sich ausgefeilte Irritationen: Bei der stufig aufragenden Styropor-Skulptur „Apollo und Daphne“ läuft in der Horizontalen ein elektrisch betriebenes Band, das dazu führt, dass die ganze, ziemliche abstrus-absurde Konstruktion an ein Trimm-Dich-Gerät erinnern könnte. Und die beiden über Stäben aufragenden „Kästen“ seiner Skulptur „Die Selbstaufwerter“ sehen in Form und Farbgebung aus wie Radiowecker oder Heizkörper im Design der 1960er Jahre. Jedoch stellen sich derartige Bezüge und Assoziationen auf eine sehr feine Weise ein, die sich niemals aufdrängt (das ist die große Kunst Hagers!), und bei der die Worte stocken.

Überhaupt, Sprache: Sowohl bei Hager wie bei Didillon spielt diese eine große Rolle; andererseits lässt sich meist gar nicht so genau beschreiben, was man da sieht und worauf die Werke hinauslaufen. Klar hingegen ist, wie aufwändig, ja liebevoll beide Künstler gearbeitet haben, wie sehr sie über die Materialien, Formen, Oberflächen und Farbtöne nachgedacht haben. Deutlich wird, dass Didillon und Hager Forscher im Labor der Wirklichkeit und ihrer Derivate sind. Und dass sie ziemliche Zweifel haben, dass es dort mit rechten Dingen zugeht.

Gefunden und verwandelt
Die Werke von Carl Hager stehen im Raum, teils sind sie noch von Motoren angetrieben; so sind auch verkappte Wasserspeier und filigrane Brunnen mit fein perlenden Membranen entstanden. Von Bert Didillon stammen Wandarbeiten, außerdem Fotos. Schon daraus ergeben sich grundlegende Unterschiede bei den beiden Künstlern. Während Didillon plakative Details aus dem Strom des Alltags nimmt und anverwandelt, setzt Carl Hager verschiedene Ideen mitunter als Assemblage zusammen, wobei er die Ergebnisse dann wieder revidiert und verknappt und, wie er sagt, für eine andere räumliche Situation eine andere Lösung nicht ausschließt. Mythologie und Geschichten bilden für Hager wichtige Aspekte, die in einer freien Kombinatorik einmal herausgearbeitet, dann wieder verdeckt werden. Es ist ein Vergnügen, ihm zuzuhören, wie er die Verwandtschaft des Mythos von Apollo und Daphne zu seiner Skulptur beschreibt. Was passiert, wenn? Was kann sein, und was geht überhaupt nicht? sind Fragen, die bei jeder seiner Skulpturen mitschwingen. Hager lässt surreale Anklänge zu, etwa bei der Gipsplastik „Auto trifft Beutelwesen“, die genauso aussieht, wie sie heißt, oder wenn bei „Die Selbstaufwerter“ aus einem knapp aufragenden Schornstein Rauch in Form eines Papieres austritt, als verfestigtes Blatt, das sich mit eingeknickter Ecke wie eine Abwicklung in Wiederholungen um die eigene Achse dreht. Und dann kehrt dieses steife Papier, nun zerknüllt, als oberer Abschluss bei „ Apollo und Daphne“ wieder.

Bert Didillon hingegen zielt, gesehen wie durch das Brennglas, auf das Emblematische. Die meisten seiner bildhaften Verdichtungen kennen wir aus unserer Konsumgesellschaft, aber mehr als Phänomene, die vorbeirauschen. Aber jetzt behaupten sie sich, relativ sinnfrei. Und während die Werke von Carl Hager auch anders aussehen könnten, können sie bei Didillon nur so und nicht anders sein.

Bei all den Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser klugen Ausstellung stellt sich die Frage nach den Biographien der beiden Künstler. Beide wurden Mitte der 1960er Jahre geboren, beide haben an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert, und zwar bei Alfonso Hüppi, aus dessen Klasse u.a. Monika Baer, Dirk Skreber und Corinne Wasmuht hervorgegangen sind ebenso wie etliche Querdenker. Jetzt könnte man feststellen, was beide Künstler mit ihrem Lehrer Alfonso Hüppi und der Haltung seiner Klasse gemeinsam haben: die überraschende Kombinatorik, das Ausgreifende bei gleichzeitiger Konzentrierung, den Witz, der aus unserer Lebenswelt kommt und in diese wieder eingreift – aber das sind Allgemeinplätze und Komplimente, die noch nicht das Besondere von Didillon und Hager erklären. Wer mehr über Alfonso Hüppi wissen möchte, der sollte seine Ausstellung im Kunstverein Paderborn sehen, die dort bis 9. April zu sehen ist. Und wer mehr über die beiden ehemaligen Studenten aus seiner Klasse wissen möchte, sollte die Ausstellung bei Jürgen Grölle besuchen, die tatsächlich sehr verschiedene und eigene Künstlerpersönlichkeiten vorstellt.

„In der Augenhöhle des Löwen“ I bis 14. April bei GRÖLLE pass:projects in Wuppertal I www.passprojects.com

THOMAS HIRSCH

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