Wuppertal feierte ein neues Wahrzeichen, und das mit einem Who is who seines Kulturlebens: Die Kulturtrasse war schon als Ereignis angelegt und versammelte Kunst der Stadt mit Rang und Namen. Bloßes Schaulaufen hieß das freilich nicht, denn das Kulturbüro lud auch unbekanntere Akteure handverlesen zum Mittun ein. Vorschlag für einen gemeinsamen Nenner (in Variation eines teuren Stadtslogans), denn nach etwas Orientierung schrie das übervolle Programm: Wuppertal macht was draus.
Denn neben dem Mirker Viertel mit seiner Utopiastadt wurden während der Kulturtrasse zwei weitere Stationen zu zentralen Wegmarken, die sonst weniger als Kulturort präsent sind und zur Feier des Tages einfallsreich umgewidmet wurden. Im Bahnhof Vohwinkel residiert zwar ständig die Kunststation, aber das ganze Gebäude inklusive altem Gepäcktunnel kreativ zu bespielen, war eine spektakuläre Wendung. Und Nummer drei im Bund steht sonst eher im Zeichen des Sports: Im Trassenquartier Wichlinghausen nahmen Kulturaktive unter anderem die Skaterhalle Wicked Woods unter ihre Fittiche.
Über diese Viertel plus weiteren Spielstätten und durch Tunnel führte die Festmeile über die Trasse, und damit, neu für Nichtkenner: befestigt und schnurgerade. Das ist ja wichtig fürs Selbstverständnis dieser Attraktion und dafür, was sich für Bürger und Stadt mit ihrem neuen Lieblingsprojekt verbindet. Mit seiner störrischen Topographie schien so etwas wie steigungsarm, gar fahrradfreundlich im Wuppertal bislang ja eher unbekannt. Dann kam die Trasse – die Idee, einen Weg neu zu nutzen, der als einstige Zugstrecke ebene Erde bot. Umwidmen aus Not und mit etwas Verrücktheit: Davon erzählt die Trasse, nicht so anders als die Schwebebahn, selbst die aktuellen Seilbahnpläne will man so verkaufen – und auch beim Fest war im Grunde das Improvisieren ein roter Faden.
Liegt es an der cleveren Organisation, die schon vor Monaten den breiten Teilnehmerkreis promotete – oder wirklich an einem Hang zum erfolgreichen Herumspinnen? Der heutige Querschnitt durchs Kulturtreiben jedenfalls zeigte Mutiges an allen Ecken und Enden. Darunter auch längst etablierte Namen wie das workshop ensemble aus dem ort in der Luisenstraße, dem ewig sperrigen Free Jazz verschrieben und alles andere als vom Wunsch beseelt, eine Institution zu sein. Und auch die Weltmarke Tanztheater Pina Bausch, das sich am Wichlinghauser Bahnhof erstmals zu einer öffentlichen Freiluft-Probe herabließ, ist ja Produkt einer in ihren Anfängen angefeindeten Pioniertat.
Aber ist nicht auch „ASL-AK“ Avantgarde? Die Trash-Truppe aus dem Vollplayback-Dunstkreis ist ähnlich anarchisch wie etwa das théâtre du pain, und wer sich zweiteilen konnte, hätte am Abend beide Acts im Taltontheater oder aber dem Schulzentrum Ost bequem als weitere Fälle schräger Initiative erleben können.
Dies dann auch als kleines Minus in puncto Planbarkeit: Um der Programmfülle auch nur halbwegs gerecht zu werden, musste man eigentlich ständig von einem Ort zum nächsten unterwegs sein. Da der Shuttlebus kaum einmal pro Stunde fuhr, hieß das im Zweifel recht viel Zeit auf Umwegen, um von West bis Ost zu reisen. Am liebsten hätte man da mit seinem Festivalbändchen die raren Fahrrad-Rikschas mitgenutzt, statt gezwungen zur Schwebebahn zu stiefeln.
So oder so: Zum Trassen-Erlebnis gehörte, fast wie beim Pilgern, natürlich das Gehen. Wer den Weg und seine Konflikte bisher mehr aus der Zeitung kannte, machte dann schnell Bekanntschaft mit den Reibungen zwischen der Nutzung per Bike vs. per pedes. Samt klammheimlicher Freude des Fußgängers, wenn die gern auch mal ruppigen Radler in den heute kulturell bespielten Tunneln freundlich zum Absteigen genötigt wurden. Denn auch diese boten wunderbare Beispiele besagter Umnutzungsfantasie: Der Tanztunnel wurde unter Regie und Schaltpult des Multimediakünstlers Gregor Eisenmann zum "Zeitlosen Tunnel" voller Atmosphäre. Und im Tunnel Engelnberg lenkten Scheinwerfer den Blick auf vorhandene Graffiti und Details an den Mauern und inszenierten so einen feuchten Durchgang neu.
Nicht zuletzt bot der Gang über die Trasse eine gute Gelegenheit, sich an die praktischen Umstände ihrer Realisierung erinnern zu lassen. Auf Höhe der unterquerenden Uellendahler Straße verwies ein Schild auf die hier durch private Geldgeber ermöglichte Teilstrecke, auch eine Lounge für die Sponsoren war eingerichtet. Denn auch das ist ja wesentlicher Teil im Trassen-Selbstverständnis: Der Stolz aufs kollektive Engagement, auch auf das finanzielle Anpacken, und darauf, manchem Widerstand von Bürokratie bis Fledermaus getrotzt zu haben. Was freilich der Stadtspitze im Grunde ein zweifelhaftes Zeugnis ausstellt – mochte auch die Kulturtrasse eine Veranstaltung von Stadt und Stadtmarketing sein. Thomas Braus, der als neuer Schauspieldirektor hier zur Saisoneröffnung sprach, lobte das bürgerschaftliche Engagement ebenfalls: Die Trasse sei ähnlich Ergebnis privaten Einsatzes wie das aus einer Lagerhalle hervorgegangene Theater am Engelsgarten. Kann man auch kritisch drehen: Wenn alles richtig liefe, bräuchte es ja keine private Nothilfe, sei es für eine Spielstätte oder eine vernünftige Infrastruktur. Und dass man für Letzteres, immerhin Kernaufgabe einer Kommune, Langzeitarbeitslose zur Umsetzung einspannte, Betroffene des Hartz-IV-Systems also, muss sich die Trasse vielleicht gleichfalls nicht als Ruhmesblatt verbuchen.
Sei's drum: Auch für kritische Reflexion war das Kunstprogramm natürlich der richtige Ort. „Der Detroit Faktor“ im Bahnhof Vohwinkel verhandelte allgemein das Thema wirtschaftlichen Niedergangs und künstlerischer Antworten darauf, am Beispiel der US-Stadt nach Zusammenbruch seiner Autoindustrie. Während auf den zwei Bühnen des Bürger-Bahnhofs Musiker und Kabarettisten auftraten, wurde das halbe Bahnhofsgebäude selbst zu Installation und Performanceort. Der schummrige Ex-Gepäcktunnel traf durch den Künstler Oliver Gather auf Naturgeräusche aus Bahnhofs-Biotopen, zahllose Ampullen zum Schnuppern näherten sich in einem Beitrag der „Raumzeitpiraten“ dem Umland via Geruchssinn. Und Literaten riefen Philosophisches und eigene Variationen auf bekannte Bahndurchsagen in die Schalterhalle. Umwidmung dessen, was da ist, dieser rote Trassen-Faden: Hier fand er spielerisch zusammen mit einer Meta-Ebene.
Am anderen Ende schließlich, in der Wichlinghauser Skaterhalle, kam bei aller Verfremdung auch das Physische zu seinem Recht: Schon am frühen Nachmittag hatte eine Kindergruppe um Björn Krüger (noch so ein Wuppertaler Multitask-Verrückter) eine sonst mit Inlinern befahrene „Schüssel“ (bowl) für eine sphärische Performance umfunktioniert. Nicht zu viel des Sphärischen freilich, auf und ab ging es durchaus fix und handfest, bis am Ende die Glasmurmeln rollten…denn bei allem Kunstzugriff: Vor allem ist die Trasse ja doch sehr praktisch ein Gewinn für Wuppertal.
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