Das Denken im Abendland kennt nur zwei Wege. Sein oder Nichtsein, Anwesenheit oder Abwesenheit. Überall dazwischen spukt es. Was ist aber mit der Vergangenheit, die nie gegenwärtig war? Eine Lesart, anders als alles Wahrnehmbare? In etwas Ahnliches müssen die Planungen der Sommerloch-Macher gefallen sein, als sie die seit fünf Jahren leer stehenden ELBA-Fabrikhallen zum Standort ihres dreimonatigen Festivals gewählt haben. Was einst ein industrielles Wahrzeichen war, wird 2011 in eine Experimentierstätte verschiedener Künstler und Künste verwandelt. 2010, als das Festival anlief und man mit seinem Konzept noch nicht ganz in der Gegenwart angekommen war, wartete man zunächst ab, sagt Mitveranstalter Maik Ollhoff: „Letztes Jahr wussten wir gar nicht, was uns erwartet. Grundsätzlich waren wir vorsichtig und schauten, wie das Ganze wächst.“ Und es wuchs. Das Sommerloch wurde schnell zum Biotop für außergewöhnliche KünstlerInnen und ein Publikum, das jenseits des musikalischen oder literarischen Mainstreams neue Angebote sucht. Schnell drang nach draußen, was in den einstigen Geburtsstätten staubiger Aktenordner entstand. „Man sah an Statistiken auf Facebook die überregionale Resonanz“, resümiert Ollhoff.
Mit dem diesjährigen Programm dürfte der Trend anhalten. Auch diesmal setzt man auf ein breites, publikumfreundliches Angebot mit vielen Gratis-Veranstaltungen. Zum Beginn am 2. Juli wird die restaurierte Urfassung des Fritz Lang-Klassikers „Metropolis“ gezeigt. Eine Woche später erwartet die Besucher der ELBA-Hallen ein rundes DJ-Set-up. Neben dem minimalistischen Sampletüftler Kidkanevil kommt mit Cut Chemist ein DJ-Urgestein des Hip-Hop, der weiterhin seine ausgetüftelten Beatgerüste mit analogen Scratches versorgt. Dabei bleibt es aber nicht, denn Cut Chemist gilt als einer der Wegbereiter des audiovisual Scratch, bei dem auf mehreren Monitoren die Farben und Formen eine gemeinsame Mischform ergeben. Weniger elektronisch, dafür aber nicht weniger experimentell dürfte das Konzert von Ravi Coltrane am 16. Juli werden. Der Sohn der Jazzlegende John Coltrane hat bereits die großen Bühnen der Jazzwelt bespielt und geht daher selbstbewusst sowie humorvoll mit den Mammutfußstapfen seines Vaters um.
Auch die Literatur fällt ins Sommerloch. In der Freitag Lesung am 8.7. trägt man unterhaltsame Texte aus der Gegenwartsliteratur vor und versucht, beim Thema Sommer Massengeschmack und künstlerischen Anspruch zu verbinden. Kunst und Masse verbindet auch der Aktions-Künstler Ralf Witthaus. Mit seinem „Projekt 1416 Tonnen“ will er in feinem Anzug am 11. Juli auf dem Alten Hardt das Massenmüllproblem angehen und dort den Rasen mähen, um anschließend mit Kreide zylindrische Mülltonnen einzuzeichnen. Es bleibt abzuwarten, ob einige Wuppertaler Bürger aus Verzweiflung an der städtischen Ordnungskraft den Müll in die „Mülltonnen“ legen. „Es ist vom Künstler nicht gedacht, den Müll aufzusammeln“ sagt Maik Ollhoff. Dies verweist auf das möglich Szenario künstlerischer gegen urbaner Raum: „Vielleicht entsteht ein Riesenmüllberg“, so Ollhoff. Die Wachstumszeit dauert bis zum 22.7. Dann ist wieder alles weg. Abwesend. Abendländisch. Was aber auch nach dem Festival bleibt, ist die Einsicht, dass man auch trotz finanzpolitischer Dauerklammer innovative Festivalkonzepte aufstellen und umsetzten kann.
“Sommerloch” I 1.7.-20.8. I www.sommerloch-wuppertal.de
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