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Selly Wane engagiert sich
Foto: Privat

„Den Diskurs in die politische Mitte tragen“

30. März 2017

Selly Wane zu der gesprengten Diskussionsrunde im Swane-Café – Interview 04/17

Anfang März lud Selly Wane Politiker in ihr Café ein, damit die Bürger diese in einem neuen Gesprächsformat befragen konnten. Doch die Veranstaltung wurde durch politische Proteste gestört und musste abgebrochen werden.

engels: Der Auftakt Ihrer Veranstaltungsreihe „Wir stellen UNS (vor)“ musste von der Polizei vorzeitig abgebrochen werden. Der geplante Austausch mit den anwesenden Landtagskandidaten kam nicht zustande. Stattdessen hat die AfD durch den Abend viel Aufmerksamkeit erfahren. Bedauern Sie im Nachhinein, die AfD zu Ihrer Veranstaltungsreihe eingeladen zu haben?
Selly Wane: Nein. Ich bedauere natürlich, dass der Abend so aus dem Ruder gelaufen ist. Aber die Reaktionen im Anschluss an den Abend haben mir auch gezeigt, dass dadurch viele Diskussionen ausgelöst wurden. So hat der Austausch vielleicht nicht vor Ort und nicht zu Inhalten stattgefunden. Aber politische Debatten wurden woanders geführt: In Familien, in Freundeskreisen, in sozialen Medien. Menschen haben Positionen eingenommen und politische Haltung gezeigt. Ich denke, der Abend hat vielen gezeigt, wie viel auf dem Spiel steht, wenn extremistische Positionen an Bedeutung gewinnen und wie wichtig es ist, sich für das demokratische System zu engagieren.

Manche sehen die AfD als Sieger des Abends, weil sich die Partei als Opfer des linken Protests darstellen konnte. Sie sind Einwanderin aus dem Senegal und Muslimin. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Sie von der AfD instrumentalisiert werden, wenn Sie deren Vertretern eine Plattform bieten?
Natürlich, man lässt sich immer irgendwie instrumentalisieren. Wenn ich ein Interview mit den Medien gebe, lasse ich mich ja auch instrumentalisieren. Aber das ist ja ein Prozess der in beide Richtungen geht: Ich kann die Debatte ja wiederum auch von meiner Seite aus beeinflussen. Die eigentliche Frage ist doch: Versucht man einen Dialog zu finden oder redet man aneinander vorbei. Es ist ja nicht so, dass die AfD einfach verschwindet, wenn man sie nicht zu offiziellen Veranstaltungen einlädt. Die Diskussion findet dann woanders statt: In Internetforen und geschlossenen Veranstaltungen. Ich finde, dort kann sie viel mehr Schaden anrichten als in einer demokratischen Veranstaltung.

Der Fernsehbeitrag, der an dem Abend gemacht wurde, tauchte bei YouTube in einschlägigen Kanälen wieder auf. Darunter fanden sich Kommentare wie „Warum redet die AfD überhaupt mit Negern und Kanaken?“. Was empfinden Sie, wenn Sie so etwas lesen?
Wenn der Zuspruch von dieser Seite kommt, entlarvt das doch genau den bürgerlichen Anstrich, den sich die AfD gibt. Ich habe übrigens schon mehrere Gespräche mit Vertretern rechter Positionen geführt und irgendwann gefragt, auf was sie sich in ihren Argumenten beziehen. Diese Leute haben mich dann auf Internetseiten verwiesen, auf denen auf ganz üble und unsachliche Art und Weise Stimmung gegen Ausländer gemacht wurde. Da habe ich gemerkt: Viele Menschen leben in ihrer eigenen Echokammer. Und genau da müssen wir sie wieder herausholen. Konzentrieren sollten wir uns vor allem darauf, dass nicht mehr Menschen abdriften und in parallelen Echokammern landen.

Viele Menschen sagen: Wehret den Anfängen. Muss man extremistische Positionen deshalb nicht mit aller Macht bekämpfen?
Da ich im Senegal sozialisiert wurde, muss ich mich erst einmal daran gewöhnen, dass in Deutschland schnell der Nazi-Vergleich gezogen wird, um etwas als ultimativ schlecht darzustellen. So wichtig es ist, an die Nazi-Verbrechen zu erinnern, denke ich, dass dieser Vergleich nicht immer zielführend ist. Die allermeisten Leute, welche sich überlegen, die AfD zu wählen, sind ja keine Nazis, sondern einfach Menschen, die mit ihrer Stimme protestieren wollen oder sich auch einfach Sorgen um ihre persönliche Zukunft und die Zukunft der Gesellschaft machen. Ich denke, viele von ihnen kann man durchaus wieder für gemäßigtere Positionen gewinnen, wenn man ihnen zuhört und ihnen nicht gleich einen Stempel aufdrückt.

Im Zusammenhang mit den Protesten in Ihrem Café tauchte auch der Begriff „Linksfaschisten“ auf. War das hilfreich?
Auch hier muss ich mich erst einmal daran gewöhnen, welche Wucht und Eigendynamik der Begriff „Faschismus“ anscheinend in Deutschland hat. Im Kern kann ich aber die scharfe Kritik daran nachvollziehen, dass jemand sich nicht an die vorher abgesprochenen Regeln hält, mein Hausrecht missachtet und eine Diskussion unmöglich macht.

In der Türkei sieht man derzeit, wie schnell der Punkt erreicht wird, an dem demokratische Mittel nicht mehr ausreichen, um die Demokratie zu verteidigen. Rechtfertigt das nicht lautstarken Protest gegen eine Partei, die grundsätzliche Werte unserer Gesellschaft in Frage stellt?
Protest allemal, davon ist nicht die Rede. Zunächst aber nicht die Gewalt, die damit verbunden werden könnte. Die Frage ist doch: Wie bestimmt man bzw. wer bestimmt wann der Punkt erreicht ist, an dem Gewalt angewendet werden darf? Es ist eine schwierige Frage. Ich kann nachvollziehen, dass viele Menschen angesichts der traumatisierenden Ereignisse der Vergangenheit in der Angst leben, dass es wieder passiert. Die Angst ist berechtigt, denn die Wahrheit ist: Keiner kann garantieren, dass es nicht wieder passiert. Und gerade weil wir vor kollektivem Versagen nicht geschützt sind, wären wir gut beraten, Institutionen und Prozesse zu stärken, die Menschenwürde und Vielfalt schützen. Damit einhergehend müssen wir Initiativen, die Gewalt im Namen der Demokratie zu legitimieren versuchen, zunächst vehement ablehnen. Denn sonst nehmen wir eine Gegengewalt in Kauf, von der man in dem Moment nicht behaupten kann, dass sie unbegründet ist. So entwickelt sich eine Eigendynamik.

Nichts desto trotz ist es wichtig, sich mit der Frage auseinanderzusetzen: Wie und wer bestimmt, dass Grenzen überschritten wurden und Demokratie mittels Gewalt verteidigt werden soll? Aber auch das ist ein Prozess. Von wehrhafter Demokratie kann man nur dann sprechen, wenn die demokratischen Institutionen, die wir haben, die Gefahr nicht erkennen oder schlicht versagen. Und nicht nur sie, sondern wir müssten sicherstellen, dass der internationale Kontext auch versagt, diese Gefahr zu erkennen. Zu Gewalt zu greifen, weil man die Demokratie verteidigen möchte, setzt erst mal voraus, dass alle Mittel ausgeschöpft wurden, nationale und internationale Instanzen auf die Gefahr hinzuweisen und festzustellen, dass diese nicht in der Lage sind, eine Bedrohung der Menschenwürde zu erkennen. Soweit ich es beurteilen kann, sind wir aber nicht so weit.

Das Stimmungsbild, aus dem die AfD ihren Nährboden zieht, gibt es übrigens nicht erst seit gestern. Ich bin in den 1990ern nach Deutschland gekommen und habe damals ein latentes Misstrauen gegen Fremde gespürt. Auch wenn es inzwischen viele Menschen mit Migrationshintergrund in Spitzenpositionen geschafft haben, hat sich an dieser Grundstimmung wenig verändert. Man muss sich das nur mal beim Thema Bildung anschauen: Selbst Menschen, die sich selbst als sehr tolerant beschreiben würden, tun sich schwer damit, ihre Kinder in Schulen mit hohem Migrationsanteil zu schicken. Ein Bekannter, der selbst geflüchtet ist hat das neulich gut ausdrückt: Ich hatte es in Deutschland leicht, Verständnis zu finden. Aber es war schwer, Freunde zu gewinnen.

Die Menschen, die im Swane-Café protestiert haben, engagieren sich gegen Rassismus. Ist es nicht absurd, ausgerechnet mit dieser Gruppe in Streit zu geraten?
Ich nehme Gruppen wie der Antifa durchaus ab, dass sie sich auch für meinen Schutz einsetzen. Nur am Abend von „Wir stellen UNS“ haben sich diese Leute einfach über meine Vorgaben als Gastgeberin hinweggesetzt. Die Haltung, mich gegen meinen eigenen Willen beschützen zu müssen, empfinde ich leider als ziemlich undifferenziert. So kann leicht der Eindruck entstehen, es ginge hier gar nicht um meinen Schutz, als Vertreterin von Minderheiten, die Zielscheibe der AfD sind, sondern um reine Ideologie, ohne Berücksichtigung des Kontexts.

Ist es nicht schade, dass sich die Diskussion jetzt ausschließlich um die AfD und Extremismus dreht, statt sich wie geplant mit den politischen Inhalten des Wahlkampfs auseinanderzusetzen?
Politische Impulse entstehen leider oft durch Extreme. Wichtig ist es, diese Impulse aufzunehmen und den Diskurs in die politische Mitte zu tragen. Wenn ich das Feedback auf unsere Veranstaltung betrachte, ist uns das im Kern sogar gelungen.

Wie geht es jetzt weiter?
Die AfD hat von sich aus den Verzicht auf weitere Teilnahmen an der Veranstaltungsreihe angekündigt. Wir ziehen die geplanten fünf Folgeveranstaltungen vor den Landtags- und Bundestagswahlen jetzt wie geplant durch. Die Diskussion über den Start der Veranstaltungsreihe hat auf jeden Fall viel Aufmerksamkeit auf politische Fragestellungen gelenkt. Dieses Potential wollen wir nutzen, um auf den folgenden Veranstaltungen gute inhaltliche Diskussionen hinzubekommen in der Hoffnung, dass mehr Menschen aus der Mitte der Gesellschaft für die kommenden, wichtigen Wahlen – die Landtagwahl NRW am 14. Mai und die Bundestagswahl am 24. September – mobilisiert werden können.

Interview: David Fleschen

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