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Linda Poppe
Foto: Survival International

„Radikale Forderungen. Friedlicher Protest“

29. November 2018

Menschenrechtsaktivistin Linda Poppe über legitimen Widerstand und den Hambacher Forst

engels: Frau Poppe, Survival International agiert global. Gibt es Themen, die Deutschland besonders betreffen?
Linda Poppe: An sich arbeiten wir in allen Ländern an den gleichen Themen. In Deutschland ist das immer auch danach gewichtet, wo die stärksten Bezüge bestehen. Aktuell arbeiten wir viel zum Thema Naturschutz und damit verbundene Landkonflikte. Da ist Deutschland ein sehr wichtiges Land, weil hier sehr viele Gelder in Naturschutzprojekte gesteckt werden. In diesem Kontext würden wir in Deutschland einfach mehr machen, weil wir hier die Adressaten haben, die wir überzeugen müssen.

Welche Mittel nutzen Sie, um auf Missstände aufmerksam zu machen?
Dass man den Missstand so belegen und dann auch vermitteln kann, dass klar wird: Wir als Survival sehen, dass da ein Problem ist. Meist wird das abgeblockt. Dann geht es darum, einmal mit den Akteuren Kontakt aufzunehmen und zu sehen, wie reagieren sie auf diese Vorwürfe: wissen sie davon, wie lange wissen sie davon, welche Maßnahmen würden sie ergreifen. Je nachdem wie im Rahmen der Kontaktaufnahme die Reaktion ausfällt, würden wir im Anschluss daran auch weitere Schritte ergreifen, es beispielsweise öffentlich kritisieren und Aktionen dazu organisieren.

Können Sie ein konkretes Beispiel geben?
Wir kritisieren aktuell den WWF dafür, dass er im Kongobecken die Landrechte der indigenen Bevölkerung, also der Baka, die man früher als Pygmäen bezeichnet hat, nicht einhält. Viele Projekte dort werden vom WWF Deutschland oder auch von der Deutschen Bundesregierung finanziert. In diesen Schutzgebieten kommt es zum einen zu Verletzungen der Landrechte, weil diese Schutzgebiete errichtet werden ohne die Zustimmung der indigenen Bevölkerung einzuholen. Zum anderen werden Restriktionen verhängt, wie etwa das Verbot zu jagen oder zu sammeln oder in diesen Gebieten zu leben. Dazu kommt ein massives Gewaltproblem, also, dass viele Wildhüter sehr rabiat und gewaltsam gegen die Indigenen vorgehen und es keine angemessene Kontrolle gibt. Die Frage danach, was mit den Geldern geschieht, ob es wirklich eine Strafverfolgung gibt oder Möglichkeiten für die Indigenen, sich zu beschweren, stellt sich zurecht.

Wie lange dauern Ihre Kampagnen?
In den letzten Jahren kam es auch vor, dass wir Kampagnenziele schon nach zwei Jahren erreicht haben. Das ist schon relativ schnell. Es gibt in der Geschichte der Organisation aber auch Kampagnen, die bis zu 20 Jahre gedauert haben. Oft hängt das auch sehr mit dem jeweiligen Ziel zusammen. Viele der Themen, die wir bearbeiten, drehen sich um Land- und Rohstoffkonflikte – sehr langwierige und schwierige Themen, bei denen in der Regel ein Rohstoffkonzern nicht direkt sagt: Hier gibt’s ein bisschen Protest, ich zieh’ mich zurück. Es erfordert ein bisschen mehr, eine der Maßnahmen kann sein, dass wir Aktionäre dazu bringen, sich aus den Aktien eines Unternehmens zurück zu ziehen. Das sind alles Prozesse, die deutlich zeitintensiv sind. Manchmal greifen wir auch zu Boykottaufrufen. Im Tourismussektor haben wir das mal gemacht und so darauf hingewirkt, bestimmte Reisegebiete nicht zu besuchen, weil dort Menschenrechtsverletzungen passieren. Boykottaufrufe sind kein unumstrittenes Mittel, aber aus unserer Sicht ein sehr effektives.

Wie weit muss Engagement gehen?
Also ich denke, dass das Spektrum sehr groß ist. Bei manchen kann das schon reichen, dass sie Petitionen benutzen. Einige sind auch ein bisschen radikaler in ihrer Ausdrucksform. Wir versuchen mit unseren Aktionen im Rahmen des Gesetzes zu agieren. Die Leute, die für uns diese Aktionen machen, sollen damit nicht in Problemlagen geraten. Das hat häufig auch damit zu tun, dass wir mit Gemeinden in Ländern arbeiten, in denen das aufgrund der Rechtslage nicht sonderlich hilfreich wäre. Wir haben auch Aktionen gehabt, zum Beispiel eine, bei der Kletterer ein Monument in Kanada hinauf geklettert sind, um oben ein Banner zu entrollen. Das war theoretisch nicht im Rahmen der Legalität, aber es hat uns als Organisation nicht in eine größere Bredouille gebracht. Survival würde keine Blockade errichten. Radikal sind wir vielleicht in den Forderungen, aber die Form ist es deutlich weniger. Wir wählen immer eine friedliche Form des Protests.

Welches ist das Mittel mit der größten Durchschlagskraft?
Da kann ich jetzt nur schwer ein Mittel benennen. Das hat damit zu tun, dass sich die Dynamiken im Laufe der Zeit verändert haben. Die Gründung der Organisation funktionierte noch mithilfe eines Zeitungsartikels, über einen Bericht aus Brasilien, in dem der Genozid an der indigenen Bevölkerung aufgearbeitet wurde. Dieser erschütternde Artikel hat Leute erreicht, die sich gedacht haben, dass man dagegen etwas tun muss. Heute haben die Menschen eher das Gefühl, dass in der Welt so großes Leid herrscht, dass man kann gar nichts dagegen tun könne. Da muss man die Informationen anders vermitteln. Für uns ist es zunehmend wichtiger geworden, den Betroffenen eine Stimme zu geben und stärker zu zeigen, was sie als Person erleben.

Was halten Sie von den Bemühungen der AktivistInnen im Hambacher Forst?
Absolut unterstützenswert. Von der Arbeit, die wir mit indigenen Völkern machen, ist das nicht so weit entfernt. Wir können verstehen, warum Leute versuchen, einen Wald auf diese Art und Weise zu schützen. Es ist natürlich noch mal was anderes, ob man von indigenen Völkern oder wie hier vom Forst spricht. Aber ich finde die Formen des Widerstands, die gewählt wurden, absolut legitim. Unser Direktor Stephen Corry hat sich auch im Rahmen des Hambacher Forsts privat mit engagiert, indem er sich mit einem Foto an einen Baum hat hängen lassen, um seine Solidarität auszudrücken.

Ihnen ist das Thema also nicht fremd.
Das Thema Klimapolitik begleitet uns in vielen unserer Kampagnen. Schon jetzt erleben viele indigene Völker sehr stark die Folgen des Klimawandels, obwohl sie eigentlich im Wesentlichen überhaupt nichts dazu beitragen. Seit mehr als 15 Jahren bemerken wir dieses Phänomen zunehmend. In Sibirien beispielsweise gibt es Rentierhirten, die eigentlich genau wissen, wann sie wo mit ihren Tieren wandern können, um Nahrung zu finden. Sie wissen, wo der Boden gefroren ist, wo nicht und wo sie somit gut entlang kommen. Und das alles verändert sich schon. Die Hirten kennen das so nicht und können es nur schwer einschätzen. Wenn man vom Land lebt und sich plötzlich diese ganzen Muster verändern, erschwert das den Umgang.


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Interview: Nina Hensch

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