Seien wir mal ehrlich. Zumindest ein bisschen flieht jeder einmal aus der Realität. Das müssen keine harten Drogen sein, die die Sinne vernebeln. Das kann schon der Traum vom Lottogewinn sein und das Nachdenken darüber, was man mit den Millionen so anstellen könnte. Das kann der spannende Kinofilm sein, bei dem man sich vorstellt wie es wäre, selbst der Held im Sternenkrieg zu sein. Oder der Tagtraum im Büro, bei Sonnenschein an einem Strand zu liegen, während sich drinnen die Arbeit und draußen der Schnee stapeln.
Heutzutage dreht es sich beim Schlagwort Realitätsflucht häufig um die virtuelle Welt. Beim Amoklauf heißt es reflexartig: Killerspiele sind (mit)schuld. Wer die Google-Glasses oder die Oculus-Brillen sieht, kann sich vorstellen, dass bald nicht mehr alle mit dem Blick aufs Handy durch die Straßen irren, sondern Virtual-Reality-Brillen das Bild in den Städten dominieren könnten. Und irgendwie scheint es, als wüssten die Menschen noch nicht so ganz, wie sie das Internet nehmen müssen. Die Politik reagiert oft sehr schleppend mit entsprechender Rechtsprechung. Cybercrime wird verfolgt; virtuelle Verbrecher zu enttarnen, fällt den Behörden aber nicht gerade leicht. Das Bundeskriminalamt verkündete für 2015, das 45.000 Fälle von Cyberkriminalität passiert seien, davon seien rund 33 Prozent aufgeklärt worden.
In diesem Fall würde die Flucht andersherum funktionieren: Der Hacker flieht aus der virtuellen in die reale Welt und hofft, dort nicht entdeckt zu werden. Und mal überspitzt gesagt: Was passiert eigentlich bei virtuellem Mord? Bislang wurde noch kein Gamer angezeigt, weil er den Avatar eines anderen um die Ecke gebracht hat. Es ist halt ein Spiel. Aber egal, was da noch auf uns zukommen mag: Viele Menschen nutzen das Internet, um über ihre Probleme im echten Leben hinwegzukommen. Und manchmal driften sie ab, verfangen sich in ihrem Alter Ego und wissen nicht mehr, welche Verhaltensweisen sie welcher Welt zuordnen sollen.
Dabei hat es den Wunsch, aus der realen Welt zu entfliehen, eigentlich schon immer gegeben in der Menschheitsgeschichte. Es gab und gibt nur immer wieder unterschiedliche Mittel, mit denen Menschen seit Jahrtausenden versuchen, ihre Welt zu vergessen und in eine neue zu fliehen. Die Realität ist eben nicht immer das, was man sich so wünscht.
Da wären einerseits die Drogen. Wein soll es seit mehr als 8.000 Jahren geben, Bier seit mehr als 5.000 Jahren. Cannabis, Schlafmohn, Fliegenpilze, Stechapfel und Tabak – alles half den Menschen schon in vorchristlicher Zeit, sich für einige Momente aus dem Hier und Jetzt zu kegeln. Und sie bleiben in dieser Hinsicht erfinderisch. LSD, Ecstasy und Crystal Meth gehören zu den jüngeren chemischen Drogen. Der Rausch ist freilich nicht immer von Vorteil. Die meisten Drogen haben extreme Nebenwirkungen und stehen zu Recht auf Verbotslisten. Sie können körperliche und psychische Schäden hinterlassen, durch die die Flucht hinterher zum Gefängnis wird.
Andererseits ist auch schon die pure Unterhaltung manchmal die reine Realitätsflucht. In den ersten Tänzen in der Steinzeit kann man wohl schon die Möglichkeit sehen, die Realität vergessen zu machen. Wer würde sich nicht wünschen, dass sein Tagwerk aus Stunden des Tanzens und Müßiggangs bestünde? Später zahlten selbst die Männer und Frauen der Unterschicht ihre Pennys dafür, Stücke von Shakespeare in den legendären Theatern Londons zu sehen. Sie hingen den Darstellern an den Lippen und vergaßen eine Zeit lang ihren Alltag im Mittelalter – analog zum heutigen Kinofilm. Nur war der Meister so schlau, auch immer wieder aktuelle, politische Hintergründe in seine Stücke einzubauen. Wer sich allzu sehr von dem Treiben auf der Bühne verwirren ließ, verpasste wohlmöglich den Rückschluss auf sein Dasein im Hier und Jetzt.
Es brauchte und braucht also keine Cyberbrille. Wer raus will, wird einen Weg finden. Wenn die Flucht sich aber zur Sucht ausdehnt, dann besteht die Gefahr, nicht mehr zurückzukommen.
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Aktiv im Thema
www.caritas.erzbistum-koeln.de/wuppertal-solingen | Die Suchtberatung des Caritasverbands Wuppertal/Solingen informiert und berät Betroffene und deren Angehörige zu Suchtkrankheiten
www.bundesgesundheitsministerium.de | Hinweise des Bundesgesundheitsministeriums für Gesundheit zum Thema Sucht
www.sucht.de | Der Fachverband Sucht e.V. ist ein bundesweit tätiger Verband von Einrichtungen, die sich der Behandlung, Versorgung und Beratung von Suchtkranken widmen
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