Versöhnen ist schwer, wenn man auf seinem Standpunkt beharrt; sich selbst für unfehlbar hält; auf die Anderen herabblickt. – Auf der großen Bühne der Weltpolitik haben wir reiche Auswahl an Persönlichkeiten mit diesen Eigenschaften. Vielleicht war das immer so, aber die Gefahr, die jetzt von Egomanen ausgeht, ist um ein vielfaches größer. Reichte früher ein Säbelrasseln, um das Ego zu düngen, stehen heute Atomsprengköpfe bereit.
Versöhnen bedeutet Arbeit; an sich selbst, eigenen Ansichten und Verhaltensweisen. – Die Schauplätze der Politik sprühen vor Protz und Peinlichkeiten, um das Roulette der Menschheitsgeschichte auf Überschallgeschwindigkeit und uns an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Wir finden aber auch Beispiele für Versöhnung, die Hoffnung machen. Seit über zwanzig Jahren bemüht sich Ruanda um Versöhnung. Eine Anstrengung, die von Erfolg gekrönt zu sein scheint.
Im Jahr 1994 begingen die zahlenmäßig überlegenen Hutu einen Völkermord an den Tutsi. Vorher dominierten die Tutsi die Hutu, sie waren in den Führungspositionen des Landes vertreten und sahen sich Vorwürfen ausgesetzt, ihre Macht gegen die Hutu zu missbrauchen. Der Konflikt zwischen den Volksgruppen schwelte. Im April 1994 begann das Unfassbare: Hutu ermordeten oder verstümmelten Tutsi. Innerhalb von rund 100 Tagen starben bis zu einer Million Männer, Frauen und Kinder.
Danach kehrten die Menschen, Opfer wie Täter, zurück in ihre Häuser. Hutu und Tutsi sind Nachbarn, in der gleichen Gemeinde, teilen eine Heimat. Kann man noch gemeinsam leben? Wie dem Mörder der Tochter in die Augen sehen, wie am Mörder des Bruders auf der Straße vorbeigehen? Der Prozess der Versöhnung verlangt Einsicht von allen. In Ruanda schreitet er voran mit Hilfe von Kirchen und Glaubensgemeinschaften.
„Versöhnen“ kommt vom mittelhochdeutschen „versuenen“, es hat den gleichen Wortstamm wie Sühne. Es umfasst die Einsicht, einen Fehler begangen zu haben und dafür Buße tun zu müssen. Das Opfer muss bereit sein, zu vergeben. In Ruanda gelingt es. Menschen, die alles verloren hatten, konnten Schuldigen verzeihen. Mörder fanden den Mut, sich zu ihren Vergehen zu bekennen und ihre früheren Opfer um Verzeihung zu bitten. Es ist nicht leicht, über schwerstes Fehlverhalten zu reden. Doch es war nötig, um Ruanda eine Zukunft zu bieten: reden, immer wieder über die Geschehnisse reden. Heute sitzen Täter und Opfer auf einer Kirchenbank, im gleichen Café. Es gibt Freundschaften.
Versöhnen ist leichter, wenn die Perspektive der anderen verstanden wird, Fehler eingestanden werden, Einsicht herrscht, aufeinander angewiesen zu sein. – Zum Verständnis dieses Konflikts gehört, dass die Ressentiments zwischen den Gruppen durch äußere Mächte vorangetrieben wurden. Es waren Kolonialmächte wie Deutschland, die die Bewohner des Landes 1934/35 willkürlich in Hutu und Tutsi aufteilten: Wer mehr als zehn Rinder besaß, wurde zu einem Tutsi erklärt, andere zu Hutu. So übten Tutsi Macht über Hutu aus.
In diesen Tagen prägt die Entwicklung in Simbabwe zu einem guten Teil die Berichterstattung aus Afrika. Die Diktatur Robert Mugabes fand durch einen unblutigen Militärputsch ein Ende. Gibt es unter der neuen Führung von Emmerson Mnangagwa Hoffnung auf Versöhnung? Immerhin kündigte er an, mit der Opposition eine Übergangsregierung zu bilden und Mitte 2018 freie Wahlen abzuhalten. Obwohl es nicht zwingend ist, aus den Erfahrungen in Ruanda unmittelbar Schlüsse für die Zukunft Simbabwes zu ziehen, darf Hoffnung geschöpft werden auch für Ruanda.
Der ehemalige Rebellenführer und inzwischen Langzeitpräsident Paul Kagame lies die seit der deutschen Kolonialzeit willkürlich und unheilvoll angewandten ethnischen Bezeichnungen Hutu und Tutsi bei Strafe aus dem Sprachgebrauch verbieten und hat den Versöhnungsprozess sozusagen staatlich verordnet. Vielleicht gelingt dies in neuester Zeit auch Südafrika, erste Zeichen deuten auf einen personellen Neuanfang an der Spitze. Was in diesen Ländern bisher gelang, kann auch anderswo gelingen, wenn die Mächtigen sich eines Besseren besinnen und die Bevölkerung die Kraft hat, das zu erzwingen.
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west-eastern-divan.org | Das Orchester besteht zur Hälfte je aus israelischen und palästinensischen Musikern. Es erlangte durch Dirigent Daniel Barenboim internationale Beachtung.
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