„In seiner Naivität belachenswert“: So nannte ein Weggefährte Armin T. Wegners Entschluss, Hitler 1933 per Brief um einen Stopp der Judenverfolgung zu bitten. Auch den späteren Kampf des Elberfelder Schriftstellers (1886-1978) für Frieden und Harmonie mochte mancher blauäugig finden, mehr ehrlich empfunden als durchdacht – aber das ist vielleicht das Schicksal von Versöhnern.
Kühle Vernunft war Wegners Sache nicht, auch nicht als Pazifist: Den Rationalismus nannte der Autor einmal „das Übel der Friedenslehre“. Erfolgreich aktiv wurde er aber nach der Vernichtung und Gewalt gegen die Armenier im Ersten Weltkrieg, die er als Sanitätssoldat miterlebte und publik machte. Ein Schreiben richtete er hier an den amerikanischen Präsidenten Wilson. Versöhnen hieß dann für ihn, nachher eine einseitige Front gegen die türkische Seite zu vermeiden und Brücken zu bauen.
Der Gewaltverzicht war auch Streitthema zwischen Wegner und dem Berliner Sozialisten und Polemiker Kurt Hiller, von dem das ätzende Eingangszitat stammt. Als dieser sich entgegen vorher pazifistischer Haltung zur revolutionären Gewalt bekannte, reagierte Wegner, ganz Versöhner, ambivalent: Er gab seinem Wunsch nach Fortgang der Freundschaft Ausdruck, schrieb Hiller aber, dessen Wendung erfülle ihn „mit tiefem Schmerz, wenn nicht mit Erschütterung“.
Auch Wegners Andenken versteht sich weltweit und politisch. Die in Wuppertal ansässige Armin-T-Wegner-Gesellschaft meldet sich auch tagesaktuell zu Wort und unterstützte immer die Forderung, die „Austreibung“ der Armenier als Genozid anzuerkennen; in Kontakt mit innertürkischen Dissidenten: Als diesen Sommer der Schriftsteller Dogan Akhanli von der türkischen Justiz zur Fahndung ausgeschrieben wurde, organisierte die Wegner-Gesellschaft in dessen Wohnort Köln eine große Solidaritätslesung. Dass da Gegenwind nicht ausbleibt, hatte sich etwa schon 2008 gezeigt, als an der Bergischen Uni der Film „Ararat“ gezeigt wurde, eine Darstellung der Gräuel aus armenischer Sicht: Bei der Vorführung auf der AStA-Ebene schlugen türkische Nationalisten auf und verteilten „Informationsmaterial“ über den angeblich erfundenen Völkermord.
Mit künstlerischen Mitteln Konfliktparteien verbinden: In der Bewahrung von Wegners Erbe wurde dieses Prinzip längst ausgeweitet – auf weitere sensible Konstellationen. 2013 kam auf Einladung der Gesellschaft das Stück „Les Descendants“ ins Wuppertaler Schauspielhaus. Neben dem armenisch-türkischen Konflikt kam hier auch das Verhältnis zwischen den einstigen „Erbfeinden“ Deutschland und Frankreich ins Spiel, und zwar ganz unmittelbar: Die DarstellerInnen stammten tatsächlich aus all diesen Ländern, kannten sich nicht, sprachen keine gemeinsame Sprache. Praktisches Nicht-Verstehen als Basis eines Stücks zur Verständigung: Es wäre wohl in Wegners Sinne gewesen.
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