Enge Zellen, Überbelegung, fehlende Freizeitangebote, das sind die prägenden Elemente der Rahmenbedingungen für das zwölfstündige Martyrium, das 2006 in der JVA Siegburg das Leben des 20jährigen Hermann Heibach beendet. Zum Zeitpunkt des Geschehens, das als „Foltermord von Siegburg“ in die Geschichte bundesdeutscher Justizskandale eingeht, sind 287 Jugendliche in dem Gefängnis untergebracht, das lediglich für 258 Jugendliche ausgelegt ist: In einer Zelle von 15 Quadratmetern werden an jenem Samstag, 11. November, vier Jugendliche übers Wochenende eingeschlossen.
Zweimal innerhalb der Zeit, in der die Täter Heibach quälen, wird der Notknopf betätigt
Freizeitangebote am Wochenende entfallen aufgrund der knappen Personaldecke der Anstalt, bei der Prüfung der vier Häftlinge in Zelle 104 entgeht dem Justizpersonal der Umstand, dass, wie es später heißt, drei Täter-Typen mit einem Opfer-Typen zusammengeschlossen sind. Zweimal innerhalb der Stunden, in denen die Täter Heibach schlagen, demütigen und quälen, wird der Notknopf betätigt, der die wachhabenden Beamten alarmiert: Weil die Täter versichern, es sei nur ein Versehen gewesen, wenden sich die Beamten beim ersten Mal schnell ab. Als auch Mithäftlinge aus den umliegenden Zellen auf das Mordgeschehen hinweisen, prüfen die Beamten die Lage oberflächlich und überlassen Heibach danach hilflos seinen Mördern. Am folgenden Morgen finden sie ihn tot in der Zelle. Die zuständige Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter ordnet an, dass es ab sofort keine Drei- und Vier-Mann-Zellen mehr im Jugendstrafvollzug geben soll, übernimmt allerdings keine politische Verantwortung.
Rund anderthalb Jahr später werden in der JVA Gelsenkirchen erneut Übergriffe aktenkundig: Im Juli 2008 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen zwei Häftlinge, die in 20 Fällen ihre Mithäftlinge sexuell misshandelt, gequält und zum Selbstmord aufgefordert haben. Nur wenige Wochen zuvor hatte die Anstaltsleitung darauf hingewiesen, dass die Stimmung in der JVA schlecht ist, nachdem die Anstalt vier Jahre zuvor bereits 20 Prozent des Personals abgeben musste. Die hatte Streichungen von Freizeitangeboten und Besuchszeiten zur Folge und erhöhte den Krankenstand unter den Mitarbeitern auf 20 Prozent. Auch hier weist Müller-Piepenkötter die Verantwortung von sich. Im August 2009 gerät die damalige Justizministerin erneut in Erklärungsnot, als eher zufällig bekannt wird, dass ein 17Jähriger wenig zuvor in der JVA Herford von jugendlichen Mitgefangenen gequält, geschlagen und stranguliert wurde. Aus Scham hatte er den Vorfall verschwiegen, der erst aktenkundig wurde, als ein Mitgefangener in einem anderen Prozess darum bat, das Opfer nicht erneut in der JVA Herford unterzubringen, da der Junge dort „drangsaliert“ werde. Im Mai 2011 werden die zwei Haupttäter zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.
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