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Hans-Georg Kleinmann vor der Mobilitäts-Station
Foto: Mareike Thuilot

Von Autos befreit

26. Juni 2025

Teil 2: Lokale Initiativen – Einst belächelt, heute Vorbild: Die Siedlung Stellwerk 60 in Köln

„Das ist etwas Besonderes“, erklärt Hans-Georg Kleinmann, „die Stellplätze für Fahrräder sind parzelliert, jeder Haushalt hat seinen eigenen Bereich.“ Stolz zeigt er auf die unterirdischen Abstellflächen, auf denen Fahrräder, Lastenräder und Bollerwagen stehen. Autos sucht man hier vergeblich – die Tiefgarage gehört zur autofreien Siedlung Stellwerk 60 im Westen von Köln-Nippes.

Auf dem Gelände eines ehemaligen Rangierbahnhofs leben rund 1.500 Menschen in 440 Wohnungen und Einfamilienhäusern. Fahrrad- und Fußwege führen vorbei an Gärten und Häuserreihen, dazwischen liegen kleine Spiel- und Bouleplätze. An schönen Tagen pulsiert hier das Leben: Auf den Wiesen neben der Siedlung treffen sich Anwohner zum Feierabendbier, Familien auf den Spielplätzen oder am großen Kiosk mit Bäckerei, Kinder spielen Fußball, fahren Tretroller oder Inliner. Verkehrslärm hört man keinen, nur eine S-Bahn rauscht hin und wieder vorbei. Es ist nahezu idyllisch, und das mitten in Köln. Stadtleben ohne Auto – ist das ein Nischenprojekt oder ein Zukunftsmodell?

Was allen gehört

Stellwerk 60 zählt zu den größten autofreien Siedlungen Deutschlands, erklärt Kleinmann. Mitte der 1990er-Jahre, als Köln noch stärker als heute vom Autoverkehr geprägt war, entwickelte ein Arbeitskreis die Vision für das Projekt. Trotz anfänglicher Widerstände seitens der Stadt Köln konnten 2006 die ersten Bewohnerinnen und Bewohner einziehen. 

Im Jahr 2007 gründete sich der Verein Nachbarn 60, in dem Kleinmann fast seit Beginn als Vorstandsmitglied aktiv ist. Heute sind rund 230 Haushalte aus der Siedlung Mitglieder im Verein, sowie 100 aus der Nachbarschaft. Auch im angrenzenden Wohnviertel prägen Fußwege und Spielstraßen das Bild. Die meisten Siedlungsbewohner besitzen kein eigenes Auto, im Parkhaus nebenan stehen Carsharing-Autos bereit. Für einen geringen Jahresbeitrag können Mitglieder außerdem die Mobilitätsstation nutzen und Transportwagen, Fahrradanhänger, Kettcars, Bierzeltgarnituren und allerhand Praktisches ausleihen. So lernen schon Kinder den Umgang mit Gemeineigentum. 

Heute ein Vorzeigeprojekt

Im Gemeinschaftsraum treffen sich private oder vom Verein organisierte Interessensgruppen, so zum Beispiel eine Urban-Gardening-, eine Energie- und eine Seniorengruppe. Eine Klimagruppe arbeitet mit dem Grünflächenamt der Stadt Köln zusammen und plant neue Bepflanzungen in der Siedlung. Einmal im Jahr gibt es ein Sommerfest und einen Flohmarkt für alle.

Sei das Verhältnis zur Stadt Köln in den Anfängen eher unterkühlt gewesen, habe sich das in den letzten Jahren geändert, erzählt Kleinmann, der selbst in der Siedlung wohnt. Durch den fortschreitenden Klimawandel gelte die Siedlung mittlerweile alsVorzeigeprojekt. „Heute werden wir von der Stadt sogar um Rat gefragt. Wir beraten bei neuen Bauprojekten und mischen uns auch aktiv ein.“ Immer häufiger interessierten sich Bauträger, politische Fraktionen und Stadtverwaltungen aus ganz Deutschland für das Modell. Einzelne Elemente der Siedlung würden bei neuen Projekten übernommen, dabei Energieeffizienz noch stärker als früher mitgedacht.

Die Nachfrage nach Wohnungen in Stellwerk 60 sei groß. „Früher war der Begriff autofrei für viele ein Makel, heute wird damit offensiv geworben“, erzählt Kleinmann. Autofrei leben in der Stadt. Offenbar ist das längst kein Nischenprojekt mehr, sondern zukunftsweisend. 

Transparenzhinweis: Die Autorin wohnt neben der autofreien Siedlung und ist passives Mitglied des Vereins Nachbarn 60.

Mareike Thuilot

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