engels: Herr Feltes, wie sähe der ideale Jugendstrafvollzug aus?
Thomas Feltes: Der ideale Jugendstrafvollzug würde sowohl auf „Strafe“, als auch auf „Vollzug“ verzichten. Beides ist wenig funktional. Nach allem, was wir wissen, macht der Strafvollzug niemanden besser, im Gegenteil: Er hat die höchsten Rückfallraten. Sinnvoll wären weitestgehend offene Einrichtungen mit intensiver Betreuung, in denen die Jugendlichen lernen, in Freiheit – und nicht in Unfreiheit – zu leben. Das wäre auch der beste Opferschutz.
Wie beurteilen Sie die neue JVA in Wuppertal-Ronsdorf?

Die Ausstattung der neuen JVA lässt erwarten, dass hier tatsächlich neue Maßstäbe gesetzt werden sollen. Allerdings sind Mauern und Möbel nur der Rahmen, der mit engagierten Menschen gefüllt werden muss. Um die Erkenntnisse aus Kriminologie und Strafvollzugsforschung umzusetzen, ist fachlich geeignetes und gut ausgebildetes Personal erforderlich. Wichtig ist, dass die jungen Gefangenen lernen, nach ihrer Entlassung straffrei zu leben. Dazu müssen sie im Vollzug bestimmte Verhaltensweisen lernen und trainieren.
Werden Vorkommnisse wie in Siegburg dort ausgeschlossen sein?
Solche Vorkommnisse wird man nie ausschließen können, da es sich bei einer Strafvollzugsanstalt um eine dynamische Einrichtung handelt, die wesentlich von der Zusammensetzung der Insassen und dem Betreuungspersonal beeinflusst wird. Immerhin bietet die Anstalt in Wuppertal optimale Voraussetzungen.
Ist die Sicherheit der Nachbarn gewährleistet?
Wieso sollte sie nicht gewährleistet sein? Wir haben in Deutschland 75.000 Gefangene in 186 Strafvollzugsanstalten. Übergriffe oder Straftaten im Umfeld von Strafanstalten gibt es praktisch keine. Wieso auch? Für den Fall, dass tatsächlich ein Gefangener entweichen sollte, dann wird der möglichst weit von der JVA weg und nicht auffallen wollen. Freigänger und sogenannte „Urlauber“, also Gefangene, die für einige Stunden alleine oder in Begleitung eines Bediensteten die JVA verlassen dürfen, stellen nachgewiesenermaßen ein zu vernachlässigendes Risiko dar.
Warum gibt es überhaupt so viel Gewalt in Jugendgefängnissen?
Weil das Eingesperrtsein auf engem Raum nicht nur, aber besonders bei jungen Menschen Aggressionen hervorruft. Wir haben es häufig mit einer explosiven Mischung aus Frustration und Aggression bei den Gefangenen zu tun. Vor allem aber ist der Vollzug ein knallhartes Machtsystem. Wer sich nicht in die Hierarchie einordnet, erlebt Gewalt in allen nur denkbaren Formen. Zudem haben viele Gefangene schon früh in der Familie und im sozialen Umfeld Gewalt erlebt. Sie haben gelernt, dass sie nur anerkannt werden, wenn sie selbst Gewalt anwenden.
Was sagen Sie denjenigen, die bei jeder Gelegenheit „Rübe ab!“ fordern?
Erstens ist das keine Lösung. Ab wann soll denn „die Rübe ab“? Zweitens wissen wir um Fehlurteile – auch in Deutschland –, und drittens sollte ein Land, das sich auf christliche Werte beruft, diese auch in der Praxis umsetzen.
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