Vor ein paar Jahren staunten zahlreiche junge Männer des Landes nicht schlecht. Ausgerechnet auf ihrem sozialen Karriereprofil erschien die Nachricht von einer jungen Mitarbeiterin einer Fernsehproduktion: Das spannende Profil habe ihr Aufsehen erregt. Es ging aber gar nicht um eine neue Anstellung. Sondern: „Um einige – zugegeben – etwas freche Fragen“. Ob man gerade Single sei und sich vorstellen könne, mit 25 jungen Damen eine „exklusive Auszeit vom Alltag“ zu nehmen. „Wir sind auf der Suche nach einem neuen Bachelor – vielleicht sind es ja Sie.“
Willkommen bei RTL. Das Kuppel-Format „Der Bachelor“ (zwei Dutzend junge Damen buhlen um die Gunst eines vermeintlichen Traumtypen) sucht also seine Kandidaten ausgerechnet in einem Karrierenetzwerk. Man kann das durchaus als Indiz dafür sehen, dass in breiten Bevölkerungsschichten wieder (oder immer noch) ein sehr rudimentäres Geschlechterverständnis vorherrscht. Die Sendung sehen schließlich Millionen.
Es treten auf: Der starke, erfolgreiche Mann. Ein echter Macher. Und: Die anschmiegsame und hübsche Frau, die sich überlegt, wie sie ihrem Gatten in spe das Leben noch angenehmer machen kann. Pfui, sagen da zu Recht die kritischen Zuschauer. Pfui zu diesem vorgestrigen Rollenverständnis. Pfui zu diesem sexistischen Denken.
Und doch: Gleichzeitig müssen wir einsehen, dass der Erfolg von derartigen TV-Formaten durchaus auf gängigen Vorstellungen von Attraktivität aufbaut. Sexiness ist selten politisch korrekt. Und der Grund dafür, ist zunächst einmal ganz simpel: Unsere Gene bestimmen, was wir als sexuell anziehend empfinden. Und die konnten beim rasanten Aufstieg des Menschen vom Jäger und Sammler zum modernen Großstadtbewohner einfach nicht mithalten. Genetisch gesehen leben wir noch in der Steinzeit. Damals war ein Mann, der stark und mutig ein Riesenmammut erlegte, vermutlich besser befähigt, das Überleben des Nachwuchses zu sichern als ein ängstlicher Grübler. Gleichzeitig galten womöglich Frauen mit besonders weiblichen Rundungen als besonders fruchtbar.
Diese genetische Polung bestimmt bis heute unseren Sexualdrang. Und doch ist die Sache mit der gegenseitigen Anziehung unendlich komplexer. Der Mensch ist ja nicht nur ein triebgesteuertes Tier, das sein Überleben sichern will, sondern ein Wesen mit komplexer Psyche. So finden Wissenschaftler bis heute immer wieder Erkenntnisse darüber, was uns eigentlich anmacht. Bestimmte Gesichtsmerkmale, Symmetrie etwa, werden schon von Kleinkindern als besonders attraktiv empfunden. Glaubt man Sigmund Freud, dann spielen Kindheitserinnerungen für unser Sexualempfinden eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Und dann gibt es auch noch eine philosophisch-literarische Dimension. Seit Menschengedenken hat das Streben nach Schönheit Denker und Literaten beschäftigt. Damit haben sie im Prinzip nichts anderes getan, als die Suche nach dem, was uns bei der Partnerwahl so richtig anmacht, auf eine höhere Ebene zu heben. „Das ewig Weibliche zieht uns heran“, endet Goethe den zweiten Teil seines Fausts und sublimiert den menschlichen Sexualdrang damit zum Urbaustein von Kosmos und Erkenntnis.
Von Plato bis Hegel: Über Jahrhunderte war die Suche nach Schönheit für viele Gelehrte ein zentrales philosophisches Element. In einem Roman des Schriftstellers Dostojewski ist sogar der erstaunliche Satz zu finden: „Schönheit rettet die Welt.“ Der Russe setzte Geschichten voller Abgründe gerne idealisierte Frauenfiguren entgegen. Und schuf damit die Vision, dass aus archaischen Trieben die Grundordnung für eine bessere Weltordnung entstehen kann.
So gesehen geht es also bei der Partnerwahl um sehr viel. Auch deshalb können wir uns glücklich schätzen, dass wir (anders in den Zeiten von Goethe oder Dostojewski) in einer Gesellschaft leben, in der Schönheit viel mehr sein kann, als die Projektion männlicher Idealvorstellungen auf das andere Geschlecht. Frauen projizieren genauso auf Männer. Männer natürlich auch auf Männer. Und Frauen auf Frauen. Fetischisten projizieren auf Fetische. Und Fantasten auf die ungewöhnlichsten Fantasien. Erlaubt ist was Spaß macht. Und niemanden schädigt.
Es gibt also gute Gründe, die Spießigkeit, die sich heutzutage in TV-Shows und Dating-Portalen breit macht, als rückwärtsgewandt zu beklagen. Man kann aber auch entspannt darüber lachen, dass wir die Protagonisten solcher Formate trotz aller Vorbehalte als sexy empfinden. Unseren Genen können wir schließlich nicht entkommen. Aber in unsere individuelle Vorstellung von Schönheit kann uns trotzdem niemand reinquatschen.
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isp-dortmund.de | Das Institut für Sexualpädagogik informiert über Weiterbildungen und Seminare
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