Können Sie sich vorstellen, in einem Finanzamt zu wohnen? Wo früher Akten gewälzt wurden? In einem Schloss wahrscheinlich schon eher. Aber das auch noch für eine geringe Miete? Da muss es doch einen Haken geben. Ja, sagt sicherlich so mancher. Dafür muss man nämlich als Hauswächter auf das eigentlich leerstehende Gebäude aufpassen. In den Niederlanden und in England wird dieses Konzept schon seit einiger Zeit praktiziert. Menschen wohnen auf Zeit für geringe Miete in Gebäuden, die leer stehen: kommunale Ämter, Fabriken, alte Adelssitze.
Bis 2010 galt in Holland das Recht, in Häusern wohnen zu dürfen, wenn sie mehr als ein Jahr leer standen. Daraus entstand die Idee, Hausbesetzer in Gebäuden wohnen zu lassen, wenn sie dafür Aufgaben übernehmen. Das Konzept wurde auf normale Mieter ausgeweitet. Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Menschen bekommen für wenig Geld eine Unterkunft, und jemand sorgt durch Anwesenheit dafür, dass es nicht zu Vandalismus, illegalen Müllhalden oder Hausbesetzungen kommt. Jede Art von Verfall schlägt sich schließlich auf den Wert des Hauses nieder. Und: Behörden, Staat oder Eigentümer sparen Geld, das sonst für die Bewachung der Gebäude nötig wäre.
Vorreiter ist die Agentur Camelot Europe, die ein „außergewöhnliches Wohnerlebnis“ verspricht. Laut Aussage der Geschäftsführung gibt es in den Niederlanden mittlerweile 50.000 Hauswächter. Das Unternehmen vermittelt nicht nur Gebäude, um darin zu wohnen. Unter seinen jüngsten Projekten hat die Agentur ein Bürogebäude in Haarlem, Niederlande. Ein perfektes Beispiel für die Nutzung von leerstehenden Immobilien. „Als zwei ehemalige Kollegen waren wir auf der Suche nach einem Raum für unser Catering. In diesem ehemaligen Bürogebäude fanden wir eine schön eingerichtete Küche mit großzügiger Kantine“, wird einer der Geschäftsführer der untergekommenen Firma De Kantine auf der Firmenwebseite zitiert. Das Gebäude wurde in einen Workspace umgewandelt. Bis es vom Eigentümer verkauft wird, können dort Startups und Jungunternehmer wie die Macher von De Kantine arbeiten. Laut Camelot ist das Gebäude heute vollständig belegt.
Wer jetzt denkt, er könnte sich in einem Gebäude einmieten und rauschende Partys feiern, liegt falsch. Das ist per Vertrag verboten. Sowieso gibt es eine Reihe von Auflagen. Besuch, der länger als eine Nacht bleibt, oder von mehr als zehn Gästen, muss angemeldet werden. Ebenso verpflichtet sich der Hauswächter, einige Arbeiten selbstständig durchzuführen; darunter fallen kleinere Reparaturen oder Rasenmähen. Natürlich ist auch die Kündigungsfrist von vier Wochen nur etwas für flexible Menschen. Oft mieten sich deshalb junge Leute, meist Studenten, ein.
Das Konzept schwappt nach Deutschland herüber: Zuletzt machte es Schlagzeilen, als Studenten im Herbst 2014 in das leerstehende Finanzamt Münster-Stadt einzogen, um dort günstig zu wohnen – und gleichzeitig Hauswächter zu sein.
Lesen Sie weitere Artikel zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
„Kunst und Kultur verbessern die Lebensqualität“
engels-Kreis im Café Ada am 23.4. diskutiert über WOHNART – Thema 04/15
Operation im Gange, Patient stabil
Wohnen in Wuppertal zwischen demografischem Wandel und Gentrifizierung – THEMA 04/15 WOHNART
„Initiativen brauchen mehr Unterstützung“
Dr. Guido Spars über stand und Zukunft des Wohnens in Wuppertaler Quartieren – Thema 04/15 Wohnart
Am Arrenberg „geht grad viel“
Besuch im Stadtteilbüro des Vereins Aufbruch am Arrenberg – Thema 04/15 Wohnart
Branchenprobleme
Intro – Gut informiert
Journalismus im Teufelskreis
Teil 1: Leitartikel – Wie die Presse sich selbst auffrisst
„Nicht das Verteilen von Papier, sondern Journalismus fördern“
Teil 1: Interview – Der Geschäftsführer des DJV-NRW über die wirtschaftliche Krise des Journalismus
Pakt mit dem Fakt
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Zentrum für Erzählforschung an der Uni Wuppertal
Teuer errungen
Teil 2: Leitartikel – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss bleiben – und besser werden
„Die Sender sind immer politisch beeinflusst“
Teil 2: Interview – Medienforscher Christoph Classen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Aus den Regionen
Teil 2: Lokale Initiativen – Das WDR-Landesstudio Köln
An den wahren Problemen vorbei
Teil 3: Leitartikel – Journalismus vernachlässigt die Sorgen und Nöte von Millionen Menschen
„Das Gefühl, Berichterstattung habe mit dem Alltag wenig zu tun“
Teil 3: Interview – Medienwissenschaftlerin Marlis Prinzing über Haltung und Objektivität im Journalismus
Von lokal bis viral
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Landesanstalt für Medien NRW fördert Medienvielfalt
Nicht mit Rechten reden
Der „cordon sanitaire médiatique“ gibt rechten Parteien keine Bühne – Europa-Vorbild Wallonien
Der Vogelschiss der Stammesgeschichte
Wenn Menschenrechte gleich Lügenpresse sind – Glosse
Ich, Menschenfeind
Intro – Rechtsabbieger
Faschismus ist nicht normal
Teil 1: Leitartikel – Der Rechtsruck in Politik und Gesellschaft – und was dagegen zu tun ist
„Radikalisierung beginnt mit Ungerechtigkeitsgefühlen“
Teil 1: Interview – Sozialpsychologe Andreas Zick über den Rechtsruck der gesellschaftlichen Mitte
Nicht mit uns!
Teil 1: Lokale Initiativen – Das zivilgesellschaftliche Netzwerk Wuppertal stellt sich quer
Hakenkreuze auf dem Schulklo
Teil 2: Leitartikel – Wo Politik versagt, haben Rechtsextremisten leichtes Spiel
„Man hat die demokratischen Jugendlichen nicht beachtet“
Teil 2: Interview – Rechtsextremismus-Experte Michael Nattke über die Radikalisierung von Jugendlichen
Zwischen Krawall und Karneval
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Bereich Gegenwart im Kölner NS-Dok klärt über Rechtsextremismus auf
Die Unfähigkeit der Mitte
Teil 3: Leitartikel – Der Streit ums AfD-Verbot und die Unaufrichtigkeit des politischen Zentrums
„Die Chancen eines Verbotsverfahren sind relativ gut“
Teil 3: Interview – Rechtsextremismus-Forscher Rolf Frankenberger über ein mögliches Verbot der AfD