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Moderatorin Anne Linsel, Regisseur Peter Sempel und Bazon Brock (v.l.n.r)
Foto: Claudia Scheer van Erp

Die wundersame Welt des Bazon Brock

06. Februar 2017

„Bazon – Ernste Scherze“ zum Auftakt der Reihe „Filme zur Kunst“ im Skulpturenpark Waldfrieden

Ohne Zweifel ist Bazon Brock ein ungewöhnlicher Mensch. Und ein ungewöhnlicher Mensch verlangt nach einem ungewöhnlichen Film. Das dürfte ein wichtiger Grund gewesen sein, warum ausgerechnet der Hamburger Regisseur Peters Sempel den emeritierten Wuppertaler Professor zu seinem 80. Geburtstag porträtiert hat. Sempels Spezialgebiet sind nämlich eigentlich Musiker. Genauer gesagt: Exzentrische Musiker. „Ich filme eigentlich immer Wahnsinnige. Und das liebe ich“, hat Sempel einmal gesagt. Von Nick Cave über Nina Hagen bis Blixa Bargeld. Die Liste der Künstler, die Sempel filmisch verewigt hat, ist beachtlich. Irgendwie muss Bazon Brock für Sempel in diese illustre Runde gepasst haben. Obwohl Brock als ehemaliger Ästhetikprofessor ja per definitionem auch ein Wissenschaftler ist; und damit eigentlich ein ordnender Gegenpol zur grenzenlosen Freiheit der Kunst sein sollte. „Bazon Brock ist aber definitiv aber auch ein Künstler“, betont Sempel. Exzentrik im intellektuellen Sinn ist Bazon Brock jedenfalls, wie Kenner wissen, nicht fremd.

Dennoch: Bei der Filmpräsentation im ausverkauften Saal des Cafe Podest im Skulpturenpark Waldfrieden stehen zwei höchst unterschiedliche Menschen auf der Bühne: Hier der hochintellektuelle und wortgewaltige Professor, dort der emotionale und impulsive Regisseur. Doch gerade das macht es spannend. Denn dieser Widerspruch zwischen künstlerischer Freiheit und geistiger Sinnsuche ist in gewisser Weise auch das Lebensthema von Bazon Brock.

Peter Sempels Film fängt das gut ein: In knapp zwei Stunden Film erwartet die Zuschauer eine rasante Reise, in der sich hochkomplexe philosophische Fragen mit dadaistischen Kunstperformances abwechseln, die Kontemplation über das Weihevolle in Wagner Parsifal von impulsiver Punkmusik durchbrochen wird. Dazwischen stapfen Flamingos über die Leinwand und Papageien purzeln Wasserfälle herunter. Nichts ist von Bestand. Sobald sich der Zuschauer an eine neue Szene gewöhnt hat, prescht auch schon der nächste Künstler und/oder Denker mit seinem Ausdrucksdrang auf die Leinwand: Jonathan Meese ist zu sehen, der ehemalige Brock-Student Erwin Wurm, Albert Scopin, Peter Weibel, Peter Sloterdijk und unzählige mehr. Zwischendurch liest Ben Becker aus der Bibel. Nur einmal ruht die Kamera für drei Minuten: Blixa Bargeld, seines Zeichens Frontmann der Kultband „Einstürzende Neubauten“, tritt auf, fragt: „Mi scusi, parla italiano?“ und sinniert in feinster Dada-Melancholie über das Verlorensein zwischen den Sprachen. Blixa Bargeld, das muss man vielleicht dazu wissen, trat bisher in ausnahmslos allen Peter-Sempel-Filmen auf. Ein Hang zum Dadaismus verbindet Bargeld wiederum mit Bazon Brock.

Doch da rennt der Film auch schon weiter: Das Leben als Reise ohne festem Pol.  Die „normative Kraft des Kontrafaktischen“ (eine der Theorien, die Brock frei nach Immanuel Kant entwickelt hat) als einziger relevanter Kompass. Die Zuschauer sehen einen rastlosen Bazon Brock, hin und her pendelnd zwischen seinem Haus in Wuppertal-Cronenberg, seiner Galerie „Denkerei“ In Berlin-Kreuzberg und den Kunstorten der deutschsprachigen Kunst-Avantgarde: ZKM Karlsruhe, Cabaret  Voltaire in Zürich, Salzburger Foundation.

Als der Film ganz abrupt endet, liegt eine gewisse Verwirrung und Überforderung im Raum, andererseits hat man aber auch das starke Gefühl, eine Ahnung von der Persönlichkeit Bazon Brock und dem Antrieb seines Schaffens erhalten zu haben.

Bazon Brock, so erfährt man, sucht die Unzulänglichkeiten und Unerklärbarkeiten dieser Welt vor allem in der irrationalen Freiheit der Kunst. Aus Zärtlichkeit müsse er weiterarbeiten, sagt er im Film, auch wenn er wisse, dass sein Unterfangen, als Wissenschaftler die Wahrheit zu ergründen, eigentlich sinnlos sei. Die Kunst liefert für ihn dabei die zentralen Muster für den Zustand der Welt: Er spricht dann etwa von den Seiltänzern, die zur Zeit des jugendlichen Picassos populäre Motive der Kunst wurden. Eine Balancierstange gibt ihnen Halt. Doch dieser Halt wir von niemand anderem gehalten, als von den Seiltänzern selbst.

Am Ende des Films stehen Bazon Brock und Peter Sempel (moderiert von der Wuppertaler Journalistin Anne Linsel) gemeinsam auf dem Podium und demonstrieren in einer kurzen Publikumsdiskussion noch einmal das gesamte Spannungsfeld zwischen künstlerischem Schaffensdrang und philosophischer Wahrheitssuche. Während Peter Sempel charmant auf die Fragen des Publikums antwortet, und dabei freimütig zugibt, er könne gar nicht so genau erklären, warum er den Film genau so gemacht hat, genügt Bazon Brock ein einziges Stichwort, um eine kleine philosophische Fingerübung durchzuexerzieren.

Ein Beispiel: „Wäre jetzt der richtige Zeitpunkt zu gehen?“,  fragt ein Besucher. Brock antwortet darauf in lückenloser Argumentationskette und gelangt irgendwann zum neuen US-Präsidenten Trump, dessen Reden dadurch aufgewertet würden, dass man seine Inhalte gerade in beispielloser Einheitsfront kritisiere. „Diese Kritik gibt dem Schwachsinn von Trump aber erst Relevanz“, sagt Brock.

Damit demonstriert der Abend, der ein eindrucksvoller Einblick in Brocks Lebenswerk und die Kunstwelt an sich ist, ganz nebenbei, wie treffsicher Philosophen den Zustand der Welt beschreiben können. Und wie wenig kompatibel diese Beschreibungen mit dem realpolitischen Tagesgeschäft sind. Philosophen als freigeistige Künstler? Wenn es den Titel „Philosoph und Künstler“ gäbe, müsste Bazon Brock in jedem Fall einer der ersten sein, dem man ihn verleihen sollte.

David Fleschen

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