Aus dunkler Bronze archaisch vieldeutend steht das „St. Georges Horse“ mit Kreuz statt Schwert an der Seite allein, aber gesattelt mitten auf der Wiese. An dunklen Tagen am späten Nachmittag könnte der Besucher mitten im Wald schon denken, dass dort in der hohen Halle ziemlich dunkle Gestalten auf ihn warten. Aber die Ausstellungsfläche ist natürlich hell erleuchtet. Hinein, Wandersmann, Vanitas-Motive über Vergänglichkeit alles Irdischen hatten zu allen Zeiten eine doppelte Funktion, niemand kann dem Tod entgehen, aber es müssen nicht selbst verschuldete Ursachen dazu führen. Den britischen Bildhauer Michael Sandle (Jg. 1936), der bis 1999 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe gelehrt hat, hat diese Dualität immer weiter mit Symbolik und menschlichen Körpern verbunden. Also hinein in die „Skulpturen“, seiner Ausstellung, in der er „die historische Dekadenz des Kapitalismus“ (Krieg als Umsatzsteigerung) anhand verschiedener Arbeiten thematisiert.
Dunkle Gestalten sind sein Ding
So richtig kann man nichts erkennen an der kleinen Bronze-Plastik (61 x 42 x 20 cm) vom britischen Bildhauer Michael Sandle. „Untergang des Dritten Reiches“ heißt die Marquette von 1980, die in groß auch als Mahnmal herhalten könnte, denn alle Facetten des nationalsozialistischen Übels sind vorhanden, die herrische Schirmmütze, die Opferreste, auf denen der Sarkophag montiert ist, natürlich die Benzinkanister der Brandstifter. Dunkle Gestalten sind sein Ding. Sandle gibt den verhüllt Trauernden auf Friedhöfen und historischen Denkmälern neue Kontexte, lädt ihre Funktion mit zum Teil mysteriösen Bedeutungen auf. Dass er als überzeugter Pazifist immer den ewig andauernden Krieg der Menschen auf dem Planeten im Fokus hat, kann in der lichtdurchfluteten oberen Halle des Wuppertaler Skulpturenparks Waldfrieden über Jahrzehnte des Schaffens gesehen werden. Vom Anfang der 1980er gegossenen „Captual Mortuum: A Commentary von Michael Sandle“, wo der längst weltweit renommierte Künstler viele kriegstreibende Symbole auf einem Kriegerleib verband und dazu drei abgefahrene Reifen (korrekt: natürlich verschiedene Marken) von drei unterschiedlichen Fahrzeugtypen aufs Grab arrangierte, dahinter passend drei Tuschezeichnungen mit Kriegsszenen aus dem Jemen. „Joy of melancholy“ (2009) ist eigentlich nichts für die Wohnzimmerwand, wie eigentlich kaum eine Skulptur des Bildhauers. Wer möchte schon eine mannshohe Dame mit Siegerkranz aus Penissen („Queen of the Night“, 1999) da stehen haben?
Im Mittelpunkt steht die Linde
Im zentralen Mittelpunkt der Übersichtsschau steht die geschnitzte Holzskulptur (Linde) „Iraq – The Sound of your Silence" aus dem Jahr 2009. Die mächtige, helle, von natürlichen Holzrissen durchzogene Pietà (200 x 140 x 120 cm), die Sandle aus mehreren Teilen zusammensetzen musste, erinnert auf den ersten Blick nicht sofort an christliche Symbolik, erst das vollständig verbundene Kind auf den Knien und die offensichtlich weiblichen Attribute der Figur klären das Vermutete beim näher treten. Einen Kopf besitzt die Andächtige, die unter einer übergestülpten Tüte eher den Betrachtenden, als das Kind ansieht nicht. Sofort sind Bilder aus dem Abu-Ghuraib-Gefängnis in Bagdad präsent, wo US-Amerikaner während des Irakkriegs muslimische Soldaten auf erbärmlichste Weise folterten. Keine leichte, aber sehenswerte Ausstellung also.
Michael Sandle – Skulpturen | bis 1.6. | Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal | 0202 47 89 81 20
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Eins mit der Natur
Heinz Mack im Skulpturenpark Waldfrieden – Kunst in NRW 08/21
Gute Luft und weite Sicht
Waldfrieden als Naherholungsgebiet und Skulpturenpark
Ratio, Intuition und Fantasie
Joseph Beuys im Skulpturenpark Waldfrieden
Geschichtete Bahnschwellen unter Bäumen
Sean Scully im Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 07/20
Hinter Masken
Michael Sandle in Wuppertal – Kunst in NRW 03/20
Filigraner Stahl schneidet weiße Wände+
Otto Boll im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 09/19
Ekstase und Verwandlung
Martin Disler im Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 04/19
Als sich die Abstraktion erst mal in Luft auflöste
„Zero, Pop und Minimal“ im Von der Heydt Museum
– kunst & gut 05/22
Wenn der Zucker macht, was er will
Markus Heinzelmann über„Die Kraft des Staunens / The Power of Wonder“ – Sammlung 05/22
„Sichtbarkeiten für Künstlerinnen schaffen“
Direktor Nico Anklam über Flo Kasearus Retrospektive in Recklinghausen – Sammlung 04/22
Landschaftspflege auf Leinwand und Fotopapier
Hans-Christian Schink im Von der Heydt-Museum
– kunst & gut 04/22
Das Porträt zur Abwesenheit
Matthias Schaller im NRW-Forum Düsseldorf – kunst & gut 03/22
Von der Macht der Klangerzeuger
100 Jahre Elektromusik – eine Zeitreise im Düsseldorfer Kunstpalast – kunst & gut 02/22
Regeln der Kunst
Die Sammlung des Josef Albers Museum Quadrat Bottrop zu Gast in Hagen – kunst & gut 01/22
Der neue Blick auf die Welt da draußen
„Brücke“ und „Blauer Reiter“ treffen im Wuppertaler Von der Heydt-Museum aufeinander – kunst & gut 01/22
„Es geht um den künstlerischen Seitensprung“
Comic-Experte Eckart Sackmann über die Ausstellung „VINYL!“ in Oberhausen – Sammlung 01/22
Viel farbiger Strom im Keller
„Faszination Licht“ im Zentrum für internationale Lichtkunst – kunst & gut 12/21
Nutzen und Ausnutzen des Wassers
„Produktivkraft Fluss" in der Barmer Kunsthalle – Ausstellung 11/21
Fett, Gold und tote Tiere
Ute Klophaus im Von der Heydt Museum – kunst & gut 11/21
„Es war ein Aufbruch zu einem neuen Denken“
Roland Mönig zu „Brücke und Blauer Reiter“ – Sammlung 10/21
Panoptikum der Gegenwart
Andreas Gursky in der Küppersmühle Duisburg – kunst & gut 10/21
„Wir leben in dystopischen Zeiten“
„Willkommen im Paradies“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 09/21
Stille Denkfabrik im White Cube
Christoph Schlingensiefs „Kaprow City“ in Düsseldorf – kunst & gut 08/21
Die Heimat im eigenen Körper
„Journey Through A Body“ in Düsseldorf – kunst & gut 07/21
„Das Ende ist offen“
Von der Heydt-Direktor Roland Mönig über „Visionen und Schrecken der Moderne“ – Sammlung 12/20