Die Werkschau „INSIDEOUTSIDE“ von Sean Scully im Skulpturenpark Waldfrieden ist an sich schon ein Grund, nach Wuppertal zu reisen. Vor die Gesamtheit der Werke hat der Schöpfer der minimalistischen Skulpturen den Waldweg gesetzt, Höhenunterschied im Bergischen Land unbekannt, fragen Sie nicht. Im ersten Pavillon (von dreien) stehen zwei typische Scully-Stapel-Skulpturen und das sind immer große Brocken aus mächtigen Einzelteilen. Geschichtete Stahlquader, an denen Reste ehemaliger Anschlüsse zu finden sind, dahinter eine silberschwarze Säule filigran wirkender Bronze-Scheiben (Untitled, „Coin Stack“). Die beiden Arbeiten füllen den ganzen Raum, versperren mental den Blick durch die blank polierten Glasscheiben.
Beim konzentrierten Stapfen zur zweiten Halle – immer wieder versperrt ja internationale Kunst den Weg – muss ich an „Opulent Ascension“ (Opulenter Aufstieg, Filz auf Holz 2019) denken, das begehbare bunte Stapelmonster des US-amerikanischen Iren, ganze zehn Meter hoch aus Holz. Auch hier mitten im Wald steht eine neuere Holz-Arbeit von ihm: „Sleeper Stack“ (2019), geschichtet aus Eisenbahnschwellen. Von anderen Werken sind bisher nur die Betonsockel zu sehen, die Ausstellung befindet sich nämlich dauerhaft „in progress“. Gerade wird der Cortenstahl-Quader „Moor Shadow Stack“ (2018) angeliefert, im Laufe des Jahres wird vor Ort eine massive Arbeit aus lokalem Kalkstein entstehen, Sean Scully entdeckte nämlich im Bergischen Land einen speziellen Steinbruch.
Kommen wir zur Hermeneutik, bevor die ersten Arbeiten des Malers Scully auftauchen. Er ist ein abstrakter Künstler, keine Frage. Doch sein Ansatz widersetzt sich der reinen Kausalität zwischen Form und Farbe auf der Fläche, er zwingt die Außenwelt scheinbar unsichtbar in seine farbigen Rechtecke und Quadrate; Architekturassoziationen wie in seinen frühen Werken haben fast biologische Züge angenommen. Und Emotionen schwingen sowieso im Œuvre unablässig, was auch für seine strengen Skulpturen gilt. Im oberen Pavillon liegen einfach mal 40 stilisierte große Münzen aus Bronze als Türmchen (drei Meter hoch) wie schnell gestapelt aufeinander. Ob das wirklich die kolportierte Assoziation des kindlichen Spiels mit echtem Geld ist, mag ich nicht beurteilen, jedenfalls hat dieser unruhige metallische Zylinder scheinbar kein Gewicht, man könnte ihn umwerfen, denkt der Betrachter. An der Wand die Bild-Installation „12 Triptychs“ von 2008 aus einem Dutzend kleinformatiger Ölbilder auf Kupfer mit jeweils fünf typischen waagerechten Streifenstücken, die vertikal in drei Teile geschnitten scheinen, obwohl nur Rechteck an Rechteck gerastert wurde.
Diese Gitterstrukturen finden sich auch nach dem Abstieg durch den Wald in der unteren Ausstellungshalle beim großformatigen „What Makes Us“ (Mixed Media auf Alu, 2017). Momentan ist dies der kraftvollste Ort der Werkschau, in dem neben dem dreidimensionalen Gemälde auf einem Aluminiumgitter „Grid“ (1972-2019) auch der ganz frische (und mächtig schwere) Stapel (Untitled, 2020) aus leuchtendem Muranoglas steht. Er ist 2,70 Meter hoch und wenn dann die Sonne scheint … Nun, schauen Sie es sich am besten selber an.
Sean Scully - INSIDEOUTSIDE | bis 3.1.2021 | Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal | 0202 47 89 81 20
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Eins mit der Natur
Heinz Mack im Skulpturenpark Waldfrieden – Kunst in NRW 08/21
Gute Luft und weite Sicht
Waldfrieden als Naherholungsgebiet und Skulpturenpark
Ratio, Intuition und Fantasie
Joseph Beuys im Skulpturenpark Waldfrieden
Keine Denkmäler für den Krieg
Michael Sandle im Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 03/20
Hinter Masken
Michael Sandle in Wuppertal – Kunst in NRW 03/20
Filigraner Stahl schneidet weiße Wände+
Otto Boll im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 09/19
Ekstase und Verwandlung
Martin Disler im Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 04/19
Als sich die Abstraktion erst mal in Luft auflöste
„Zero, Pop und Minimal“ im Von der Heydt Museum
– kunst & gut 05/22
Wenn der Zucker macht, was er will
Markus Heinzelmann über„Die Kraft des Staunens / The Power of Wonder“ – Sammlung 05/22
„Sichtbarkeiten für Künstlerinnen schaffen“
Direktor Nico Anklam über Flo Kasearus Retrospektive in Recklinghausen – Sammlung 04/22
Landschaftspflege auf Leinwand und Fotopapier
Hans-Christian Schink im Von der Heydt-Museum
– kunst & gut 04/22
Das Porträt zur Abwesenheit
Matthias Schaller im NRW-Forum Düsseldorf – kunst & gut 03/22
Von der Macht der Klangerzeuger
100 Jahre Elektromusik – eine Zeitreise im Düsseldorfer Kunstpalast – kunst & gut 02/22
Regeln der Kunst
Die Sammlung des Josef Albers Museum Quadrat Bottrop zu Gast in Hagen – kunst & gut 01/22
Der neue Blick auf die Welt da draußen
„Brücke“ und „Blauer Reiter“ treffen im Wuppertaler Von der Heydt-Museum aufeinander – kunst & gut 01/22
„Es geht um den künstlerischen Seitensprung“
Comic-Experte Eckart Sackmann über die Ausstellung „VINYL!“ in Oberhausen – Sammlung 01/22
Viel farbiger Strom im Keller
„Faszination Licht“ im Zentrum für internationale Lichtkunst – kunst & gut 12/21
Nutzen und Ausnutzen des Wassers
„Produktivkraft Fluss" in der Barmer Kunsthalle – Ausstellung 11/21
Fett, Gold und tote Tiere
Ute Klophaus im Von der Heydt Museum – kunst & gut 11/21
„Es war ein Aufbruch zu einem neuen Denken“
Roland Mönig zu „Brücke und Blauer Reiter“ – Sammlung 10/21
Panoptikum der Gegenwart
Andreas Gursky in der Küppersmühle Duisburg – kunst & gut 10/21
„Wir leben in dystopischen Zeiten“
„Willkommen im Paradies“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 09/21
Stille Denkfabrik im White Cube
Christoph Schlingensiefs „Kaprow City“ in Düsseldorf – kunst & gut 08/21
Die Heimat im eigenen Körper
„Journey Through A Body“ in Düsseldorf – kunst & gut 07/21
„Das Ende ist offen“
Von der Heydt-Direktor Roland Mönig über „Visionen und Schrecken der Moderne“ – Sammlung 12/20