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Charlotte Arndt und Thomas Braus (v.l.)
Foto (Ausschnitt): Schauspiel Wuppertal

„Man sieht den Raum, wie er ist“

29. September 2025

Die Regisseure Charlotte Arndt und Thomas Braus über „Die Stunde in der wir nichts voneinander wussten“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 10/25

In der Inszenierung spielen Wuppertaler Bürger:innen die Rollen aus Peter Handkes Stück, das ohne Dialog den Alltag und die Besonderheiten der Menschen auf einem beliebigen Platz zeigt.

engels: Frau Arndt, Herr Braus, das Stück kommt ohne Text aus. Kommt die Wuppertaler Inszenierung auch mit der einen Stunde aus?

Thomas Braus (TB): Wir werden definitiv nicht mit einer Stunde auskommen.

Charlotte Arndt (CA): Wir haben jetzt ungefähr die Hälfte inszeniert, und ich würde von etwa eineinhalb Stunden ausgehen. Auf jeden Fall werden wir unter zwei Stunden bleiben.

Es sind ja jede Menge Menschen auf der Bühne. Ist die Regie dann mehr ein Dompteur, eine Dompteurin, vielleicht mit Peitsche?

TB: Nein. Gar nicht. Wir arbeiten zum ersten Mal zusammen, und mit einer Peitsche hat das nichts zu tun (beide lachen). Wir sind sehr glücklich über die Wuppertaler Bürgerinnen und Bürger, die da mitspielen, denn von denen kommt jede Menge Input, und das funktioniert sehr gut.

CA: Das stimmt. Wir wussten ja auch nicht, was auf uns zukommt, als wir das ausgeschrieben haben, sind aber positiv überrascht, wie gut die Gruppe zusammenarbeitet, wie sie aufeinander eingehen. Aber es herrscht auch große Konzentration und Disziplin, was uns den Zeitplan großartig einhalten lässt.

Der Spielort des Stücks ist ein Platz irgendwo in Europa. Wo genau? Im Theater am Engelsgarten?

TB: Der Platz ist die Bühne im Theater.

Also eher gedacht als eine Manege?

TB: Nein, bei einer Manege wäre der Platz rund. Wir haben viel darüber nachgedacht und definieren unsere Bühne als Platz in Europa. Im Vorfeld haben wir auch überlegt, ob wir den Platz vor dem Theater dazu nehmen.

CA: Wir bespielen ja auch das ganze Theater, mit dem gesamten Zuschauerraum und dem Foyer. Die Bühne ist dafür komplett nackt, alle Vorhänge sind entfernt, man sieht den Raum, wie er ist.

Muss man mit Bürger:innen anders arbeiten? Mussten vielleicht alle vorher ins Fitnessstudio?

TB: Nein. Die Menschen sind so, wie sie sind. Wir haben ein Casting organisiert, und da kamen natürlich mehr Personen als jetzt auf der Bühne zu sehen sind, wir mussten auswählen. Ich habe vor einem Jahr eine Fassung geschrieben, wie das Stück für uns spielbar wäre. Da gibt es dann für bestimmte Szenen bestimmte Charaktere, die wir gesucht haben. Wir wollten die Rollen aber nicht nach Geschlechtern definieren.

CA: Viele Aktionen, die auf der Bühne geschehen, entwickeln wir ja auch gemeinsam mit den Bürgern, und das resultiert dann ja auch aus dem, was sie mitbringen, an Energie, an Vorschlägen und an eigenen Improvisationen. Dabei sollte die Gruppe immer heterogen bleiben und auch die Wuppertaler Stadtgesellschaft abbilden.

TB: Aber es haben sich schon wesentlich mehr Frauen als Männer beworben.

CA: Wie das so ist.

TB: Sodass wir schon geahnt haben, so ganz ausgeglichen kriegen wir das Verhältnis nicht.

Wenn die Worte fehlen, bekommen dann Requisiten eine ganz neue Bedeutung?

TB: Eine neue eigentlich nicht. Wir verwenden in unserer Inszenierung mitunter außergewöhnliche Requisiten, aber auch welche, die aus dem alltäglichen Lebensbereich kommen, und in anderen Zusammenhängen benutzt werden. Auch das ist bei Handke so beschrieben.

CA: Da kommt beispielweise jemand mit einem Hammer auf die Bühne, benutzt ihn aber gar nicht als Hammer, so wie man es vermuten würde. Ich will nicht zu viel verraten. Aber das ist einer dieser spannenden Momente, die wir auch so inszeniert haben und die immer wieder Fragen aufwerfen, was es ist, das da eigentlich passiert. Handke hat ja selbst an einem Platz in Italien Menschen dabei beobachtet, wie sie interagieren, ohne zu hören, was sie da eigentlich besprechen. Diese Situationen haben wir auch auf der Bühne, wir sehen die Interaktion, aber haben keine Sprache dazu.

TB: Und das war für uns manchmal schwierig beim Inszenieren, weil viele Personen dazu neigen, sofort zu spielen, was die Requisiten möglicherweise vorgeben und zu ihnen passt. Wir wollen vermitteln, dass man nichts vorspielen muss, dass es ausreicht, eine Handlung einfach nur zu tun.

Wird die Reizüberflutung durch Bewegung auch szenisch aktualisiert? Das letzte Jahrhundert ist ja schon wieder über zwei Jahrzehnte her.

CA: Das ist manchmal nötig. Es gibt da beispielsweise eine Paketszene, damals gab es diese vielen Liefermöglichkeiten aber noch gar nicht. Das haben wir natürlich an das Hier und Jetzt angepasst.

TB: Man sieht zwar die gleiche Paketszene, aber ihre Bedeutung ist heute eine ganz andere.

Also keine Soldaten auf der Bühne?

CA: Bisher nicht.

Die Stunde in der wir nichts voneinander wussten | 11. (P), 12., 15., 16., 23., 24., 26., 29., 30.10., 2., 15.11. | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66

Interview: Peter Ortmann

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