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Charlotte Arndt
Foto (Ausschnitt): David Laubmeier

„Dieser Großkotz hat uns angesprochen“

27. November 2025

Regisseurin Charlotte Arndt über „Peer Gynt“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 12/25

Das Theater der Generationen bringt mit 15- bis 85-jährigen Laiendarsteller:innen Henrik Ibsens dramatisches Gedicht auf die Bühne. Darin will ein Lügner und Fantast der traurigen Realität am Rand der Gesellschaft entfliehen.

engels: Frau Arndt, warum braucht es immer noch diese theatralische Zurschaustellung eines skandinavischen Großkotzes?

Charlotte Arndt: Das ist durchaus eine gute Frage, warum wollen wir dieses Stück überhaupt machen wollen. Da spielen natürlich mehrere Faktoren eine Rolle. Aber gerade dieser Großkotz hat uns eigentlich angesprochen. Wir sind als Gruppe im Theater der Generationen immer sehr im Austausch, auch über aktuelle politische Situationen auf der ganzen Welt. Und gerade diese Großkotzigkeit an dieser Rolle und der damit verbundenen Thematik ist eben etwas, was man aktuell und weltweit auf den politischen Bühnen dieser Welt beobachten kann.

In „Peer Gynt“ symbolisiert eine Zwiebel das Selbst. Wen interessiert es heute noch, was in ihrem Inneren ist?

Ich denke jeden, der sich mit sich selbst auseinandersetzt. Also das Stück soll ja auch eine Reflexion über sich selbst anregen und darüber, wer man eigentlich ist und ob man ein guter oder ein schlechter Mensch ist oder vielleicht innerlich leer. Das sind Fragen, die wir uns natürlich im Laufe des Prozesses auch selbst gestellt haben, und auch wenn man das nur auf Herrscher oder große politische Akteure bezieht, bleibt es spannend, was da eigentlich im inneren Kern einer solchen Person los ist. Das ist ja auch etwas, was da in Peer Gynt mit drinsteckt. Diese Erlebnisse, die er als Kind hatte: Vater Trinker, die Mutter alleinerziehend, und hat sich da mit ihm in so Fantasien geflüchtet. Wie viel Schuld trägt er denn überhaupt daran, dass er dann später in seinem Leben so Böses macht?

Am Ende seines Lebens will der Knopfgießer Gynt für sein misslungenes Leben einschmelzen. Heute müsste der Knopfgießer mächtig viel zu tun haben, oder?

Ja, das könnte man so sehen, das stimmt. Das ist auch eine dieser besonderen Rollen in dem Stück, neben dem fremden Passagier oder Begriffenfeldt, dem Leiter derPsychiatrie in Kairo. Die muss man sich auch erst mal erschließen. Oder: Was bedeuten eigentlich Figuren wie der Krumme für uns – und welche Symbolik steckt dahinter? Im Knopfgießer sieht man ja schon auch den nahenden Tod, der auf jeden irgendwann zukommt. Und daher ist das eine Thematik, mit der wir uns alle befassen müssen. Das Besondere an dem Stück ist ja auch, dass es ein ganzes Leben beschreibt. Vom Anfang bis zum Schluss, bis Peer Gynt stirbt. Und da spielt der Tod eben auch eine Rolle, denn da reflektiert Peer durch den Knopfgießer sein ganzes Leben.

Ist das Resümee: „Egal, wie gemein ich als Mann bin, eine Frau haut mich immer wieder raus“?

Ja, das ist interessant. Das war tatsächlich bei uns auch immer eine große Debatte. Also gerade über die Rolle der Solveigh haben wir viel diskutiert. Viele fanden, dass sie wirklich gar keine emanzipierte Haltung hat, weil sie auf ihn wartet. Dann wurde aber auch das Gegenargument genannt, dass es doch gerade besonders stark sei, wenn eine Frau auf einen Mann so durchgängig wartet und diese Stärke hat an ihn zu glauben. Aber das ist ja auch etwas, was wir nicht beantworten wollen. Schon alleine, weil in der Gruppe keine Einigkeit darüber besteht, ich es aber auch total spannend finde, genau diese unterschiedlichen Sichtweisen aus der Gruppe zu hören. Wir sind eine Generationen übergreifende Gruppe von 15 bis 85 Jahren, da kommen viele Meinungen zusammen. Und diese Fragen wollen wir natürlich auch an den Zuschauer weitergeben, wir wollen sie ja gar nicht für ihn beantworten.

Aber es ist schon merkwürdig, dass bei der Stückauswahl des Theaters der Generationen schon wieder Frauen die Deppen sind. War das nicht bei Dürrenmatts „Die Physiker“ auch so?

Bei Dürrenmatts „Physikern“ haben wir die Frauenrollen deswegen sehr stark bearbeitet, und in unserer Inszenierung waren sie eigentlich nicht die Deppen. In der Stückvorlage natürlich schon, und zwar deutlich, aber da haben wir einiges rausgestrichen, was uns auch nicht passte, und auch Rollen teilweise anders besetzt, da haben wir uns auch sehr intensiv mit den Frauen auseinandergesetzt.

Reicht die Anzahl der Spielenden auch für die Trolle im Reich des Königs aus?

Es ist jedes Jahr so eine neue Reise, ein Stück zu finden. Entweder gibt es Stücke mit zu wenigen Rollen oder mit zu vielen. Oder es gibt welche mit einigen großen Hauptrollen, dafür aber mit ganz vielen Nebenrollen. Es bleibt immer die große Herausforderung, ein Stück zu suchen, das für uns auch besetzbar ist, damit alle ungefähr gleich viel spielen. Da sind wir dann auf Peer Gynt gestoßen, und uns hat die Thematik interessiert. Allerdings sind da besonders viele Rollen, es ist eben auch ein sehr ausladendes Werk. Wir haben das von 150 auf 60 Seiten gekürzt, damit es für einen Spielclub spielbar bleibt, es sind ja eben auch keine Profis. Auch wenn man es nie ganz schafft, ist die Rollenverteilung noch ungefähr gerecht. Und ja, diejenigen, die Trolle spielen, spielen auch noch andere Rollen und müssen sich auch hinter der Bühne zügig umziehen. Manche spielen bis zu vier, fünf Rollen, und das wird schon sehr sportlich für den einen oder anderen. Und unseren Peer haben wir in drei Peers nach Alter aufgeteilt, weil der reist ja von seinem 20. Lebensjahr bis ins hohe Alter. Deswegen haben wir ihn mit drei verschiedenen Schauspielern besetzt.

Inszeniert man mit Menschen im Alter von 15 bis 80 anders als mit einem Schauspielensemble?

Ja, klar, natürlich. Allein schon durch die unterschiedlichen Vorerfahrungen der Menschen, die da teilnehmen. Manche stehen schon seit Jahren auf der Bühne und das merkt man auch. Dennoch muss man natürlich immer beachten, dass es keine ausgebildeten Schauspieler sind. Und wir nehmen auch immer wieder jüngere Leute dazu, und die haben dann natürlich noch nicht so viel Erfahrung. Und die Bedarfe der unterschiedlichen Generationen sind natürlich auch da. Wenn es kurz vor der Aufführung ist, wünschen sich die Erwachsenen manchmal ein bisschen mehr Ruhe und Konzentration und die jungen Leute, das kenne ich auch aus meiner anderen Theatergruppe, die sind dann eher sehr überdreht. Die brauchen laute Musik, die müssen irgendwie Energie rauslassen.

Kommen wir schon zur letzten Frage: Wie viel Kapitalismuskritik und Kolonialgeschichte wird mitschwingen?

Wir sind ja noch mitten in den Proben. Ich kann das also noch nicht hundertprozentig beantworten, weil wir diesen zweiten Teil noch nicht inszeniert haben. Kolonialpolitik ist wahrscheinlich ein Thema, das wir nicht ganz groß aufziehen können, weil wir nicht alle Punkte wegen den Kürzungen lassen konnten. Aber trotzdem steckt da schon Kritik an der Gesellschaft drin und am Kapitalismus bestimmt auch. Aber uns hat dann doch als Gruppe mehr dieser Background interessiert. Wir haben ja auch einige Pädagogen dabei und so beschäftigt man sich natürlich auch viel damit, warum er so geworden ist. Ein bisschen eine Suche danach, zu verstehen, warum jemand andere ausnutzt und machthungrig wird. Diese psychologische Seite der ganzen Geschichte fanden wir spannend, ohne das entschuldigen zu wollen.

Peer Gynt | 24. (P), 25.1., 7., 8., 21., 22.2. | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66

Interview: Peter Ortmann

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