Sie sind unter uns. Unsichtbar. Sie stecken in jedem Smartphone, Tablet oder Laptop. Bits und Bytes, die gelernt und gelernt haben – und die schon lange nicht mehr auf Computermonster wie IBMs Deep Blue angewiesen sind. Der schaffte es bereits Ende letzten Jahrtausends, den damaligen Schachweltmeister Garri Kasparow zu schlagen. Ein Aufschrei in der Schachwelt und ein gefundenes Fressen für Science-Fiction-Autoren, die längst soweit gedacht hatten und bereits dreißig Jahre vorher z.B. den sanft sprechenden HAL 9000 (bekannt aus dem Film „2001: Odyssee im Weltraum“ von 1968) erdacht hatten. Heute nutzt jedes Schulkind Künstliche Intelligenz, ein programmiertes Etwas, das (fast) jede Frage beantworten kann und selbst in schöpferischen Dingen – von „Deepfakes“ bis Doktorarbeit, von Rembrandts bis Beethoven – den meisten Menschen zumindest ebenbürtig ist.
Auf der kleinen Bühne im Düsseldorfer Schauspielhaus eröffnet die neue Spielzeit eine Inszenierung, die mit den Möglichkeiten von KI spielt. In „Der Fall McNeal“ des US-amerikanischen Dramatikers Ayad Akhtar (Deutsch von Daniel Kehlmann) geht es um die Frage, wie ChatGPT unsere Blicke und Bewertungen auf die individuelle Schöpfung von Kunst verändert – im Hintergrund stehen aber auch neue Probleme mit der damit verbundenen Urheberschaft. Starautor Jacob McNeal (Thiemo Schwarz), ein Star alter Schule, Macho, Alkoholiker, leicht soziopsychopathisch und grenzenlos selbstverliebt, steht hinter dem Zenit seiner Schaffenskraft und wird längst vom Mittelmaß der Wörter generierenden KI überholt. Warum eigentlich nicht deren Fähigkeiten nutzen – und vielleicht mit den Tagebüchern seiner verstorbenen Ehefrau den finalen Coup, den Nobelpreis, erbeuten? Heimlich lässt er die Bücher von einem Chatbot generieren, veröffentlicht unter seinem Namen – und Jacob McNeal steht wieder im Rampenlicht. Doch schnell holt ihn bei dieser Aufmerksamkeit die Wahrheit und auch seine üble Vergangenheit ein. Die Zuschauer werden in der Inszenierung von Philipp Rosendahl bestimmt einige Assoziationen zur Gegenwart erleben (das Stück feierte 2024 seine Uraufführung am New Yorker Broadway) und darüber nachdenken müssen, wie weit wir in unserem Leben realen und digitalen Raum verwischen wollen. Die größte Gefahr wird bleiben, dass die Lüge irgendwann die Wahrheit ausradiert. Eine Matrix wird vielleicht schon programmiert.
Der Fall McNeal | 10.9. (Voraufführung), 14.9. (deutsche Erstaufführung), 16., 24., 27.9., 5.10. | Schauspielhaus Düsseldorf, Kleines Haus | www.dhaus.de
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