Bei der diesjährigen Ausgabe des Festivals für Theater und Neuen Zirkus sind 17 Ensembles in der Innenstadt von Schwerte zu sehen.
engels: Herr Ehrich, Welttheater der Straße heißt: eine Stadt im kulturellen Ausnahmezustand. Nach 31 Ausgaben gibt es immer noch keine Nörgler?
Holger Ehrich: Nein. Das einzige Luxusproblem ist, dass die Leute manchmal klagen, dass es so voll sei, dass man immer rechtzeitig da sein müsste, um noch eine gute Sicht zu haben. Aber die gute Nachricht ist, dass wir daran gezielt gearbeitet haben. Wir haben das Festival zeitlich und räumlich in alle Richtungen ausgedehnt, dass mittlerweile alle auf ihre Kosten kommen.
Ist Straßentheater nicht gleichbedeutend mit Inklusion?
Das ist bei uns tatsächlich immer ein Thema. Wir bemühen uns sehr, dass alles barrierefrei, gut zugänglich ist. Das gelingt uns auch an den meisten Spielorten. Im letzten Jahr hatten wir eine Gruppe, wo eine Rollstuhlfahrerin mit einer Fußgängerin tanzte. Wir bemühen uns auch um Inklusion aller Generationen und Gesellschaftsschichten. Selbst Leute, die sonst nie ins Theater gehen, sind hier begeisterte Zuschauer:innen.
Ist die Produktion „Hass, ein Spießrutenlauf“ eine zeitkritische Notwendigkeit?
Ja, das ist ein sehr relevantes Thema, das ja in einer kreativen Art mit einer Premiere umgesetzt wird. Die Idee ist, den Hass aus dem Netz hier mal im echten Leben erfahrbar zu machen und so zu zeigen, wie es wäre, wenn wir so miteinander im echten Leben umgehen würden. Das ist ein ganz spannender Ansatz einer lokalen Gruppe.
Theater im öffentlichen Raum – wie findet man jedes Jahr neue Inspiration für die Auswahl der Ensembles? Gibt es überhaupt immer neue Gruppen?
Ja, wir haben mehrere neue Gruppen mit dabei. Das Welttheater der Straße ist insgesamt sehr gut vernetzt mit den nationalen und internationalen Szenen des Theaters im öffentlichen Raum. Wir sind auf vielen anderen Festivals, sind in engem Kontakt mit vielen Gruppen und werden deswegen gerne auch als Premierenort ausgewählt. Dieses Jahr verfügen wir auch noch über eine extra Förderung für Residenzen. Zwei Stücke werden bei uns geprobt, geplant, und feiern dann auch bei uns Premiere.
Das Festival startet dieses Jahr laut Webseite mit einem „familienakrobatischen Western“ – was ist das?
Das ist eine spektakuläre neue Großproduktion der französischen Gruppe Les P’tits Bras, die schon zwei Mal in den letzten Jahren bei uns zu Gast war. Das ist eine Show, in der ungewöhnliche Welten zu sehen sind, wo Artistik mit einer sehr witzigen, satirischen Story, einer Westernparodie verbunden wird – ein Allround-Gesamtkunstwerk-Erlebnis für jeden Geschmack.
Ich zitiere mal aus der Ankündigung: „17 Ensembles mit über 70 Künstler*innen“ – ist das nicht viel für so eine nicht so große Stadt? Kann man überhaupt alles sehen?
Ich würde empfehlen, man schaut sich vorher das Programm an und sucht sich seine persönlichen Highlights raus, denn wir haben ja eine große Bandbreite von reinem Entertainment über anspruchsvolle Performances bis hin zu großen Installationen. Da findet jeder seine Sachen. Vielfalt ist eben unser Motto.
Was ist ein „Zirkus Date“?
Das Zirkus Date ist quasi ein Festival im Festival, bereits um zweiten Mal dank einer Förderung des Landes NRW. Da haben wir uns dem zeitgenössischen Zirkus verschrieben und zeigen neue, experimentellere Formen der Zirkuskunst.
Und was kann man sich darunter vorstellen?
Da gibt es zwei Premieren, die sehr unterschiedlich sind und auch zwei Generationen zusammenbringen. Die eine Gruppe sind nach eigener Auskunft zwei alte Zirkuspferde, zwei Künstlerinnen, die schon in den 1990er Jahren Stars des Neuen Zirkus waren und international gefeiert wurden. Sie machen jetzt ein Programm, wo sie sich auf eine humorige Art mit dem Altern im Theater auseinandersetzen. Die zweite Gruppe sind ganz junge Absolventen und Absolventinnen der Folkwang Hochschule, die eine ganz junge Sicht auf den Zirkus werfen und eine Inszenierung bauen, die ganz auf den Spielort zugeschnitten ist.
Was sind die außergewöhnlichen Highlights? Oder gibt es die gar nicht?
Bei uns ist alles auf seine Art speziell! Einige habe ich schon genannt. Besonders außergewöhnlich ist vielleicht die Performance von Angie Hiesl und Roland Kaiser, die eine dreistündige Installation machen, wo ein Performer drei Stunden durchspielt, und die Zuschauer:innen können jederzeit ein- und aussteigen für kürzere oder längere Zeit. Und das ist eine Performance, die sich anhand eines aufgelösten Haushalts mit dem Tabuthema Tod und Hinterlassenschaft hier im öffentlichen Raum beschäftigt.
Reichen die Parkplätze in Schwerte, wenn das Ruhrgebiet kommt?
Irgendwie kriegen wir das immer hin. Ich empfehle aber auch sehr, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Oder mit dem Fahrrad über den Ruhrtalradweg, der direkt am Festivalgelände vorbeiführt. Über die Hälfte unserer Besucher:innen kommt von außerhalb, da lohnt es sich auch, alternative Anreisen in Betracht zu ziehen. Aber wir kommen schon hin. Rund um Schwerte sind zahlreiche Parkplätze, die auf der Website auch ausgewiesen sind. Irgendwie kriegen wir alle immer unter.
32. Welttheater der Straße | 29., 30., 31.8. | Schwerte, Innenstadt | Eintritt frei, barrierearm | 02304 104-811/-812 (Kulturbüro Schwerte)
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