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Christoph Classen
Foto (Ausschnitt): Christine Weitzsch

„Die Sender sind immer politisch beeinflusst“

28. August 2025

Teil 2: Interview – Medienforscher Christoph Classen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

engels: Herr Classen, wie entstand der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) in Deutschland?

Christoph Classen: Der Rundfunk galt für die Alliierten nach 1945 als Problem, weil er von den Nationalsozialisten instrumentalisiert worden ist. Vor allem das Radio, Fernsehen spielte damals noch keine Rolle. Man hat überlegt, wie ließe sich das möglichst staatsfern organisieren, sodass es nicht mehr so leicht für Propaganda missbraucht werden kann. Das betraf allerdings nur die westlichen Alliierten in ihren Besatzungszonen, für die Sowjetunion war das kein Problem.

Man entschied sich schließlich für ein System ähnlich der BBC im Vereinigten Königreich. Ein werbefinanziertes System wie in den USA war für die BRD damals wirtschaftlich nicht machbar, der französische Rundfunk selbst eher staatsnah als -fern. Ein Unterschied war jedoch die regionale Gliederung: Deutschland kam aus einer föderalen Tradition im Gegensatz zum zentralistischen System in Großbritannien.

Hat das funktioniert? Der Journalist Friedrich Küppersbusch sprach mit Blick auf Intendant:innen mal von „politischen Figuren“.

Da ist was dran, die Sender sind immer politisch beeinflusst. Die Parteien versuchen, dort ihre Leute zu positionieren. Es ist jedoch ein Proporzsystem, es ist nicht nur eine Partei, die dort vertreten ist, also wenn z.B. der Intendant ein SPD-Parteibuch hat, dann kommt die Stellvertreterin von der CDU. Und Personalpolitik ist immer vorweggenommene Programmpolitik. Der Einfluss der Parteien war allerdings z.B. in den 1970er- und 1980er-Jahren viel größer als heute.

Der Einfluss der Parteien war in den 70er- und 80er-Jahren viel größer als heute“

Trotzdem ist die Besetzung letztlich eine politische Entscheidung? Wie in der Judikative, man denke an den aktuellen Fall bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts und Frauke Brosius-Gersdorf.

Das ist richtig. Aber man muss sich natürlich fragen, was wäre die Alternative? Wie könnte ein Verfahren aussehen, das politische Einflüsse dort raushält? Ich kann mir da ehrlich gesagt nicht so richtig was vorstellen. Wir haben gewählte Politiker:innen, die sind demokratisch legitimiert. Natürlich sind sie dann diejenigen, die letztlich entscheiden, wer an bestimmten Positionen sitzt. Wer soll das sonst entscheiden?

Im Ursprung der europäischen Demokratie, in Athen, wurden Posten gelost, wäre das eine Möglichkeit?

Naja, es muss ja auch die Qualifikation gesichert sein. Man muss vielleicht nochmal einmal sagen, wie sich die Alliierten das seinerzeit gedacht haben: Neben Politiker:innen sitzen in den Gremien Vertreter:innen anderer Organisationen wie der Tarifpartner, von Kulturverbänden und der Kirchen. Das sollte die ganze Breite der Gesellschaft abbilden. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft dadurch heute noch adäquat repräsentiert wird. Ich denke, hier müsste man etwas ändern.

In vielerlei Hinsicht geht es in die richtige Richtung

Ein anderes Thema ist der Rundfunkbeitrag, der bereits neu gebrandet wurde und nicht mehr Gebühr heißt. Trotzdem scheinen viele diesen als Zwangsgebühr zu empfinden, gerade mit Blick auf Verschwendungen wie im Fall der zurückgetretenen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger. Wie kann hier Legitimität erreicht werden?

Die Kritik kommt aus unterschiedlichen Richtungen. Dass das den Rechtspopulist:innen nicht passt, ist klar. Die kritische und unabhängige Berichterstattung, die es dort gibt, die wollen sie gerne loswerden. Übrigens waren schon bei der Einführung des Modells durch die Alliierten viele deutsche Politiker:innen gegen dessen Unabhängigkeit, sie wollten lieber ein Sprachrohr für sich. Zugleich gibt es eine kapitalistische Logik nach dem Motto: Ich schaue das nicht, warum soll ich dafür zahlen?

Wie kann sich der ÖRR für die Zukunft aufstellen?

Mit Blick auf den Reformstaatsvertrag, der im November ratifiziert werden soll, würde ich schon sagen, in vielerlei Hinsicht geht es in die richtige Richtung. Dass das Angebot nicht immer weiter ausgeweitet werden kann und dass man eher versuchen sollte, sich zu konzentrieren auf zentrale Aspekte des Programmauftrages, wie eben Sicherung demokratischer und kultureller Vielfalt, ein Öffentlichkeitsideal, das sich vielleicht an Habermas‘ Diskursethik orientiert, das nicht Unsummen in Fußballübertragungsrechte steckt usw. Allerdings finde ich die Begrenzung der Online-Aktivitäten des ÖRR problematisch.

Die Diskursethik, das bessere Argument gewinnt auf dem öffentlichen Markplatz der Ideen: Selbst wenn wir unterstellen, dass es das mal außerhalb des akademischen Elfenbeinturms gegeben hätte, ist dieses Ideal im Zeitalter „alternativer Fakten“ und des „Postfaktischen“ nicht längst unterminiert?

Wenn wir uns die öffentlichen Debatten anschauen, hat das mit Diskursethik gewiss über weite Strecken nichts zu tun. Doch was wäre die Alternative zu diesem Ideal, die nicht im Zynismus endet? Politische Gesellschaften brauchen Foren. Die Tatsache, dass das über weite Strecken nicht der Realität entspricht, kann nicht bedeuten, dass man das Ideal deswegen preisgibt.

Bisweilen richtet sich der ÖRR aber zu stark nach den Aufmerksamkeitslogiken der Plattformen 

Ist es nicht der ÖRR selbst, der dieses Ideal preisgibt, wenn er Personen eine Bühne gibt, die nicht einfach nur „alternative Fakten“ präsentieren, sondern Schießbefehle auf Geflüchtete an deutschen Grenzen fordern – was auch gegen das Grundgesetz ist? Wo ist hier die Reeducation?

Man darf das dann nicht unwidersprochen stehen lassen. Aber gar nicht darüber zu berichten scheint mir keine Alternative zu sein – abgesehen davon, dass die angemessene Abbildung des gesamten politischen Spektrums zum Programmauftrag gehört. Bisweilen richtet sich der ÖRR aber zu stark nach den Aufmerksamkeitslogiken der Plattformen, etwa bei den Talk-Formaten: Jemand von der AfD erhöht die Aufmerksamkeit, am besten gepaart mit jemandem von der Linken, die sich dann gegenseitig zerschießen. Das mag spannend sein, dient aber nicht der politischen Aufklärung.

Nur, ist der Rundfunkbeitrag nicht genau dafür da, dass der ÖRR sich nicht von der Quote abhängig machen müsste?

Natürlich, aber ein ÖRR, den nur noch Minderheiten schauen, hat eben auch ein Legitimationsproblem. Das ist eine Gratwanderung, auch wenn ich mir oft mehr Mut zu experimentellen Formaten wünschen würde, statt eines kleinsten gemeinsamen Nenners von Mehrheitsfähigkeit.

Mehr Mut zu experimentellen Formaten

Sehen Sie denn noch das Widersprechen, gerade bei „alternativen Fakten“? Der österreichische Journalist Armin Wolf hat einmal in einem Interview, ich glaube, neunmal nachgehakt, um eine Antwort zu bekommen. Passiert das bei den tagesthemen oder ZDF heute?

Ganz viele Fragen, wenn Sie die stellen als Journalist:in, dann kriegen Sie irgendwelche ausweichenden oder nichtssagenden Antworten. Da können Sie fünfmal nachfragen, dann kriegen Sie wieder eine andere nichtssagende Antwort. Oder im besten Fall lässt sich vielleicht manchmal indirekt daraus schließen, was die Antwort ist. Politiker:innen, übrigens aus dem ganzen Spektrum, sind sehr gut darin, investigative Fragen abzublocken und sich möglichst nicht festzulegen. Carmen Miosga versucht meiner Meinung nach gerade schon, die klassischen Formate aufzubrechen. Und ich würde auch die Satire dazuzählen, wie die heute-show von Oliver Welke oder Jan Böhmermann, die, glaube ich, durchaus einen aufklärerischen Anspruch haben. 

Sind wir dann nicht schon in den USA angekommen? Dort schaut man für kritischen „Journalismus“ auch eher Late-Night-Shows. Was sagt das über den Zustand des Journalismus aus?

Ich würde eher fragen, was sagt das über die Öffentlichkeit aus? Es zeigt die Polarisierung an. Die Aufgabe des ÖRR ist es, und das ist natürlich sehr schwierig, sich nicht einfach einem Pol zuzuordnen. Eine Situation wie in den USA, wo die komplette Medienlandschaft nach politischen Positionen gespalten ist, kann nicht das Ziel sein. Nach Möglichkeit sollten die Sender gesellschaftlich integrierend wirken, auch wenn das in Zeiten zahlreicher alternativer Angebote natürlich schwierig geworden ist. Aber auch hier gilt es, den Anspruch nicht aufzugeben.

Interview: Paul Tschierske

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