Eins vorweg: Auch in Skandinavien ist man ziemlich machtlos, wenn es darum geht, ein Mittel gegen die immer neuen Steuerticks internationaler Konzerne zu finden. Eine umsatzstarke Dependance auf den Cayman Islands, eine geheime Stiftung in Liechtenstein, die Überweisung von Unternehmensgewinnen als Lizenzgebühren in eine sogenannte Luxemburger Patentbox. Diese Maßnahmen kommen nicht etwa von irgendeiner windigen Finanzfirma, sondern betreffen das schwedische Unternehmen schlechthin: Ikea. Um wenigstens den Mittelstand in Schweden zu halten, setzt das Land deshalb auf niedrige Steuern für Unternehmen und Kapitalerträge - und damit auf eine partielle Abkehr vom Gemeinwohlprinzip.
Trotzdem gilt Schweden seit Jahrzehnten als Musterbeispiel für ein gerechtes und soziales Steuersystem. Das hat damit zu tun, dass der schwedische Staat immerhin dort auf sozialen Ausgleich setzt, wo Vermögen und Kapital nicht einfach so per Mausklick um die Welt geschickt werden können: bei den Menschen und ihrem Konsumverhalten. Der schwedische Mehrwertsteuersatz liegt konstant bei stolzen 25 %, die Spitzensteuer auf Einkommen bei 56 %. EU-Rekord. Dabei übertrumpfen die schwedischen Steuersätze nicht nur die deutschen sondern auch die französischen Parallelsätze um Längen. Ausgerechnet Frankreich: Dort führte Präsident Hollande vor zwei Jahren eine Sonderabgabe von 75 % ein. Diese gilt aber nur für den Teil des Jahreseinkommens, der über einer Million Euro liegt.
Während die Proteste des Establishments in Frankreich damals hohe Wellen schlugen (Schauspieler Gérard Depardieu wurde aus Protest gar zum Wahlrussen), sind hohe Steuern in Schweden weitgehend als Tradition akzeptiert. Das liegt vor allem daran, dass die Schweden wissen, wofür sie ihre Steuern bezahlen. Durch die Aufteilung in 290 Steuerbezirke kommt ein wesentlicher Teil der Sozialabgaben nämlich unmittelbar und transparent örtlichen Projekten in Bildung, öffentlichem Verkehr, Pflege und Kultur zu Gute.
Einkommensunterschiede sind im hohen Norden aber auch grundsätzlich weniger wichtig als in Deutschland. Beispiel Bildung: Während hierzulande viele Familien große Summen dafür verwenden, dass ihr Nachwuchs im richtigen Viertel auf der richtigen Schule zum Abitur gelangt, vertrauen die Schweden darauf, dass ihre Steuern flächendeckend für ein gutes Bildungssystem sorgen.
„Schweden, Modell für Deutschland?“, fragte der Spiegel schon 1972 auf seinem Titel. Heute, da hinter dem vermeintlichen Sieg des Kapitalismus wieder Fragezeichen stehen, die mindestens so groß wie damals, lange vor dem Mauerfall, sind, scheint diese Frage aktueller denn je. Und da passt es als Symbol gar nicht mal schlecht, dass vor ein paar Monaten ausgerechnet Ikea-Gründer Ingvar Kamprad aus seinem Schweizer Steuerexil zurück in die Heimat zog. Nach 41 Jahren. Geld, so schien er sagen zu wollen, ist am Ende doch nicht alles. Für Niemanden.
Aktiv im Thema
www.euractiv.de | Medium für Europapolitik
www.diw.de | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
netzwerksteuergerechtigkeit.wordpress.com | Netzwerk Steuergerechtigkeit
Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: choices.de/thema und trailer.de/thema
Thema im Februar: GUTE ZEIT – Statt guter Vorsätze, weg mit dem Pessimismus! Gute Nachrichten von hier und aus anderen Ländern.
Projekte von Staaten, Kommunen und Initiativen, die Mut machen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
„Diese Abkommen sind undemokratisch, unsozial, unökologisch“
Alexis Passadakis von Attac über TTIP, CETA und das Klimacamp bei Köln – Spezial 08/16
attac: Neoliberalismus ins Museum
Globalisierungskritiker deponieren Thatchers Handtasche im Forum NRW – Spezial 08/16
Anarchie in Traum und Tat
Dokumentarfilm „Projekt A“ auf der attac-Sommerakademie und im Bochumer Endstation-Kino – Spezial 08/16
Keine einfachen Lösungen
Matinee zu „Rum oder Gemüse?“ am 12.6. im Rex – Foyer 06/16
Kampf der Interessen
Die EU, der zahnlose Steuertiger? – THEMA 01/16 GERECHT STEUERN
„Statt Ehen sollte man Kinder fördern“
Lisa Paus über die Vorteile gerechterer Steuern – Thema 01/16 Gerecht Steuern
Die Null muss stehen
Mit höheren Steuern finanziert Wuppertal den ausgeglichenen Haushalt 2017 – Thema 01/16 Gerecht Steuern
Markt und Mensch sind träge
Kann eine Gesellschaft funktionieren, wenn ihr oberstes Ziel das Gemeinwohl ist? – THEMA 11/15 GEMEINWOHL
Maßgeschneiderter Schutz?
Regierung fordert Ausnahmen für Kultur in TTIP – Theater in NRW 11/15
Radikale Veränderung des Finanzsystems
Christof Lützel, Bankbetriebswirt und Pressesprecher der GLS Bank, über Gemeinwohl als Gesellschaftskonzept – Thema 11/15 Gemeinwohl
Handeln – aber nicht um jeden Preis
GEPA sorgt für faire Bezahlung – Thema 11/15 Gemeinwohl
Scheine mit Mehrwert
Das Bristol Pound stärkt lokale Wirtschaftskreisläufe – Thema 11/15 Gemeinwohl
Kulturschock
Intro – Kunst & Kultur
Der Kulturkampfminister
Teil 1: Leitartikel – Wie Wolfram Weimer sein Amt versteht
„Kultur muss raus ins Getümmel“
Teil 1: Interview – Philosoph Julian Nida-Rümelin über Cancel Culture und Demokratie
Querschnitt der Gesellschaft
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Kulturbüro Wuppertal als Partner der freien Szene
Inspiration für alle
Teil 2: Leitartikel – Wer Kunst und Kultur beschneidet, raubt der Gesellschaft entscheidende Entwicklungschancen
„Mich hat die Kunst gerettet“
Teil 2: Interview – Der Direktor des Kölner Museum Ludwig über die gesellschaftliche Rolle von Museen
Kultur am Kipppunkt
Teil 2: Lokale Initiativen – Bruno Wenn vom Kölner Kulturrat über die Lage der städtischen Kulturhäuser
Unbezahlbare Autonomie
Teil 3: Leitartikel – Die freie Theaterszene ist wirtschaftlich und ideologisch bedroht
„Ich glaube schon, dass laut zu werden Sinn macht“
Teil 3: Interview – Freie Szene: Die Geschäftsführerin des NRW Landesbüros für Freie Darstellende Künste über Förderkürzungen
Zwischen Bar und Bühne
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Neuland als kulturelles Experiment im Bochumer Westend
Die Kunstinitiative OFF-Biennale
Wer hat Angst vor Kunst? – Europa-Vorbild: Ungarn
Was hat Kultur denn gebracht?
Eine Erinnerung an Nebensächliches – Glosse
Branchenprobleme
Intro – Gut informiert