engels: Herr Hölzle, Robert Habeck hat Wasserstoff und E-Fuels kürzlich bei Anne Will den Champagner der Energiewende genannt. Stimmen Sie dem zu?
Markus Hölzle: Wenn wir schauen, was Champagner ist: Ein ganz hochpreisig vermarktetes Produkt, das sehr regional angebaut wird. Nur eine ganz kleine Lokalität in Frankreich darf Champagner vermarkten. Für viele ist er nichts anderes als ein toller Sekt. Was – im Vergleich dazu – ist Wasserstoff? Die weltweit größte Chemikalie! Das ist etwas ganz Anderes als Champagner. Etwa ein Prozent des Bruttoenergieverbrauchs der Welt gehen heute bereits in die Wasserstofferzeugung. Wasserstoff ist ein global verfügbares Produkt, das in vielen Anwendungen unseres täglichen Lebens bereits drin steckt. Und dazu sehr kostengünstig, also weit weg von einem Champagner-Preislevel. Deshalb ist die Verbindung zwischen Champagner und Wasserstoff eher eine Ironische und stellt Wasserstoff in eine Ecke, in die er überhaupt nicht hineingehört. Ich sage so lässig ‚Wasserstoff ist omnipräsentʻ, trotzdem sieht ihn fast keiner im täglichen Leben. Es ist kein Produkt, das in der Natur vorkommt, sondern muss zuerst hergestellt werden. Das passiert immer dort, wo er direkt verbraucht wird, wie in der chemischen Industrie, in Raffinerien oder in der Lebensmittel-, Pharma- und Kosmetikindustrie. Industrien, die typischerweise hinter einem Zaun arbeiten und im Alltag für den normalen Bürger gar nicht einsehbar sind. Während jeder an der Tankstelle zu Benzin und Diesel Kontakt hat, haben die allermeisten zu Wasserstoff keinen. Deshalb ist es heute immer noch die große Unbekannte, um die sich viele Mythen und Ängste ranken.
„Diese Kraftstoffe werden mindestens das Doppelte kosten im Vergleich zu Benzin und Diesel“
Stichwort Zapfsäule: Können E-Fuels das Klima schützen?
E-Fuels steht für CO2-neutrales Benzin und Diesel – künstliche Kraftstoffe, hergestellt aus Wasserstoff und CO2. Letzteres kann aus der Zementindustrie, aus Abgasströmen der chemischen Industrie oder auch aus Anlagen, die CO2 aus der Luft herausfiltern, kommen. Der Ansatz wäre dann: Wir lassen alles beim Alten und ersetzen nur den Kraftstoff; gehen weg vom Rohöl hin zu sogenannten E-Fuels. Wir hätten eine Autoindustrie, die gute Motoren baut und diese neueste Generation „e-Diesel“ wäre dann auch formell CO2-neutral. Diese Technologie gibt es im Pilotmaßstab und sie funktioniert auch, nur ist sie sehr teuer und energieaufwendig. Um Wasserstoff herzustellen, brauchen Sie elektrische Energie – sprich Strom – genauso für CO2, um es aus der Luft zu holen und ebenso für die finale Reaktion der beiden miteinander. Das heißt, diese Kraftstoffe werden mindestens das Doppelte, wenn nicht das Dreifache kosten im Vergleich zu Benzin und Diesel. Ich vermute daher, dass es kein Massenprodukt werden wird. Ich würde es eher im Bereich Flugbenzin ansiedeln, da wir im Flugzeug begrenzten Stauraum für Kraftstoff haben. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit wären Fahrzeuge, bei denen eine bewährte Motorentechnologie extrem wichtig ist und die auch keine weiten Strecken fahren wie etwa bei der Feuerwehr oder dem technischen Hilfswerk. Bei einer so großen Flutkatastrophe wie der im Ahrtal kommen Sie mit Elektro- oder Wasserstofffahrzeugen leider nicht weit. Da brauchen Sie Fahrzeuge, die Sie wieder einfach und schnell betanken können.
„Da sehr viel Wasserstoff in Zukunft notwendig wird, werden diese Anlagen riesig“
Bei der Gewinnung von Wasserstoff durch Elektrolyse ist Deutschland laut einer Studie des Fraunhofer Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) 2018 technologisch führend. Wie wird das genutzt?
Technologisch führend bezieht sich hier auf die Herstellung der sogenannten Elektrolyseure, also der Anlagen, in denen das Wasser mit Hilfe von Strom zu Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. In Deutschland sind das zwei große Anbieter, die auch weltweit agieren, zum einen Thyssenkrupp, zum anderen Siemens. Dazu kommt noch eine Latte von kleineren Anbietern. Es gibt auch laufend Entwicklungsarbeiten; auch bei uns am Institut, diese Anlagen immer besser zu machen, das heißt, effizienter mit geringerem Stromverbrauch. Da sehr viel Wasserstoff in Zukunft notwendig wird, werden diese Anlagen riesig werden. Auch dies muss entwickelt werden zusammen mit einer effizienten und kostengünstigen Fertigungstechnologie. Deutschland ist bei dieser Technologie ganz weit vorne mit dabei und muss nun diesen Spitzenplatz durch schnelle Verbesserungen festigen.
„Das Problem des fehlenden grünen Stroms wird uns die nächsten Jahrzehnte erhalten bleiben“
Wie grün ist der Wasserstoff derzeit?
In Deutschland haben wir aktuell das Problem, dass nicht genug grüner Strom für die Wasserstoffproduktion über Wasserelektrolyse vorhanden ist. Der Anteil an grünem Strom, der zwar ständig wächst, wird von anderen Anwendern aufgebraucht. Jeder möchte grün werden und ganz vorne mit dabei sein, beispielsweise die Industrie und die Deutsche Bahn. Das Problem des fehlenden grünen Stroms wird uns die nächsten Jahrzehnte erhalten bleiben. Nun benötigt grüner Wasserstoff eben zwingend grünen Strom bei der Herstellung und somit haben wir hier ein fast unlösbares Problem. Würde man hingegen sogenannten grauen Wasserstoff zulassen, also den Wasserstoff, der mit dem heutigen Strommix aus der Steckdose hergestellt wird, so hätten wir diese Probleme nicht. Dafür hätten wir dann eben Anteile von Kohlestrom im Mix und somit auch CO2-Emissionen. Ironischerweise ist dieser Strom-Mix für Elektrofahrzeuge völlig akzeptiert. Da fragt keiner danach, wo der Strom zum Beispiel nachts und bei Windstille gerade herkommt. Wenn Sie vom Nutzer eines Elektrofahrzeugs verlangen würden, er dürfte nur laden, wenn er zu 100 Prozent grünen Strom betankt, würde sich niemand ein Elektrofahrzeug kaufen. Die Politik müsste insofern nachjustieren, als dass innerhalb einer Übergangsphase von 15 Jahren der Wasserstoff mal grüner und mal grauer sein dürfte. Dafür stünde immer genug Strom zur Verfügung. Wenn dahingehend keine pragmatische Lösung kommt, wird die Politik feststellen, dass mit unter dem Postulat des reinen grünen Wasserstoffs dieser eben nicht in großen Mengen produziert werden kann, somit auch keine Elektrolyseure in großen Stückzahlen verkauft werden, die Kosten hoch bleiben und der Markt nicht in Schwung kommt. Bei den Elektrofahrzeugen kann man aktuell das Gegenteil beobachten: Man drückt bei der Herkunft des Stroms ein Auge zu, gibt dem Käufer von E-Fahrzeugen noch eine schöne Subvention und schon brummt das Geschäft. Angenehmer Nebeneffekt: Die Angebotspalette an Fahrzeugen wird immer umfangreicher, die Batterien immer billiger und die Reichweite der Fahrzeuge wird auch immer größer.
„LKW fahren sehr lange Strecken und haben nur sehr kurze Tankzeiten“
Wie weit sind wir bei beiden Technologien von der Marktreife entfernt?
Bei den E-Fuels ist noch ein Stückchen Weg zu gehen, obwohl die Technologie im Prinzip existiert. Es gibt kleine Anlagen, die auch laufen. Übergeordnet muss man jetzt zu den großen Anlagen übergehen. Eine Raffinerie beispielsweise macht 10 Millionen Tonnen Produkte im Jahr. Bei den E-Fuels bewegen wir uns aktuell in einem Bereich von bloß 50 Kilogramm. Brennstoffzellen gibt es schon seit über 20 Jahren. Die Anwendung geht momentan vom PKW weg hin zum LKW. Denn diese fahren sehr lange Strecken und haben nur sehr kurze Tankzeiten. Mit Batterien ließe sich das schwer darstellen. Bei den Brennstoffzellen findet aktuell der Übergang von einer Manufaktur – also der Herstellung einzelner Brennstoffzellen per Hand – in eine automatisierte Serienproduktion statt. In solche Produktionsstätten werden in den kommenden Jahren bis zu dreistellige Millionenbeträge investiert werden und zwar in Deutschland! Die Brennstoffzelle wird kommen und bei den E-Fuels werden wir in den nächsten Jahren sehen, wohin die Reise gehen wird.
„Das Schöne: Wenn wir die Energiewende bewältigt haben werden, dann sind wir auch fertig“
Ist es realistisch, dass wir die Verkehrswende mit Brennstoffzellen machen?
Die Verkehrswende wird passieren mit Batterien und Brennstoffzellen, in einem Nebeneinander. Wenn Sie das einmal herunterbrechen: Was ist eine Batterie? Das ist Strom. Was ist eine Brennstoffzelle? Das ist Wasserstoff. Diese beiden Energieträger, Wasserstoff und elektrische Energie, sind beide CO2-frei und sie können beide außerhalb von Fahrzeugen in vielen weiteren Anwendungen eingesetzt werden. Damit können Sie die Energiewende erfolgreich machen. Mit nur Wasserstoff oder nur Strom allein wird das nicht klappen. Die Energiewende wird eine Mammutaufgabe für die nächsten 30 Jahre. Doch das Schöne daran ist: Wenn wir diese Energiewende erfolgreich bewältigt haben werden, dann sind wir auch fertig – denn mehr als CO2-frei können wir nicht werden.
„Das wird ein politisch heißer Ritt“
Steht einer Energiewende noch etwas im Weg?
Wenn Sie die Wissenschaft und die Technologen fragen: Habt ihr alles?, wäre die einhellige Antwort: Eigentlich ja. Wir müssen nichts Grundlegendes mehr erfinden. Die Schlüsseltechnologie ist immer die regenerative Stromerzeugung. In Deutschland sind dies die Photovoltaik und die Windenergie. Diese beiden Technologien sind in den letzten 20 Jahren so günstig geworden, dass sie es inzwischen erlauben, Strom für fünf Cent pro Kilowattstunde herzustellen. Damit haben wir konkurrenzfähige Technologien für grüne Energie. Wir haben einen politischen Willen, eine Energiewende anzugehen und wir haben mittlerweile genug Kapital in Umlauf, um das Ganze zu finanzieren. Die EU möchte bis 2050 CO2-frei sein. Deutschland hat sich höhere Ziele gegeben und sagt CO2-frei bis 2045. Baden-Württemberg macht es noch besser mit grüner Regierung und plant die Wende bis 2040. Doch in den nächsten 25 Jahren all das aufzubauen, auf die Stückzahlen zu kommen, die Kosten deutlich zu reduzieren, die Wirtschaft umzupolen, alle Gebäude zu isolieren, und so weite – das wird ein politisch heißer Ritt. Dabei läuft man auch Gefahr, die Bevölkerung zu verprellen oder gar zu verlieren. Aber eben die Zustimmung und die Mithilfe dieser Bevölkerung brauchen wir zwingend für den Erfolg der Energiewende.
GRÜNE ENERGIE 2030 - Aktiv im Thema
buendnis-buergerenergie.de | Im Bündnis Bürgerenergie versammeln sich regionale Akteure für eine grüne Energieversorgung.
robinwood.de | Die Gewaltfreie Aktionsgemeinschaft Robin Wood kämpft für ökologische und soziale Gerechtigkeit.
germanwatch.org/de/investitionen-energiewende | Forschungsprojekt von Germanwatch zu Chancen und Problemen der Energiewende.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
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