Als das Historische Archiv im März 2009 durch den U-Bahn-Bau in Köln zerstört wurde, war das ein großes Unglück. Aber es war auch eine Blamage. Spätestens seit dieser selbstverschuldeten Katastrophe gilt Köln als Deutschlands Zentrum für Pleiten, Pech und Pannen. Schnell kann man zu einer Lachnummer werden, aber man kann mit mutigen Entscheidungen und ästhetisch interessanten Projekten auch Marken setzen, die dem Profil einer Stadt neue Akzente verleihen. Der vom Architekturbüro Waechter &Waechter entworfene Neubau des Archivs an der Luxemburger Straße wäre so eine Chance gewesen, aber nun schneidet der Rat der Stadt mit seinem Beschluss vom 18. Juli die Kunst- und Museumsbibliothek aus dem Komplex heraus und bietet sie wie saures Bier der Universität an. Schon mehrfach hat man die Uni bekniet, die Bibliothek zu übernehmen, und als der Kanzler jetzt ein gnädiges Zeichen der möglichen Übernahme signalisierte, konnte man die Erleichterung zwischen den Zeilen der städtischen Presseerklärung geradezu mit Händen greifen.
Rund um den Erdball genießt diese Bibliothek ein herausragendes Renommee unter Kunstwissenschaftlern, Galeristen und Künstlern. Die rotgrüne Ratsmehrheit scheint diese Tatsache herzlich wenig zu interessieren. Erinnern sich SPD und Grüne nicht mehr daran, dass ihre Parteitradition den Kulturauftrag einmal als wichtigen Teil ihrer politischen Identität definierte? Offenbar taugt der Ruf der Kunststadt Köln nur noch dazu, als Worthülse auf den Prospekten des Köln-Tourismus beschworen zu werden, mit der Verantwortung für gewachsene Institutionen wird er jedenfalls nicht mehr in Verbindung gebracht. Was für ein Edelstein ist diese Bibliothek mit ihrem unglaublichen Potenzial (420.000 Bände und 150.000 Zeitschriften und Mappen von Künstlern) an Bildmaterial und ihrem einzigartigen Schatz an Fotobüchern. Jetzt ist sie zerstückelt auf diverse Lesesäle und wird es wohl auch bleiben.
Würde man ihre einzelnen Depots zusammenführen, bestünde die Möglichkeit, sie als Museumsattraktion zu präsentieren und zu vermarkten. Eine Institution, für die weiterhin Förderung von Land und Bund gefordert werden muss, auch deshalb, weil sie jedem Kölner Bürger zugänglich ist. Der Komplex des Historischen Archivs erhielte mit diesem Buchschatz in unseren bildbesessenen Zeiten ein attraktives Geschwister, das den analytischen Umgang mit dem Bild schult. Dazu gehört auch eine Museumsfläche, die jene Schätze, die im Archiv liegen, mit den Kölnern kommuniziert. Erst wenn man erlebt hat, was in Archiven aufbewahrt wird, bekommt man auch eine Vorstellung von der Bedeutung der Dokumente und ein Bild der eigenen kommunalen Geschichte.
Diese Institution, zu der man Vergleichbares in Städten wie Frankfurt, München oder Hamburg nicht findet, soll nun von der Universität geschluckt werden, die selbst noch keine konkreten Vorstellungen hat, wo denn eigentlich für dieses Kleinod Platz geschaffen werden könnte. Hauptsache entsorgt, dieser Eindruck setzt sich immer wieder in den kulturpolitischen Entscheidungen des Rates durch, der sich offensichtlich überfordert fühlt, den kulturellen Reichtum der Stadt zukunftsorientiert zu verwalten und ihn nicht als Herausforderung und Chance begreift.
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