Moderne Zeiten
USA 1936, Laufzeit: 87 Min., FSK 6
Regie: Charles Chaplin
Darsteller: Charlie Chaplin, Paulette Goddard, Henry Bergman, Allan Garcia
Rage against the machine
Matt513 (238), 29.03.2020
Wie in anderen seiner Filme greift Chaplin hier große zeitgenössische Themen auf und bricht sie auf die Nahperspektive herunter. Wo viele Kommentatoren die Industrierevolution als großes, mithin segenspendendes Projekt begriffen, richtet Chaplin seinen Blick auf den Preis, den die einfachen Menschen für den Fortschritt zu bezahlen haben. Behilflich dabei ist ihm einmal mehr seine geniale Schöpfung, der kleine Tramp.
Jener findet sich buchstäblich in den Mühlen der Industrieproduktion wieder, wo der Mensch auf den bloßen Produktionsfaktor reduziert wird. Hatte es das vorher schon mal gegeben, Fließbandarbeit in einem abendfüllenden Film? Der Arbeitstakt ist hier Gesetz. Der Tramp, ein etwas gegen den Strich gebürsteter Kavalier mit dem Herzen am rechten Fleck, wird bald zum Korn im Getriebe der Maschinerie, die ein gelangweilter Industriemogul ohne Nachsicht hochtakten läßt. Irgendwann reicht's. Mit zwei Ringschlüsseln bzw. einer Ölkanne bewaffnet, führt der Tramp eine freche Clownerie auf und bringt den Laden gehörig durcheinander.
Neben diesen offensichtlichen Motiven fällt Chaplins Kritik an den Zuständen auch mal subtil aus. Als er, im Gefängnis gelandet, wegen guter Führung entlassen werden soll, bittet der Tramp inständig darum, bleiben zu dürfen. Er habe es doch gut hier. Also wie verzweifelt muß man sein, um den Knast dem Leben draußen vorzuziehen?
Die größere Bühne für die Geschichte ist der Widerhall der Weltwirtschaftskrise mit Motiven von Massenarbeitslosigkeit, Arbeiterrevolten und bitterer Armut (wobei letzteres ein wiederkehrendes in Chaplins Werk ist). Die Mechanisierung der Industrie konnte schließlich auch den Wegfall vieler Arbeitsplätze bedeuten. In einer wundervoll orchestrierten Szene sieht man sein komödiantisches Können. Von der Ladung eines vorbeifahrenden Lastwagens fällt eine (wohl) rote Markierungsfahne herunter. Der Tramp, stets das Gute im Blick, nimmt sie auf und läuft hinter dem Lastwagen her, wild gestikulierend und die Fahne schwenkend. Genau in diesem Augenblick biegt die Kolonne der protestierenden Arbeiter hinter ihm aus einer Seitenstraße ein, doch der Tramp hat nur Augen für den Lastwagen. So läuft er, die rote Fahne schwenkend, vor der Arbeiterkolonne her und wird von der Polizei als vermeintlicher Aufrührer verhaftet; bei der ganzen Abfolge schüttelt es mich jedes Mal vor Lachen.
Diese Szene brachte Chaplin in den Verruf, ein Kommunist zu sein (und dürfte den Weg markieren, an dessen Ende sein Verhältnis mit Hollywood zerrüttet war). Ich frage mich, wie paranoid man sein mußte, um anhand dessen einen solchen Verdacht zu formulieren. Nee, echt nicht. Und nebenbei, Chaplins Tramp mag mitunter anarchisch sein, ein Anarchist bzw. Umstürzler ist er deswegen noch lange nicht.
Wollte man so etwas überhaupt mal vermuten, dann, ja puh, dann wäre ja eher noch die Frühstücksmaschine anfangs in der Fabrik in Betracht gekommen. Denn sie dient einzig dem Zweck, noch mehr Produktivität aus dem Arbeiter durch Verkürzung der Essenszeiten herauszuholen, ihn so maximal auszubeuten.
Chaplins Film steht nicht nur für all dies, sondern ist außerdem auch in Teilen vertont, wobei er (im weitesten Sinn) nur den Autoritäten Stimme verleiht. So steht er für die 'modernen Zeiten' des Industriezeitalters mit ihren Herausforderungen für die Gesellschaft einerseits, markiert aber auch den Aufgang eines neuen Zeitalters im Kino (sowie das Ende des Stummfilms). Was jenes andererseits für die Stummfilmstars der Zeit bedeutete, wurde in anderen Werken bereits thematisiert.
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