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Manchmal taktlos: Fazil Say
Foto: Presse

Frei wie ein Baum

31. Mai 2013

Wie aus der Geschichte nichts gelernt wird – Klassik in NRW 06/13

Fazil Say ist ein international agierender klassischer Pianist, der auch Ausflüge in den Jazz oder in ethnologische Konfrontationen sehr schätzt. Er ist aber auch ein sehr politischer Mensch, der sich stets verbal mit allen anlegt, die ihm an die Freiheit wollen. „Leben! Wie ein Baum, einzeln und frei und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.“ Dies ist nicht das Credo Fays, sondern ein alter Spruch des türkischen Lyrikers Nâzim Hikmet. Jetzt führt Fazil Say ein Werk zu diesem Sprachrevoluzzer auf, das der Komponist Say im brüderlichen Schulterschluss kurz und knapp „Nâzim“ nennt – es gibt mehr Parallelen zwischen den Künstlern, als Fazil Say lieb sein dürfte.

Politische Verfolgung, Publikationsverbote, lange Jahre in Gefängnissen und Exiljahre in der Sowjetunion prägten Nâzims Leben maßgeblich. Sein Lebenswerk fand trotzdem den Weg in die Literatur, der Dichter gilt als Erwecker einer neuen Lyrik in der Türkei. Dabei war ihm neben den hochgesteckten Zielen von Freiheit und Gerechtigkeit besonders die Beziehung zur Heimat und den einfachen Landsleuten wichtig. Fazil Say widmete ihm 2001 ein Oratorium, das nun in erschreckender Weise autobiographische Züge annimmt. Wenn dieses Spektakel von der Wucht und Kraft der Orffschen „Carmina Burana“ jetzt in Essen über die Bühne geht, sitzt ein Komponist am Klavier, der selbst wegen Blasphemie von einem türkischen Gericht zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde – in Abwesenheit. Der u.a. in Düsseldorf ausgebildete Pianist tourt gerade durch Westeuropa. Was hatte sich Fazil zu Schulden kommen lassen?

Auf Twitter hatte der bekennende Atheist mehrfach Gedanken geäußert, die für Muslime durchaus provokant klingen. „Der Muezzin hat das Abendgebet in 22 Sekunden ausgerufen … Was hast du es so eilig? Eine Geliebte? Ein Raki auf dem Tisch?“ Damit bezog sich Fay auf Sätze eines persischen Dichters aus dem 12. Jahrhundert, wie folgt überliefert: „Du behauptest, durch die Bäche wird Wein fließen – ist das Paradies etwa eine Schänke? Du sagst, jeder Gläubige wird zwei Jungfrauen bekommen – ist das Paradies etwa ein Bordell?“ Drei Bürger erstatteten Anzeige. Und erhielten Recht, da der 43jährige Künstler „religiöse Werte eines Teils der Bevölkerung“ verletzt habe. Say ist ein streitbarerer Bürger seines Landes, der die konservative Regierung von Recep Tayyip Erdogan aus Überzeugung ablehnt und auch gern mal beschimpft. Aber ein solcher Rechtsspruch führte selbstverständlich zu einem Aufschrei in der westlichen Kulturwelt.

Das nun aufgeführte Werk ist eine Auftragskomposition des türkischen Kulturministeriums. Irgendwie drängt sich der Verdacht auf, dass niemand auf den Inhalt dieses Oratoriums geachtet hat. Zumindest hat niemand zugehört. Skandal und Schaden durch den Schiedsspruch wären von Dauer gewesen – hätten zwei Wochen nach dem rechtskräftigen Urteil nicht „höhere“ Kräfte auf Verfahrensfehler hingewiesen, die das gesprochene Urteil für aufgehoben erklärten. Nun muss neu verhandelt werden – man munkelt aber, dass dieses Verfahren unter den Tisch fallen könnte. Und wo stünden wir in Europa, wenn Fazil Say nicht seine eigene Meinung zu seiner persönlichen Wertschätzung der Religionen aussprechen dürfte. Say: „Überall wo es Schwätzer, Schurken, Sensationsgierige, Diebe, Blödmänner gibt, sind sie alle furchtbar fromm.“ Das mag häufig stimmen.

Konzert mit Fazil Say (Klavier), Banu Böke (Sopran), Thomas Laske (Bariton), Ibrahim Yazici (Dirigent) und Genco Erkal (Erzähler) I 10.6. I Philharmonie Essen I www.philharmonie-essen.de

Olaf Weiden

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