Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14 15 16 17

12.576 Beiträge zu
3.806 Filmen im Forum

„Fuck you“ Sonderschule heißt es seit 1977 in Italien
Foto: Marielena Wolff

Inklusion total

23. Februar 2017

Menschen mit Behinderung sind in Italien selbstverständlicher Teil der Gesellschaft – Thema 03/17 Fremdkörper

Es ist nicht so, dass es in Italien schon immer mehr Toleranz gegenüber Menschen mit Behinderung gab als anderswo. Lange kamen sie im öffentlichen Bewusstsein sogar höchstens als Kriegsversehrte vor: Als sich eine progressive italienische Bildungspolitik in den 1970er Jahren das große Motto „Inklusion“ auf die Fahnen schrieb, war „behindert“ noch nicht einmal ein gängiges italienisches Wort. Doch dann gingen die Italiener einen radikalen Schritt: Sie schafften alle Sonderschulen ab.

Seit 40 Jahren gehen in Italien so alle gemeinsam in die Schule: Menschen mit Lernschwächen, körperlich Eingeschränkte, Autisten, Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten und vermeintlich „ganz normale“ Schüler. 99 Prozent aller Menschen mit Behinderung kommen in den Regelschulen unter. In Deutschland sind es, trotz großer Inklusions-Debatte, gerade mal zehn Prozent.

Niemand behauptet, dass dieses System ohne Schwächen ist. Doch eines haben die Italiener so geschafft: Menschen mit Behinderung sind ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft geworden. Unabhängig vom pädagogischen Lernerfolg: Die Gemeinschaftsschulen haben der systematischen Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung ein Ende bereitet. Heute lernen die italienischen Kinder früh, dass es ganz unterschiedliche Formen des Andersseins gibt. Und dass man damit ganz unaufgeregt umgehen kann.

Die Resultate dieses über Jahrzehnte gefestigten Mentalitätswechsels lassen sich heute in ganz Italien beobachten. Von Universitäten bis zu Bahnhöfen: Öffentliche Gebäude sind großzügig auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung eingestellt. Dabei sieht man den Anlagen an, dass sie nicht, wie anderswo, erst nach dem Inkrafttreten der UN-Behindertenkonvention im Jahr 2008 barrierefrei nachgebessert wurden. Sie sind vielmehr der gewachsene Ausdruck einer gelebten Inklusions-Philosophie.

Noch wichtiger ist aber: Es gibt in Italien kaum Berührungsängste zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten. Behinderten Besuchern aus dem Ausland fällt das oft besonders deutlich auf: Während Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen in Deutschland häufig angestarrt werden und spüren, wie schwer sich ihre Mitmenschen damit tun, den richtigen Ton gegenüber ihnen zu finden, können sie sich südlich der Alpen plötzlich ganz ohne irritierende Blicke durch die Straßen bewegen. Cliquen, die mit ihren Freunden im Rollstuhl nachts durch die Clubs ziehen, kann man in Italien immer mal wieder beobachten. Gelebte Entkrampfung sozusagen: Behinderung wird nicht mehr als entscheidender Teil der Persönlichkeit wahrgenommen.

Die italienische Inklusion hat aber auch ihre Nachteile. Weil die Menschen mit Behinderung auch auf dem Arbeitsmarkt oft als ganz normale Mitbewerber wahrgenommen werden, haben sie es an dieser Stelle oft schwer. Die Arbeitslosigkeit unter Italienern mit Behinderung ist im Vergleich mit anderen Ländern besonders hoch.


Lesen Sie weitere Artikel 
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema

Aktiv im Thema

www.bsk-ev.org | Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. (BSK) ist mit über 25.000 Mitgliedern und Förderern deutschlandweit organisiert.
www.bvkm.de | Bundesverband für Körper- und mehrfachbehinderte Menschen
www.behindertnaund.de | Wuppertaler Verein „Behindert, na und?“
leidmedien.de | Internetseite zur Vermittlung von Wissen über vorurteilsfreie Sprache

Thema im April: ZUKUNFT JETZT!
Wir brechen eine Lanze für die demokratische Moderne
Zeigen, was geht: an der Basis, digital und in der Politik! Sind Sie ein lupenreiner Demokrat? Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de

David Fleschen

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Red One – Alarmstufe Weihnachten

Lesen Sie dazu auch:

Floskel Barrierefreiheit
Menschen mit Behinderungen in den Parteiprogrammen: Freie Wege für alle? – THEMA 03/17 FREMDKÖRPER

„Wir sind Menschen dritter Klasse“
Karl-Josef Günther über den problematischen Alltag von Menschen mit Behinderungen – Thema 03/17 Fremdkörper

Inklusion im Schatten der Schwebebahn
Der Verein „Behindert, na und?“ mit eigenem Förderzentrum am Arrenberg – Thema 03/17 Fremdkörper

Ich, der ängstliche Furz
Über den richtigen Umgang mit behinderten Mitmenschen – Thema 03/17 Fremdkörper

engels-Thema.

Hier erscheint die Aufforderung!