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Katja Pfeiffer
Foto: Sigurd Steinprinz, 2024

„Sich endlich auch mal langweilen“

30. Oktober 2025

Leiterin Katja Pfeiffer über „Ex Nihilo – Prozesse künstlerischer Arbeit“ in der Kunsthalle Barmen – Sammlung 11/25

Die Gruppenausstellung befasst sich mit der Vorstellung, dass Künstler:innen Werke aus dem Nichts erschaffen.

engels: Frau Pfeiffer, „wie sind Sie denn darauf gekommen?“ ist eine der blödesten Fragen an Künstler bei einer Vernissage. Sie machen jetzt genau darüber eine Ausstellung?

Katja Pfeiffer: Ja, genau. Wenn ich über meine Tätigkeit als Professorin für Kunstpraxis sprechen soll und mir die Frage gestellt wird, was wir den Studierenden denn eigentlich in so einem Kunststudium beibringen, dann führt das manchmal zu Irritationen. Meine Lehrinhalte klingen bisweilen wie ein Kompendium von ineffizienten Arbeitsweisen. Wir empfehlen in der Kunst also Dinge, die einer üblichen, auf Effizienz und Geschwindigkeit angelegten Ausbildung entgegen zu laufen scheinen.

Eines meiner Lieblingsbeispiele ist schon seit Jahren das „Stipendium für Nicht(s)tun“, das die Hochschule für bildende Künste Hamburg initiiert durch Friedrich von Borries 2023 ausgeschrieben hatte. Dieses Stipendium klingt ja erst einmal absurd, und man fragt sich, was das soll. Es hat aber bei genauerem Hinsehen nicht nur diesen humoristischen Aspekt, sondern stellt auch einige sehr ernst gemeinte Fragen: Wie viel Ablenkung gibt es denn zum Beispiel in unserer Welt? Wie viel lassen wir noch zu, an unausgefüllter Zeit, die man dann etwa zum Nachdenken nutzen könnte? Und können wir wirklich versuchen, nichts zu tun? Das ist eine recht schwere Aufgabe. Aber es ist nützlich, denn wenn man versuchen will, zu sich zu finden und zu überlegen, mit was man sich in der Kunst denn überhaupt beschäftigen möchte, dann muss man sich erstmal in die Lage versetzen, sich zu konzentrieren. An der Universität hingegen sehen wir eine Generation von jungen Leuten, die sich alle wahnsinnig gut ablenken können. Die Studierenden sind die ganze Zeit mit irgendwas beschäftigt in den sozialen Medien zum Beispiel. Sie sind mit Selbstoptimierung befasst und so weiter und so fort, aber haben kaum mehr Raum, in dem sie sich mal langweilen und einfach nichts vorhaben. Wenn man sie aber dazu bringt, sich nicht immer wieder abzulenken, sondern sich endlich auch mal zu langweilen, dann finden sie zur Konzentration, mit der sie schneller auf gute Ideen kommen.

Laut Ankündigung geht es aber auch um den „Mythos vom künstlerischen Schaffen aus dem Nichts“. Von einem Mythos habe ich noch nie etwas gehört. Ich weiß, dass in der Popmusik viele Hits in wenigen Minuten entstehen. Und der Maler Martin Kippenberger hat für ein paar seiner Sachen vielleicht auch nicht lange geackert.

Also zunächst mal ist absolut nicht gesagt, dass Kippenberger nicht viel geackert hat. Klar, die Arbeiten als solche mögen manchmal so aussehen, als wären sie schnell entstanden, aber die Frage ist ja auch, welche Denkleistung dahinter steckt. Allein auf die Kippenberger Titel würden viele Leute im Leben nicht kommen. Wenn ich eine konzeptuelle Arbeit mache, mag das auf den ersten Blick ein schneller Prozess gewesen sein, aber ich muss ja erst mal so weit um die Ecke denken können. Dieser Aspekt, dass alle guten Künstler:innen Genies sein müssen, den wir ein bisschen ironisch mit „Ex Nihilo“ als Titel aufgegriffen haben, ist vor allem eine Idee aus der Kunstbetrachtung des 19. und 20. Jahrhunderts. So eine Vorstellung, dass das geniale Werk den Künstler:innen einfach in den Schoss gefallen sein muss. Das schafft einen völlig unnötigen Nimbus, der teilweise den Zugang zur Kunst verstellt. Ja, es gibt bestimmt Geistesblitze und es gibt bestimmt konzeptuelle Arbeiten, die in einem kurzen Augenblick entstehen und es gibt herausragende Künstler:innen. Aber um überhaupt unkonventionell denken zu können und mal zuzulassen, nicht sofort die erstbesten Lösungen zu verfolgen, dafür braucht es eine Entwicklung des Denkens, die man durchaus fördern kann. Und das bedarf tatsächlich verschiedener Praktiken, die wir bei vielen Künstler:innen beobachten beziehungsweise die wir auch lehren können.

Kunsthalle Barmen in frischem Gewand. Lampen-Installation „Dusk“ von Martin Pfeifle. © Ben Joy Muin

Wie wichtig ist da der schnöde Mammon?

Ich glaube, für gute Ideen braucht es überhaupt nicht viel Geld. Tatsächlich glaube ich, dass sehr gute Arbeiten auch mit wenigen Mitteln umgesetzt werden können. Bleistift und Papier – und los. Das ist eher eine Frage nach dem wie. Das adressieren wir in der Ausstellung, indem wir auf das kreative Potenzial von Mangel hinweisen. Als Beispiel stellen wir dort die Practic aus. Das ist eine Zeitschrift, die in der ehemaligen DDR vierteljährlich erschienen ist. Darin hat man unter anderem Bauanleitungen geteilt. Wie baue ich mir ein begehrtes Westprodukt selber, mit den Mitteln, die ich habe? Wie baue ich mir zum Beispiel ein Skateboard oder einen Overheadprojektor? Wenn man heute in den Osten Deutschlands schaut, kann man tatsächlich immer noch sehen, dass dort weiterhin eine starke Reparaturkultur vorherrscht. Diese ständige Verfügbarkeit bei uns, der schnöde Mammon sozusagen, der verhindert sogar Erfindungsreichtum, weil ich mir alles sofort wiederkaufen kann, was kaputt geht, und mir nicht überlegen muss, wie ich etwas reparieren kann. Nehmen wir zum Beispiel den allgegenwärtigen Monoblock, diese gepressten weißen Plastikstühle. Da kann man nichts ankleben. Man könnte meinen, die sind irreparabel. Da gibt es aber ganze Sammlungen von Fotos, wie Menschen probiert haben, diese Monoblock-Stühle doch zu reparieren. Das sind aber Fähigkeiten, die Menschen verlieren, wenn sie sehr gut versorgt und sehr abgelenkt sind.

Wie wurden die Kunstschaffenden für die Ausstellung ausgewählt? Durch diskursives „cornern“ (gemeinsames Treffen an einer Straßenecke, Anm. d. Red.)?

Ja, das Team „cornert“ ganz gerne diskursiv. Aber auch durch „Rumlaufen, Ausschlafen, Verweigern, Basteln“ (nach dem Kulturtheoretiker Friedrich von Borries, Anm. d. Red.) usw. Das „Rumlaufen“ gehört definitiv dazu. Alle Teammitglieder sind es gewohnt, sehr viele Ausstellungen anzusehen und wir „cornern“ sehr viel mit Kolleg:innen oder anderen Kulturschaffenden in den verschiedensten Kontexten. Das heißt, alle sind in einem steten intensiven Austausch, wodurch wir sehr viele Arbeiten von Kolleg:innen kennen. Außerdem gab es einige Richtungsentscheidungen. Es sollte auf jeden Fall Friedrich von Borries als quasi auslösender Ideengeber eingeladen werden. Das war mir sehr wichtig, dass er quasi Pate steht für diese Ausstellung, und er ist nun zusammen mit Studierenden aus Hamburg dabei. Und zweitens wollte ich, dass neben der Zeitschrift Practic der Bezug zu Ostdeutschland und diese Frage nach dem Mangel auch durch eine künstlerische Position untermauert wird. Das ist mit Andrea Pichl nun der Fall, einer Bildhauerin, die sehr spannende Arbeiten macht, bei denen ich auch die Frage danach sehe, wie viel Herkunft in Kunstwerken steckt und wie viel Beobachtung von sozialpolitischen Verhältnissen transportiert werden können.
Eine spektakuläre Arbeit möchte ich außerdem hervorheben: Das ist Bastian Hoffmanns „How to turn a Porsche into a painting“. Der hat tatsächlich einen Porsche Cayenne geschreddert und in ein monochromes Gemälde verwandelt. Feinstes Pigment. Und das referenziert einerseits auf die radikale Monochromie in der Kunst des 20. Jahrhunderts und andererseits aufdiese DIY-Kultur, in der mit den passenden Tutorials aus dem Netz jeder alles basteln kann. Gleichzeitig fragt die Arbeit auf eine radikale Weise nach dem Wert von Kunst, kontemplativem Bild und Statussymbol.

Wie wichtig ist die Begleitung von solchen thematischen Ausstellungen?

Wir wollen uns ja an ein städtisches Publikum richten, das sehr divers ist. Und wir wünschen uns, dass in die Kunsthalle einfach auch Menschen aus der Fußgängerzone hinein kommen, weil sie wissen, dass da oben im zweiten Stock Kunst zu sehen ist und nicht nur unten eine Bibliothek und das Programm im Haus der Jugend. Daher lassen wir unsere Ausstellungen immer schon vor dem Haus der Jugend starten. Wir beziehen die Fassade mit ein und anderes mehr. Außerdem gibt es jeweils Begleithefte, eins für Erwachsene und eins für Kinder, in denen man nachlesen kann, was man vor sich hat, sollte man sich zu sehr wundern. Darüber hinaus bieten wir ein umfangreiches Rahmenprogramm an, über das man sich auf Webseite und Instagram informieren kann.

Schreckt der lateinische Titel „Ex Nihilo – Prozesse künstlerischer Arbeit“ die normale Wuppertaler Bürgerschaft nicht eher ab?

Ja, darum haben wir im Team gerungen. Das kann natürlich sein. Ich hatte gehofft, das mit einem sehr konkreten Untertitel abzufangen. Der lautet jetzt „Prozesse künstlerischer Arbeit“, und wir hoffen, dass auch der Untertitel gelesen wird – oder eventuell auch der ein oder andere ein Text wie dieser hier, um herauszufinden, worum es geht: ums Tun. Um die Praxis.

Ex Nihilo – Prozesse künstlerischer Arbeit | bis 14.12. | Kunsthalle Barmen, Wuppertal | 0202 43 90

Interview: Peter Ortmann

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