Es gab eine Zeit, da gehörte Marc Chagall zu den „Posterboys“ der Weltkunst: International hoch angesehen, wurde er auf das Format eines Plakates an der Wohnzimmerwand reduziert. Das Schicksal, das ebenso Dalí oder Miró traf und mit der Eingängigkeit, der Leuchtkraft und motivischen Attraktivität ihrer Malereien zusammenhing, ist gottlob Vergangenheit; bei Chagall hängt die Bekanntheit noch mit seinen Glasfenstern und Illustrationen zur Bibel zusammen.
Die Kunstsammlung am Grabbeplatz in Düsseldorf zeigt nun, in einer Übernahme aus der Wiener Albertina, mit das Beste von Chagall. Zu seinem 40. Todesjahr hebt sie nicht so sehr das populäre Spätwerk mit den schwebenden Liebespaaren, den Mischwesen und Blumensträußen hervor, die Liebe und Freiheit symbolisieren, sondern widmet sich vor allem den 1910er- und 1920er-Jahren, in denen Chagall seine Bildsprache in Paris und seiner Heimatstadt Witebsk entwickelt hat. Geboren 1887 im damaligen Russland, kommt Chagall 1911 zum Studium der Malerei nach Paris. 1914 kehrt er nach Witebsk zurück, wo er infolge des Weltkriegs bis 1922 bleibt und erst gefeiert und dann von der Staatsdoktrin abgelehnt wird. Durchgehend prägen seine biographischen Erlebnisse mit den jüdischen Bräuchen und Erzählungen, dem dörflichen Leben und den Nutztieren, den Gauklern und Musikern sein Werk. In Paris übersetzt er sie, beeinflusst vom Fauvismus und Kubismus, in eine Flächengliederung rein farbiger Partien bei gleichzeitiger Plastizität der Figuren. Die Größenverhältnisse verselbstständigen sich, Räume kippen, Menschen und Tiere schweben auf Dächern. Alles ist rätselhaft und poetisch. Zugleich steht Chagall für das Schicksal jüdischer Künstler und Künstlerinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Nach dem Ersten Weltkrieg findet er sein Atelier in Paris zerstört vor, im Zweiten Weltkrieg flieht er in die USA – und immer muss er sich seine Existenz neu aufbauen. Erst später, in Südfrankreich, kommt er zur Ruhe. Er versteht sich mit seinem Werk nun mehr denn je als Botschafter für den Frieden und die Liebe unter den Menschen. Fabelhaft, Chagall jetzt so feinfühlig gewürdigt zu sehen!
Chagall | bis 10.8. | K20 Kunstsammlung NRW, Düsseldorf | 0211 848 12 04
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